Vertrauensübung (Susan Choi)

Vertrauen und Zutrauen sind der Kitt der alles zusammenhält. Vertrauensübungen eine Technik, die an Schauspielschulen zum üblichen Besteck im Instrumentenkasten gehören. Die Autorin dieser Geschichte entführt uns für derartige Übungen in eine Stadt im Süden der USA. Ihr Name tut nichts zur Sache und wir erfahren ihn auch nicht. Den Namen der Schauspielschule an der alles beginnt erfahren wir, obwohl auch er nichts zur Sache tut. Sie richtet die Theaterspots aus auf das was hier geschieht …

Vertrauensübung von Susan Choi

Sarah und David, beide fast sechzehn Jahre alt, keine Kinder mehr und noch keine Erwachsenen, Schüler an einer Eliteschule, mit dem Schwerpunkt Bühne, erleben hier Vertrauensübungen der besonderen Art. Durch ihn und mit ihm. Ihr Lehrer dafür heißt Mr. Kingsley. Der Ex-Broadway Star, der vielleicht in seinem früheren Leben eine Frau gewesen und jetzt mit einem Mann liiert war, den er vor ihnen seinen Gatten nannte. Er hatte heute im Probenraum das Licht gelöscht, sich alleine zur nur schwach markierten Bühne vorgetastet um jetzt zu monologisieren. Sie sollten sich ertasten, erlernen mit Händen, Ohren, ihrem Geruchssinn, wer sie waren und wer die anderen. Okay: Eine Gruppe hormongesteuerter Teenager legt im Dunkeln los und wir sind live dabei.

Ein Sommer vergeht, ein Hurrikan trifft auf Land. Zwei finden und verlieren sich. Ziehen sich an. Stoßen sich ab.

Was harmlos beginnt, für mich wie eine Mischung aus Fame und Beverly Hills 90210, die Geschichte startet 1982, an der Citywide Academy for the Performing Arts, CAPA, verwandelt sich rasch in ein verwickeltes Drama. Das alles andere als vorhersehbar ist. Meint man auf den ersten Blick bereits alles verstanden zu haben, nimmt diese Geschichte eine Entwicklung, die ich so, zugegeben nicht erwartet hatte. Was, jetzt greife ich vor, nicht genügt hat mich abzuholen.

Eine ungewollte Schwangerschaft ändert alles. Verändert ein Mädchen, eine junge Frau. Eine Entscheidung für das Leben, für eine Adoption, stellt ein neues “Normal” her. Eine Rückkehr in alte Kreise, zu alten Freunden, die vielleicht gar keine gewesen waren, fällt schwer. Verstecken ist unmöglich.

Ein Theaterstück führt in die Eskalation. Ein Schweigen und Abscheu, zu viel Körperlichkeit. Über weite Strecken hat mir nicht gefallen um was es hier geht.

Nein, das ist nicht meine Geschichte, denke ich, das ist mir einfach von allem zu viel. Zu viel Drama, die Beschreibung von Sekreten, Körpersäften, Körperöffnungen, dem Akt als solchem, davon sich missbrauchen zu lassen, andere zu gebrauchen.

Durchgehalten habe ich, weil ich auf den Kick gewartet habe, auf den Twist der alles ändert, der mich am Ende sagen lässt, Wow! darauf muss man erstmal kommen. Davon hatte ich in den Besprechungen anderer gelesen.

Dafür nehme ich in Kauf, dass ich vorher durch seitenweise Nebensächlichkeiten durch muss, Banalitäten und Details abarbeite, die mir die Figuren sicher näher bringen sollten, die mich aber eher abgestoßen haben.

Wie die Gegenpole zweier Magneten, die jemand in einer Situation einmal umgekehrt hat und die für den Moment so aneinanderkleben, dass sie nichts mehr trennen kann, nicht mit der größten Kraft, legt Susan Choi eine Teenager Beziehung vor, die prägend für ihre Figuren und die Geschichte ist. Das fand ich jetzt wieder gut.

Zu viel Wahrheit oder zu viel plausible Unwahrheit? Diese jugendliche Sarah ist ein eifersüchtiges, rachsüchtiges Biest. Überheblich, erfolgreich und schwanger. Die erwachsene Sarah mochte ich dann immer noch nicht.

Neid, Missgunst, viel Sex. Zuviel Alkohol. Hexenjagd oder Verleumdung? Wahrheit oder Pflicht? Ein Lehrer vergreift sich an seinen Schülerinnen? Seine Behauptung alles sei einvernehmlich steht im Raum und prallt ab an Schuldzuweisungen und kollektiver Empörung. Lehrkräfte müssen professionell Abstand wahren können zu ihren Schutzbefohlen, wie soll man sonst vertrauen? Übung hin oder her. Diese Übungen, sind Sätze in ständiger Wiederholung, machen nichts besser. Aber vieles schlimmer.

Es geht um Macht, um Machtausübung, um Täter und Opfer. Who is who – in diesem Fall scheinen die Rollen nicht eindeutig zugewiesen und ein analytischer  Blick auf Vergangenes versucht aufzuklären. Wie alles zu allem kam. Wie sich diese eine Theateraufführung zu einem Krimi auswachsen konnte.

Dafür setzt Choi später in der Geschichte eine Erzählperspektive ein, die in Zweifel zieht was bislang offen vor uns lag und ab da, war ich gefesselt und ganz Ohr.

Ein Verwirrspiel, ein Tanz beginnt, obsessiv und undurchsichtig. Zuviel Sprengstoff. Emotional und überhaupt. Das kann nicht gut ausgehen. Da bin ich mir sicher …

Susan Choi, geboren 1969 in South Bend, Indiana, gehörte 2003 mit ihrem zweiten Roman America Woman auf der Short List des Pulitzer Prize. Vertrauensübungen wurde ausgezeichnet mit dem National Book Award. Erhältlich ist ihr Roman auch als deutsche Hörbuch-Fassung, dort wetteifern gleich drei Sprecherinnen um Eure Gunst, Katja Körber, Felicity Grist und Charlotte Puder. Alle drei habe ich als Bereicherung für die Geschichte empfunden.

Eine Geschichte, die mit einer verschachtelten Handlung daherkommt und in der man sich trotzdem nicht verlaufen kann, Chapeau für diese Konstruktion. Das gewählte Setting der Elite Schauspielschule, das Schüler aus allen Gesellschaftsschichten zusammenführt und miteinander konkurrieren lässt, strahlt weit in die Leben von Chois Personal. Die als Erwachsene erneut aufeinander treffen. Zumindest diejenigen von ihnen, die wir schon zu Beginn bei ihren Vertrauensübungen betrachtet haben.

Zwei Wahrheiten oder auch mehr sorgten dafür, dass ich mir nie sicher war, wem ich hier vertrauen kann. Wenn Neid die ehrlichste Art der Anerkennung ist, dann erkennen sich hier alle an. Sie buhlen um die Gunst eines charismatischen Lehrers, der ihnen Übungen in Endlosschleife zumutet, der sie von ihren Elternhäusern abzukapseln sucht. Der sie demütigt. Der sie emotional häutet wie eine Zwiebel. Der ihren Kern entblößt. Der sie verletzlich und nackt vor aller Augen stehen lässt.

Mit mit viel Haut und Haaren, intrigant und hormonexplosiv hat mich diese Geschichte von Susan Choi herausgefordert. Literarisch fand ich sie “on point”, auch authentisch. Dafür sorgen auch ihre beiden Übersetzerinnen Tanja Handels und Katharina Martl. Die Figurenzeichnung empfand ich als durch und durch glaubwürdig, ob man die einzelnen Personen jetzt mag oder nicht. Ob man sich für eine Nabelschau begeistern kann oder nicht. Ich tue mir da zugegeben immer etwas schwer. Bin aber mit dem Ende wieder fein. Die Kurve hat Susan Choi da sehr gut gekriegt. Eine letzte Überraschung gibt es noch, in den Kapiteln die das Ende bereithält und bevor der letzte Vorhang fällt. 

Wer gerne Coming-of-Age-Geschichten mag, findet hier eine besondere Variante, eine die sich clever und fesselnd zuspitzt, gut lesbar und trotzdem sprachlich anspruchsvoll ist und irgendwie auch sehr amerikanisch. Sollte es solche Zuschreibungen tatsächlich geben. Verzeiht mir die meine, sie spiegelt die Bilder wieder, die ich beim Lesen hatte und ließ so manche Fernsehserie in mir aufleben.

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert