George und Amal Clooney bewohnen eine Immobilie hier. Die Villa Oleandra in Laglio, am Comer See. Steven Soderberghs Kinofilme Ocean’s Eleven, Ocean’s Twelve und Thrirteen, in der titelgebenden Hauptrolle als Danny Ocean ebenfalls Clooney, enthalten Schlüsselszenen, die im Hotel Bellagio in Las Vegas gedreht worden sind. Das mondäne Hotel, nebst Kunstsammlung, Wintergarten und See, eine Hommage an den glamourösen und gleichnamigen Ort am Comer See. Der vor dem Hoteleingang in der Spielerstadt in der Wüste Nevadas angelegte künstliche See, speist in regelmäßigen Abständen, auf einer Breite von 300 Metern 140 Meter hoch aufschießende Fontänen, die noch dazu Ballett tanzen und nachts beeindruckend illuminiert Flanierende anziehen.
Mit Clooneys Entscheidung sich vor mehr als zwanzig Jahren in Italien niederzulassen, erlebte die Region um den Comer See einen Aufschwung. In die Jahre gekommene Grand Hotels wurden entstaubt, erhoben sich wie Phönix aus der Asche, heute fluten Touristen die Gassen der malererischen Orte, nicht immer zur Freude der Anwohner und häufig nicht nachhaltig aber lukrativ. Darum soll es hier u.a. auch gehen, um Touristenströme und so fängt alles an …
Erdrutsch von Burkhard Spinnen und Charles Wolkenstein
Am 2. Oktober eines nicht genannten Jahres, entdeckt ein versierter Bergsteiger auf einem unzugänglichen Felsplateau, am Monte Croce die Muggio unweit des Comer Sees, einen verwirrten Menschen in Unterhemd und Hose und ohne Schuhe, der laut Vogelstimmen ausstößt und wirkt als wolle er dringend vor etwas warnen. Wegen der nahenden Dunkelheit war der Bergsteiger gezwungen ohne den Barfüßigen den Rückweg anzutreten. Er informierte die Bergrettung, die am folgenden Morgen sofort eine Suche einleitete und den “Vogelmann”, wie man ihn hernach nur noch nennen würde, mittels Helikopter zu bergen versuchte.
In der Folge versuchen Dr. Emilia Brunner vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, ihre Krähe Rama, Aurelio Campanna, tibetafiner Bergsteiger, sein Freund der Glaziologe Lucio und Carlotta Widmer, Unternehmensberaterin und ausgewiesene Nachhaltigkeitsexpertin, zu fassen was geschieht, als mehr und mehr Hangabgänge auftreten. Sie stellen sich gemeinsam mit dem zuständigen Staatssekretär die Frage, ob der Vogelmann, identifiziert als Dottore Giorgio Colombo, Veterinär aus Dervio, inselbegabt, ein Scharlatan, Vogelstimmenimitator, ein Sehender oder lediglich konfus ist?
Einzig die Schwester Oberin des ansässigen Franziskanerordens ist sich sicher. Er ist ein Heiliger, eine Art moderner Franziskus.
Die Presse stürzt sich auf die Ereignisse und alsbald schon, steht die Gegend um den beliebten See Kopf.
Ist es denkbar und möglich die Sprache von Tieren zu verstehen? Kann eine KI hierfür eine Tür öffnen? Welche Geister ruft man, versucht man dergleichen? Wie wollen wir als Gesellschaft mit der Verantwortung für kommende Generationen umgehen? Für mich reicht es noch höre ich jemanden sagen. Es lebe der Individualismus, suche nach deinem Weg, danach was dir Spaß macht. Taugt das um zu erhalten, was unseren Planeten ausmacht oder nährt es die Gier derer, die ihr Geschäft mit Menschenmassen an vermeintlichen Geheimplätzen machen, die spätestens ab dem ersten Instapost eines Influencers keine mehr sind?
Künstliche Intelligenz und Krähen, die trainiert werden, um vermisste Personen zu finden. Hotelinvestoren, Fördertöpfe der EU und Regierungsprojekte zur Tourismusförderung. Diese Themenvielfalt macht Staunen und ist nicht so ohne Weiteres vereinbar. Oder doch?
Was für ein Zirkus. Dieser Roman hat es faustdick hinter seinem Hochglanz-Schutzumschlag, der ihn zu Dreiviertel umgibt und damit meine ich nicht nur die Krähe, die sich aufgedruckt auf dem Buchdeckel dahinter verbirgt. Wie clever er erzählt ist, seinen Plott, fand ich ungemein fesselnd und originell.
Eine leichte Gänsehaut gibt es obendrein, steht doch für mich die Krähe sinnbildlich für das Unheil. Gleich wie intelligent dieser Vogel auch immer sein mag. Zu sehr assoziiere ich Alfred Hitchcocks die Vögel um mich davon frei machen zu können.
Wie dieses Autorenduo einen Blick in eine klimatisch geprägte Glaskugel wirft und auch der nicht zu verleugnende mystische Einschlag ihrer Geschichte, haben dafür gesorgt, dass ich sie nicht mehr aus der Hand legen wollte. Damit hatte ich so nicht gerechnet und verbuche das erfreut unter der Kategorie “überraschend anders”. Wer hat’s geschrieben?
Burkhard Spinnen, geboren am 28. Dezember 1956 in Mönchengladbach, lebt und schreibt heute in Münster, veröffentlicht Erzählungen, Romane, Kinderbücher, Essays und anderes mehr. Zu den Auszeichnungen, die er sich bislang erschrieb, zählen u.a. der Aspekte Literaturpreis (1991), der Ingeborg-Bachmann- (1992) und auch der Deutsche-Hörbuchpreis (2007).
Rainer Zimmermann, der im gleichen Jahr wie Spinnen geboren ist, veröffentlicht unter dem offenen Pseudonym Charles Wolkenstein seine Geschichten. Der Unternehmer und Wissenschaftler der Kommunikation, Soziologie und Philosophie lebt in Düsseldorf und in Bellano am Comer See, dem Schauplatz dieses Romans, dessen Idee er mit seinem Schulfreund Burkhard Spinnen entwickelt hat.
Taubenvergrämung und ein Weihnachten das im Chaos endet. In einem Klimakrieg. Ein 5-Sterne-Resort und ein Fluss ausser Rand und Band. Tibetische Mönche und eine Ordensschwester haken sich unter. Eine KI trainiert Krähen und scheitert.
Pläne von einem Trüffelwald, Vögel, die mit sich handeln lassen und ein eingeschneites Rifugio. Dort gibt es Kaninchen, drei Stunden geschmort, derweil in Europa ein Superwinter wütet. Strommasten die einknicken, der Rhein droht zuzufrieren. Man schmiedet einen Plan. Einen der aufgeht. Vielleicht.
So manche Szene in Erdrutsch ist satirisch gezeichnet, ein feiner Humor blitzt auf, wer von den beiden Autoren hat welchen Teil geschrieben, frage ich mich, es fügt sich perfekt zusammen. Wie macht man das überhaupt? Gemeinsam schreiben? Zwei Kumpels beim Bier, stelle ich mir vor, die die Welt besprechen, eine Idee, dann ihre Gedanken dazu an getrennten Schreibtischen notieren. Man muss sich blind verstehen um einen Text so zu verzahnen, was in diesem Fall gelungen ist beeindruckt mich.
Durchaus bissig, mal ironisch und konsequent eigenwillig ist hier Programm. Geschliffene Sätze, auf den Punkt Gebrachtes, liest man da, die Figuren mittendrin statt nur dabei.
Einzelne Handlungsfäden spitzen sich zu, werden wie beim Stricken die Maschen im Wechsel aufgenommen. Das Muster, dass sich ergibt gefällt mir und treibt mich in der Geschichte vorwärts. Wo führt das hin? Bergauf, bergab, über die Landesgrenzen und wieder zurück.
Die Berge kommen nicht zur Ruhe, derweil man versucht in den Teeblättern, respektive in den Krähenstimmen zu lesen. Was als Nächstes geschieht. Umweltaktivismus trifft auf Tourismusmanagement, Länderinteressen auf Nachhaltigkeitsbemühen. Es wird an vielen Fronten gekämpft. Mir scheint, hier kann es keinen Sieger geben. Doch, natürlich, die Natur zeigt, mehr als deutlich, wer der Herr im Haus ist.
Dystopisch und doch wieder nicht. Hinter dem Zeitraum Oktober bis Ostern, den wir in diesem Roman begleiten, steht keine Jahreszahl. Es könnte aber eine dort stehen, die in nicht allzu weiter Zukunft liegt.
Am liebsten würde man von all dem hier nichts hören wollen. Es als unrealistisch abtun, als Hirngespinst. Aber es ist alles andere als das. Unrealistisch. Vieles davon erleben wir bereits jetzt. Starkregenphänomene, Fluten, Stürme, dann Trockenheit. Versuchen zu verdrängen und auch wenn wir hoffentlich einen solchen klimaaktivistischen Terror wie er hier geschildert wird, nie werden erleben müssen, sind auch die dargestellten Anschläge keineswegs abwegig.
Die Geister die ich rief und was, wenn man sie nicht mehr so einfach los wird? Interessen prallen aufeinander und sättigen diesen Plott auf. Wie vereint man im Grunde gegensätzliche Interessen und wer hat die Ausdauer, die Kraft und die Kreativität das zu tun?
Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich die Geschichte auch und das mochte ich mindestens genauso gerne wie die Kurzweiligkeit mit der sie daher kommt. Es braucht dieser Tage Menschen die verbinden wollen und können, die Lösungen finden, wo andere nur Probleme sehen. Eine Verfilmung könnte ich mir vorstellen. Gewaltig könnte das werden, aufrührerisch und die Hauptdarsteller zum Hassen oder Umarmen. Wie die Figuren im Roman.
Für Nachschub ist ebenfalls bereits gesorgt. Erdrutsch, ist der Auftakt einer gemeinsamen Reihe von Spinnen/Wolkenstein und für den nächsten Band, der im April 2026 ebenfalls beim Berliner Kanon Verlag erscheinen soll, lieben Dank für dieses Besprechungsexemplar, stehen Cover, Titel (Himmelssturz) und Schauplatz (Münster) bereits fest. Also ich bin jedenfalls gespannt was die beiden noch so im Petto haben, wenn im neuesten Coup ein Bischof vom Glauben abfällt …
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