Die schwarze Rose (Dirk Schümer)

Jacques Duèse, kränklich und kleinwüchsig, mehr Politker und Jurist denn Theologe, setzte man 1310 den Bischofshut von Avignon auf. Die Kirche war zerstritten, es glühte vor Intrigen, in Rom ging es rund. Maßgeblich beeinflusste der französische König das Konklave und so wurde Duèse 1316 Pabst, als Johannes XXII. saß er 18 Jahre lang auf dem Stuhl Petri. Widerrief die Lehre, das Jesus und seine Jünger kein Eigentum besessen hätten, reformierte das Steuersystem in Richtung seiner eigenen Taschen, stieg zum reichsten Herrscher des Abendlandes auf und verlegte den Pabstsitz ins französische Avignon.

Vor dieser Kulisse spielt eine Geschichte, die mich gepackt hat wie eine Zeitmaschine. Vor ein paar Jahren bin ich hier gestanden, am Fuß des monumentalen Papstpalastes, der von oben auf die Stadt am Ufer der Rhone herabschaut, habe diese Fotos geschossen und mich gefragt, wie die Stadt wohl zur Zeit der päpstlichen Residenz ausgeschaut haben mag. Jetzt weiß ich es …

 

 

 

 

 

 

Die schwarze Rose von Dirk Schümer

Avignon 1328

Seit der Papst hier residierte war aus der Stadt ein Ameisenhaufen geworden. Avignon schien nie zu schlafen und immer Hunger zu haben. Meister Eckhart, ein berühmter Prediger aus Deutschland und sein Schüler Wittekind werden zum Pabst beordert, die Inquisition hat den Theologen auf dem Zettel. Den Meister erwartet ein Prozess, der Thesen wegen, die er vertritt, der Häresie wird er beschuldigt, als Ketzer gebrandmarkt, verwehren sie ihm die Heimkehr nach Köln, auch wenn sie ihn jetzt wenigstens nicht mehr einsperrten und er sich innerhalb der Stadt bewegen durfte. Die Klostergemeinschaft der Dominikaner hatte dafür Sorge zu tragen, dass der Angeklagte Eckhart nicht floh und sich still verhielt. Was Abt und Konvent nicht gerade begeisterte. Denn auch sie teilten seine Auffassungen nicht. Sein Novize Wittekind lebte, seit sie seinem Lehrer zusetzten beständig in Angst, in der Stadt wimmelte es von gedungenen Mördern, besorgt schaute er auf Eckhart, der nicht nur körperlich abgebaut hatte, still war er geworden und ein alter Mann. Was war in ihm drin noch übrig von dem mutigen Denker früherer Tage, dem er gern gefolgt war?

Der Mistral machte hier alle verrückt. Alle drei Tage kam er von den Bergen in die Stadt. Brauste auf. Säte eine Unruhe, die in den Nächten in eine andere überging.
Avignon bei Nacht. Das waren Garküchen, geheimnisvolle Schenken, die bei Tag verborgen waren, Gesang und Lautenspiel das in der Luft lag und der Duft von Rosenwasser und Amber, den die Frauen trugen, die hierher kamen. In das Viertel, in dem man das Vergnügen suchte. Der Schein von Fackeln fiel auf ihre Gesichter und nichts ist wie es scheint.

Ein Übergriff und Flucht. Ein Lebensretter fordert seinen Lohn. Informationen gegen Zuflucht. Denn die Jagd ist eröffnet. Etwas soll die Stadt nicht verlassen. Nicht nur hinter unserem Wittekind ist man her. Jeder Hinweis kann von Bedeutung sein. Haltet also Augen und Ohren offen in dieser Geschichte. So wie Wittekind und Shimon. Noch ist nicht klar, ob letzterer ihm ein Freund oder Feind ist.

Rik van Haarlem, könnte einer werden. Ein Freund. Der Schankwirt kennt sie alle, die Dichter, die Troubadoure, die verkrachten Existenzen, die Vögel der Nacht und die schwarze Rose, eine Sängerin von der hier alle Männer träumen, auch und besonders die Frommen.

Der Ablasshandel blüht und der Fluss, die Rhone, hat ihre eigenen Gesetze. Sie kommt aus den eisigen Alpen, schafft sich Platz, dann ist an ihren Ufern nichts und niemand sicher, ein schweres Hochwasser hatte bereits die halbe Brücke weggerissen, die das Königreich Frankreich mit Villeneuve am anderen Ufer mit ihrem Kirchenstaat verband. 

Die Brücke des Saint-Bénézet verband Frankreich, das mächtigste und reichste Land der Welt, mit dem Heiligen Römischen Reich, zur ewigen Baustelle war sie geworden. Eine Garnison Grenzer war zu ihren Füßen stationiert und lebte davon zu trennen, während der Fluss unaufhörlich Güter und Menschen heranschaffte. (Ich summe “sur le Pont d’Avignon” vor mich hin).

Ein Attentat, dann ein Mord. Das Opfer, ein Palastbeamter. Das Motiv offen. Ab jetzt geht es richtig rund und wieder sind es die Franziskaner, die rebellisch gegen den Pabst aufbegehren …

Dirk Schümer, geboren 1962 in Soest, Journalist, Übersetzer und Korrespondent, lebte mehrere Jahre in Venedig, arbeitete u.a. für die FAZ und den Spiegel, nimmt den Ball auf, den Umberto Eco mit dem Ende seiner Geschichte Der Name der Rose hat ausrollen lassen. Schümers Titelwahl ist kein Zufall, thematisch knüpft er an Eco an und verortet sich dafür inmitten klerikaler Machtspielchen, im Frankreich des Spätmittelalters.

Er lässt uns und seinen Wittekind auf einen alten Bekannten aus Ecos Geschichte treffen, keiner könnte Schümers Novizen besser detektivisches Gespür vermitteln als er. Den Vergleich mit Eco braucht er dabei keinesfalls zu scheuen, ein für sich stehendes, lehrreiches historisches Spektakel ist ihm da gelungen. Eines, das ich nur zu gern auch verfilmt sehen würde.

Dafür eignet sich Schümers Szenerie vortrefflich, mit dem mächtigen Pabst Palast, den jüdischen und italienischen Vierteln der Stadt, ist sie opulent ausgestattet, bunt bevölkert und hat den Charme eines Gemäldes aus der Hand eines alten Meisters. Man ist sofort mittendrin in seiner Geschichte, der das Abenteuer alsbald aus allen Poren quillt.

Spannende Kriminalgeschichte, buntes Sittengemälde, politisches Taktieren und Ränkespiele, hier kann man vieles haben. Man kann abtauchen, kopfüber, in die Gassen der provenzalischen Stadt. Wie in Rom haben sich auch hier die Steine mit Geschichte und Geschichten vollgesogen. Schümer macht sich das vortrefflich zu nutze.

Die päpstliche Kurie vermisst einen Schatz. Nach ihm suchen viele. Das Zölibat hat materielle Gründe, das habe ich so noch nie gehört!

Freund und Feind finden den Tod. Unter Kreuzrittern, Wolfsrudeln, in eisiger Kälte. Das klingt nach Sibirien. An Wittekinds Seite komme ich rum. Nicht nur in ganz Avignon. Dort aber immer zu Fuß, vorbei am stinkenden Fischmarkt, an Bettlern und an auf langen Pfählen aufgespießten Köpfen und Gliedmaßen Hingerichteter. Denn wenn der Stadtrichter hier ein Urteil spricht, folgt meist nicht nur ein Hinrichtungsspektakel, sondern er will den Bewohnern die Macht der Justiz vor Augen führen. So wie der Pabst es mit der Kirche hielt, damit der Frieden gewahrt blieb, während er immer neue Steuern erdachte. Die Mieten in schwindelerregende Höhen trieb, als Gegengewicht für tägliche Armenspeisungen aber unter militärischer Aufsicht sorgte.

Dirk Schümer hat besonders seinen Wittekind facettenreich angelegt. Mutig und wehrhaft, zieht der schon mal ein Messer aus der Kutte um seinen Worten mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Ich staune. Das hatte ich ihm nicht zugetraut. Was darf ich noch von ihm erwarten?

Als er zum ersten Mal auf den berühmten Franziskaner William of Ockham trifft, Theologe und bedeutender Philosoph seiner Zeit, rückt dieser ihm gehörig den Kopf zurecht, angesichts seiner Ahnungslosigkeit politische Zusammenhänge betreffend. Nichts Geringeres als die Zukunft der Christenheit stehe schließlich auf dem Spiel, nachdem Papst Johannes XXII. mit Kaiser Ludwig dem Bayern im Streit lag, letzterer hatte es vorgezogen sich selbst zu krönen und vertrat die Meinung die Kirche dürfe keine derartigen Vermögen anhäufen. Ich lerne mit ihm über eine Zeit, die ich mit einer brennenden Fackel in der Hand bereise.

Die Franziskaner verteidigten die Armutslehre ebenfalls nach wie vor vehement, auch wenn sie sich nachweislich nicht immer selbst ganz korrekt daran halten, einer ihrer Führer hatte dem Pabst in einem Disput diesbezüglich die Stirn geboten und war seither verschwunden. Vorhang auf für DEN Franziskaner, der aus Deutschland zu Fuß nach Avignon unterwegs war um zu klären, was da geschehen war. Es ist Ecos Held William von Baskerville.

Schümer bringt in seinem Roman fiktive und historische Persönlichkeiten, wie die beiden Williams so zusammen ins Handeln, Baskerville hat sich Umberto Eco nur ausgedacht, Ockham hingegen hat in seinem Orden und darüber hinaus geschichtlich verbriefte Spuren hinterlassen, dass man sich die Augen reibt und nachschlagen muss was hier lediglich ersonnen ist, wo dichterische Freiheit endet und wo die Fakten beginnen. 

Viele Stunden und Silben lang war ich mit den Helden Schümers unterwegs, habe diese Reise so gerne unternommen und hoffe jetzt darauf, dass sich Hollywood meldet. Habe ich doch häufig Sean Connery vor meinem geistigen Auge durch Dirk Schümers Szenen huschen sehen. Wer könnte wohl den Wittekind geben? Lasst mal hören, wenn ihr durch seit!

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