Die souveräne Leserin (Alan Bennett)

Worte können Waffen sein. Auf den Lippen Mächtiger können sie verheerendes anrichten. Worte können besänftigen, wieder ins Lot bringen. Worte vermögen zu heilen und zu halten was sie versprechen. Worte werfen uns auf uns selbst zurück, können ablenken und in andere Welten entführen, uns vergessen machen. Für den Moment. Vielleicht auch darüber hinaus. <Der Worte sind genug gewechselt> meinte einst Goethe und Taten erwartet man wohl auch jetzt, nach dem Tod von Queen Elisabeth II. am 8. September diesen Jahres von ihrem Sohn Charles. In dieser Geschichte darf es aber einmal noch um SIE gehen, ich habe sie ihr zu Gedenken ausgepackt und verneige mich vor 70 Jahren und 214 Tagen Regentschaft und Pflichterfüllung:

Die souveräne Leserin von Alan Bennett

Die einen sagen die Hunde hätten Schuld, faktisch war es wohl aber ein Bücherbus, der ihrer Majestät, der Königin von England, buchstäblich in die Quere gekommen ist.
Auf einem Spaziergang mit ihren Hunden. An einem Mittwoch. Jeden Mittwoch kam der Bus samt Bibliothekar aus Westminster bis vor die Tore des Palastes. Wie konnte es sein, dass sie ihn bislang nie bemerkt hatte?

Jetzt stand sie also inmitten all der Bücher, ihre lärmenden Hunde auf der Schwelle zum Einstieg und sie fühlte sich seltsam verpflichtet ein Buch auszuleihen. Dabei las sie gar nicht. Also nicht zum Vergnügen jedenfalls. Lesen. Das war eindeutig ein Hobby und ein Hobby hatte sie nicht. Hatte sie nicht zu haben. Als pflichtgetreue Monarchin.

Gleichzeitig lesen und winken? Doch das geht sich aus. Eine spezielle Technik brauchte es zwar schon und das Naserümpfen des ehemännlichen Herzogs musste man auch ignorieren können, dann aber klappte es ganz wunderbar.

Lästig fällt ihr plötzlich so manches, was man so ganz und gar nicht von ihr kennt. Ist ihre Majestät doch die Pflicht in Person und dann befördert sie auch noch einen Küchenjungen zuerst zum Kammerdiener und dann vom ehemaligen Laufburschen zum literarischen Assistenten. Als hätte es den gebraucht. Ihre Berater sind ratlos und die Besorgnis im Stab der Königin wächst, man ist ganz und gar nicht amüsiert über ihre neue Leidenschaft und als auch der Herr Premierminister interveniert wird der Bücherbus umgeleitet, oder besser wäre noch ihn gleich stillzulegen.

Während also die unterschiedlichsten Massnahmen zur Abwehr der drohenden “Lesensgefahr” ergriffen werden (und die sind nicht immer von der feinen englischen Art!), greift Her Majesty immer häufiger beim Lesen auch selbst zu Stift und Papier, notiert zunächst nur Passagen die ihr gefallen, dann eigene Gedanken zum gelesenen Text. Sie beginnt im Alltag genauer zu beobachten, bei Menschen die vor ihr knien bemerkt sie plötzlich kleine Makel, einen lichter werdenden Scheitel oder ein graues Haar und ihre Dienerschaft erkennt den Menschen in ihrer Monarchin, wird gar unsicher. Wie denn umgehen damit, dass die Chefin zunehmend sanfter und interessierter Fragen an ihre Dienerschaft richtet, die sich um Befindlichkeiten drehen und auch noch Antworten erwartet. Schwer zu handeln das …

Der Ton dieser Geschichte ist und bleibt durchgängig wunderbar und very british, pointiert und warmherzig. Inhaltlich fand ich den Text ausgesprochen clever, überaus kurzweilig und unterhaltsam erzählt. Also, Lesefans und Lesemuffel aufgemerkt: So geht gute Unterhaltung im Hörbuch. Ob zum five o’clock tea oder klassisch im Ohrensessel am Kamin, dieser Abstecher mit und in distinguierter und integerer Begleitung von Jürgen Thormann macht Laune. Ich habe sehr gerne mit ihm durch’s Schlüsselloch in die royalen Räumlichkeiten gelugt und kann diese Backlist-Perle aus dem Jahr 2008 daher nur aller wärmstens empfehlen. Besonders für den Herbst und Winter. Zudem kann man mit Thormann im Hörbuch auch gar nix falsch machen.

Den am 12. Februar 1928 in Rostock geborenen Schauspieler, Regiseur und Synchronsprecher kennt man aus vielen Rollen, seine Stimme klingt wohltuend und vertraut, sie ist es die wir vielfach hören wenn Ian McKellen, Michael Caine, Peter O’Toole oder John Hurt, um nur einige zu nennen, Deutsch sprechen.

Gespräche über Bücher, über das was mich beim Lesen beschäftigt hat bedeuten mir viel. Sie vertiefen oft meinen eigenen Eindruck, weiten und öffnen mir den Blick.

Eine Information schließt ein Thema ab, lesen eröffnet es. Messerscharf gefolgert und den Nagel auf den Kopf getroffen nicke ich beifällig zu diesem Einwurf von Alan Bennett. Genau das ist es doch was das Lesen aus macht, es stößt die Tür zu einem Horizont auf, von dem man vorher gar nicht wusste dass er überhaupt da ist. Und ein gutes Buch löst immer auch die Gier nach mehr aus. Man will mehr wissen, denkt quer und neu, fühlt mit und tiefer. Noch eine Gemeinsamkeit mit der souveränen Leserin im Roman habe ich entdeckt: Andere anstecken zu können mit der Leidenschaft zu Lesen ist auch mir Wunsch und Bedürfnis zugleich.

Alan Bennett, geboren am 9. Mai 1934 in Leeds, britischer Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Dramatiker veröffentlichte bereits 2007 im englischen Original seine Novelle um die wundersame Wandlung der englischen Königin zur Literaturliebhaberin und bringt also all das wunderbar zusammen und auf den Punkt. Seine Geschichte ist fiktiv und unser Schmunzeln sicher erlaubt, zeichnet er doch ein kluges und liebenswertes Bild der britischen Monarchin. Er verunglimpft sie keines Falls.

So wie auch das übrige Personal des von ihm beschriebenen Hofstaates auf erfrischende Art verschroben wirkt, allen voran der bereits in den Ruhestand versetzte, herrlich schrullige, nicht nach Rosen duftende Privatsekretär Sir Claude mit seinen 93 Jahren, der schlussendlich der Queen die Augen öffnen und das Lesen wieder austreiben soll. Bevor alles komplett aus dem Ruder läuft. Aber es ist längst zu spät, denn wenn Literatur eines vermag, (wir wissen das), dann ist das Empathie und den Mut zum Wandel in einem Herzen zu gründen.

Summa Summarum ist Bennett ein hell strahlendes Plädoyer für das Lesen gelungen und für den Weg vom Lesen zum Schreiben, vom Abwarten zum Handeln auch. Mit seiner Geschichte über Analyse und Reflektion, und darüber wie man Sinn im eigenen Leben stiften und erkennen kann, Ja, und auch ihn gibt es, den “point of return”, jeder vermag ihn zur finden wenn er mal falsch abgebogen ist und weil Alan Bennett diese und andere Gedanken so verdammt gut fassen kann, so wahre Worte spricht, überlasse ich ihm und seiner Queen auch in meiner Besprechung das letzte:

“Man legt sein Leben nicht in seine Bücher, man findet es in ihnen.”

Textzitat Alan Bennett Die souveräne Leserin
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