Die Tyrannei des Schmetterlings (Frank Schätzing)

*Rezensionsexemplar*

Samstag, 14.07.2018

Schmetterlinge gehören für mich ebenso zum Sommer, wie das Summen der Bienen. Leider hat ihr Artenreichtum in unserer Gegend in den letzten Jahren ebenso abgenommen wie ihre Zahl. Auch wenn ich mir Mühe gebe, Pflanzen für unseren Garten zu finden, die diese kleinen Wesen begeistern und nähren, ihnen Hotels baue, werden ihre Besuche seltener.

Ein Kampf gegen Windmühlen, den ich aber noch nicht verloren geben will. Bin ich doch ein großer Fan dieser stillen, zarten Geschöpfe, nehme die Fraßlöcher ihrer Rauben demütig in Kauf. Liebe es, in ihrem Flügelgestöber zu stehen. Landet eine solche Schönheit dann auf meinem Handrücken, oder auf den Seiten meines aufgeschlagenen Buches für eine kurze Rast, dann ist das pures, reines Glück für mich. Friedlicher geht es kaum. Wie kann ein Schmetterling da zum Tyrannen werden?

Ihr ahnt es schon, genau des Titels wegen bin ich an diesem Roman hängen geblieben. Wo gibt es da einen Zusammenhang? Ist das metaphorisch gemeint? Also, ohne Köcher, dafür extremst neugierig, fiel meine Entscheidung zu Gunsten der Hörbuch-Fassung aus, liest sie doch einer meiner Lieblinge vor, Sascha Rothermund. Was ich herausgefunden habe? Immer hier entlang …

Die Tyrannei des Schmetterlings (Frank Schätzing)

“Was immer uns Verstand gegeben hat, es kann nicht in seinem Sinn gewesen sein, das wir ihn nicht benutzen.” (Textzitat).

Eine Schlucht, ein Baum, eine Leiche, ein versteckter USB-Stick. Banaler Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang oder steckte mehr dahinter? Die angelockten Schaulustigen starrten auf eine junge Frau, die wie ein gefallener Engel, übersäht von zahlreichen Verletzungen in einem Baum hing. Das Team des Sheriffs in der amerikanischen Provinz, am Rande der Sierra Nevada, hatte so seine liebe Mühe Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Befasste man sich hier doch sonst eher mit Nachbarschaftsstreitereien, entlaufenen Katzen. Ok, gut, auch schon mal mit Sturmgewehrschüssen auf Laubbläser.

Die hinzugezogenen Spezialeinheiten und Bundesagenten machten so dann aus ihrer Verachtung für die hiesigen Ermittler keinen Hehl. Ideenreichtum und forensischen Spürsinn sprach man diesen Provinz-Sheriffs komplett ab. Allen Unkenrufen zum Trotz, nimmt eben dieser Sheriff, pardon Under-Sheriff, mit Namen Luther Opoku, mittels eines im Unfallfahrzeug gefundenen USB-Sticks eine Spur auf. Diese führt zu einem High-Tech-IT-Unternehmen, welches sich am Rande des Nationalparks, ganz in der Nähe niedergelassen hatte. Warum hat man eine solche Abgeschiedenheit gewählt? Suchte man nach einem Testgelände, das vor aller Augen verborgen lag? Sogar auf Schiffe, vor die Landesgrenzen hatten sie schon Labore ausgelagert. Luther war sich sicher, die Verletzungen der Toten standen alle nicht im Zusammenhang mit dem Autounfall – irgendetwas war hier faul …

Ruth erkannte ihren Chef Luther nicht wieder! Er faselte unzusammenhängend vom Unfalltod seiner Frau, die zwar geschieden von ihm, aber putzmunter in Sacramento zusammen mit der gemeinsamen Tochter lebte. Was war nur in ihn gefahren? Mit knapper Mühe war sie ihm gerade eben, mit ihrem Dienstwagen noch ausgewichen, als er kopflos aus seinem Haus gestürzt war. Alle dachten er sei im Urlaub und er stammelte da jetzt etwas von einem Einsatz bei einem IT-Unternehmen zusammen. Er schien ihr völlig daneben. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Verschobene Erinnerungen, stechende Kopfschmerzen. Vierundzwanzig Stunden oder eine Woche? Drogen-Traum, Wahn oder Experiment? Was war passiert? Alles schien plötzlich möglich, aber was ist wahr?

Meine Pros:

Ein Satz hat mir besonders gut gefallen:

“Fortschritt entsteht im Kopf. Ob er akzeptiert wird, hängt von der inneren Bereitschaft ab”.(Textzitat)

Gilt das nicht für alle Veränderungen, auch für die, die auf uns alle warten, nicht nur für die systemischen? Tolle Grundideen sind hier verarbeitet, soweit ich das beurteilen kann, auch gut recherchiert, ihre technische Umsetzbarkeit ist schon heute, wenn auch bei weitem noch nicht ausgereift gegeben. Ein Einblick in die Entstehungs-Geschichte des Silikon-Valley mit seinen Garagen-Start-Ups, die zu IT-Giganten mutierten gibt es inklusive. Die Unternehmer in der Geschichte sind Dutz-Freunde der Gründer von Google, Tesla & Co.

Mich macht die Story durchaus nachdenklich. Trifft man hier doch auf Computer deren Intelligenz soweit angewachsen ist, dass selbst die Menschen, die sie entwickelt haben, sie nicht mehr verstehen. Konsequenzen die sich aus dem Handeln dieser “Super-Hirne” ergeben sind nicht mehr absehbar und schon gar nicht zu verhindern. Überdeutlich klingt so an, was uns Menschen immer wieder treibt, den Pfad des ethisch und moralisch vertretbaren zu verlassen. Macht und Geld, lassen selbst die gefestigsten Forscher und Wissenschaftler auf Abwege geraten. Kriegstreiber und Autokraten treten auf den Plan. Tja, Reisen in andere Dimensionen sind halt keine Einbahnstraßen. Was da eventuell, gegebenenfalls durch die geschaffenen Eintrittstore “zurückschlägt” muss man erst mal beherrschen, kann man es schon nicht verhindern.

Dabei wäre es doch grandios, wenn man in Erdbebengebieten tatsächlich mit Sensorik vollgepackte Käfer zum Aufspüren von Verschütteten einsetzen könnte, oder Kakkerlaken, die das achtfache an radioaktiver Strahlung gegenüber uns Menschen verkraften, zum Einsatz bei Atomunfällen kommen könnten. Datenspeicher die nicht mehr größer sind als ein Reiskorn, oder die Spitze einer Nadel und doch alle Bücher die je erschienen sind fassen können, machen das möglich. “Quanteneffekten” sei Dank. Roboter die Kindern und Alten über die Straße helfen, lästige Erledigungen machen, die Ansprechpartner bei drohender Vereinsamung sind. Dabei können sie aussehen wie Batman oder Wonder Woman, damit das auch Spaß macht. Reisen zu alternativen Handlungssträngen, wir würden sagen Zeitreisen. Spannende Fragen werden aufgeworfen: Wer ist man bitteschön noch in diesen Parallelwelten? Trifft man auch auf die vermeintlich gleichen Familienangehörigen, keiner ist mehr so wie man ihn kennt. Das ewige Leben durch “Entkörperung” in greifbarer Nähe? Ist das erstrebenswert? Schöne, neue Welt – Am Ende zeichnet Schätzing sie hier gar, wie er sagt gänzlich ohne “Umweltschänder und Naturromantiker”. Wenn da nicht des Guten zu viel wäre.

Was mich auch schon zu meinen Contras bringt:

Hier wird wirklich nichts ausgelassen, Falschspieler, Waffenschieber, Hacker, forschende Traumtänzer mit edlen Absichten, Big-Data-Unternehmen, ihre Obsessionen, Visionen und wie ihre Ideen zu den Sargnägeln des Sozialstaates werden. Ein schier grenzenloser Idealismus und der menschliche Wille zum Fortbestand, zum Erhalt der Spezies, prallen ungebremst aufeinander. Bio-Waffen, Bio-Kybernetik, künstliche Intelligenz, Zeitreisen, Transhumanismus, Social Bots werden gemischt mit einem Hauch von “Westworld”, “Jurassic Park” und “Mission Impossible”. Die Kino- und Serien-Fans unter Euch wissen was meine. Eine Reduzierung auf eines, respektive zwei dieser Themen, spannend und mit Tiefgang recherchiert hätte ich bevorzugt. So wirkt die Story auf mich etwas übermotiviert, bisweilen auch zu “schwaffelig” erzählt. Künstliche Intelligenzen dozieren über ihre Weltsichten, Gesträuch und Umgebung jedes Schauplatzes sind mir jetzt wohl bekannt, die Figuren indes blieben für mich auf Abstand, seltsam blutleer und flach. Das weite Ausholen über knapp zehn Stunden Hörzeit, im Roman ist es Teil vier, bis es dann für weitere rund zwölf Stunden klärend und in Sachen Abenteuer mehr zu Sache geht, nimmt der Handlung zuviel Dynamik. Was in der ersten Hälfte der Geschichte an Action fehlt, wird dann in der zweiten “rausgehauen”. Dem Spannungsbogen tut das auch nicht gut.

Expeditionen in Parallel-Universen, Bits – Q-Bits und subatomare Quantenwolken, das lasst Ihr euch besser von jemand erklären, der sich damit auskennt, mein Kopf ist dafür definitiv zu klein. Als “Physik-Looser” weiß ich nur soviel, laut Einstein kann man nicht in die Vergangenheit reisen, nur in die Zukunft. Soweit so klar, dann reisen wir halt zu alternativen Handlungsverläufen, treffen dort auf unsere Doppelgänger. Was soll ich sagen? Ich bin angemessen verwirrt, die Grenzen meiner Logik hat das dann doch gesprengt. Jetzt ist das ja bekanntermaßen eine weibliche, vielleicht lag meine fehlende Begeisterung ja auch daran …

Die Wahl für die gekürzte Hörbuch-Fassung habe ich im Nachgang für gut befunden, den Roman in Gänze hätte ich so nicht lesen mögen. Sprachlich werden für meinen Geschmack deutlich zu viele Kraftausdrücke verwendet, zu den Sheriffs im wilden Westen der Sierra Nevada paßt das noch, aber das Sch …- Wort wird mir doch eindeutig zu inflationär gebraucht.

Selbst Sascha Rothermund konnte mir da nur noch bedingt helfen. Ich kenne ihn aus getragenen und humorvollen Texten, verehre ihn noch immer für seinen Vortrag von Eleanor Cattons “Die Gestirne”, bei seiner Lesung “Der Radleys” von Matt Haig habe ich mich köstlich amüsiert.

Mit Schätzings Sprache paßt er für mich als Sprecher leider so gar nicht zusammen. Hier gibt der Autor in seinen Schilderungen ja schon einiges an Drama mit, das potenziert sich durch den Vortrag Rothermunds so, dass es stellenweise auf mich übertrieben, theatralisch und beinahe schon unfreiwillig komisch wirkt. Schade.

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