Dugong meint “Dame das Meeres” und klingt sehr charmant nicht? Der Begriff geht auf einen malaysisches Wort zurück und bezeichnet eine Seekuhart, die man aus der Ferne, wohl schon mehr als einmal für eine Nixe gehalten hat. Kein geringerer als Christoph Kolumbus hat unterwegs zur Entdeckung Amerikas, in seinem Seetagebuch festgehalten, drei Meerjungfrauen hätten sein Schiff begleitet, aber die Schönheit die man ihnen zusprach, hatte er nicht entdecken können. Von maskulinen Zügen ist da in seinen Aufzeichnungen die Rede. Es könnte sich demnach um eine Verwechslung gehandelt haben. Könnte. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für ihre Existenz, aber wer weiß, was in den Tiefen der See wirklich zu Hause ist …
Die Meerjungfrau von Black Conch von Monique Roffey
David war grau geworden. Der April 1976 als er ihr, Aycayia, zum ersten Mal begegnet war, lag inzwischen lange zurück. Noch früh am Morgen war es damals gewesen, in der Nähe der Felsen von Murder Bay. Er hatte auf die ersten Fische des Tages gewartet, sich auf seiner Gitarre etwas vorgeklimpert, als sie den Kopf, die Haare voll mit Seetang und Muscheln, aus dem Wasser geschoben hatte.
Verflucht. Das war sie. Mehr als hundert Jahre war es her, da hatte ein ganzes Heer eifersüchtiger Ehefrauen einen Hurrikan gerufen, um sie ins Meer zu fegen, nachdem zuvor ein Fischschwanz ihre Beine umschlossen hatte. Rot war ihre Haut seither, gespickt mit Schneckenhäusern ihre schwarzen Dreadlocks. Mit den Lederschildkröten auf Wanderung war sie von Kuba bis hierher nach Black Conch gekommen und als sie ihn hatte singen hören, da musste sie auftauchen. So lange war da keine Musik gewesen …
Mehr als drei Stunden kämpften sie jetzt. Die Angler aus Florida, die wegen der Schwertfische hergekommen waren und die sich stattdessen eine Frau geangelt hatten, eine fluchbeladene, erschreckende und gleichzeitig überaus anziehende Meerfrau. Blutend und keuchend wandt sie sich vor den Männern an Deck, die sich angesichts dieses Fangs noch immer ungläubig die Augen rieben. Sie banden sie schließlich und rechneten schon im Geiste was sie ihnen wohl einbringen würde.
Um diese Geschichte bin ich lange herumgeschlichen. Gelockt hat sie mich einerseits wie der Gesang der Sirenen. Dann wieder war ich in Sorge sie könnte vielleicht doch zu kitschig sein. Sind doch Liebesgeschichten nicht so wirklich mein Ding. Märchenhaftes aber mag ich schon. Zum Glück habe ich mich dann doch für diesen Roman von Monique Roffey entschieden. Zum Glück, denn er ist so ganz anders als erwartet.
Modern und sehr poetisch erzählt die Autorin Monique Roffey von einem karibischen Mythos, setzt eine Kunstsprache ein, die für ihre Übersetzerin Gesine Schröder eine echte Herausforderung gewesen sein muss. Diese jongliert mit Wörtern die sie doppelt, lehnt einen Teil ihrer Sätze an Reggae Songs an und meistert so diese Aufgabe bravourös.
Ganz und garnicht abwegig erschien es mir, dass man einem solch faszinierenden Wesen tatsächlich begegnen kann, so überzeugend schreibt Roffey. Manches erinnerte mich an Hans Christian Andersens Meerjungfrau, nur die Liebe eines Menschen kann sie erlösen, anderes hat so gar nichts nixenhaftes an sich. Progressiv und selbstbestimmt behauptet sich Aycayia in einer geradezu toxischen Männerwelt.
Als Handlungsort wählt Roffey mit Black Conch eine fiktive Insel, vielleicht sind gewisse Ähnlichkeiten aber dann doch nicht zufällig und erinnern an ihre karibische Heimat.
Monique Roffey, wurde 1965 in Port of Spain auf Trinidad & Tobago geboren, größtenteils in Großbrittanien aufgewachsen, lebt heute in Trinidad und London. Für ihren Meerjungfrauen-Roman wurde sie mit dem Costa Book of the Year Award ausgezeichnet.
Die ungekürzte Hörbuchfassung, gelesen von Patrick Abozen und Sina Martens,
kann ich Euch ebenfalls sehr empfehlen. Die Kombination beider macht sie besonders und immer dann, wenn sich die Meerjungfrau mit der Stimme von Martens zu Wort meldete, spitzte ich die Ohren, so wunderbar sind diese Passagen von ihr gelesen. Voller Wehmut und Sehnsucht, dann wieder zornig wie die See, die der Wind aufbraust. Abozen sucht sie dann zu beruhigen, Grund und Anlass legt ihm Monique Roffey ausreichend dafür in den Mund. Ein Wechselspiel entsteht, das mehr als Laune macht, spannend und bezaubernd zugleich wirkt dieses märchenhafte Abenteuer, wie ein Tanz. Ein sich Umkreisen, Annähern und Abstoßen. Ein Tanz am Abgrund von Gier, Neid und Missgunst.
War diese Meerfrau etwas, das die Vergangenheit zurückgelassen hatte, lässt Monique Roffey ihren Helden David sich fragen. Er zögert keinen Moment, als es darum geht sie zu retten. Will sie eigentlich dem Meer zurückgeben. Eigentlich. Kommt nicht bis dahin. Nicht an den Strand in dieser Nacht. Nur bis zu seiner Badewanne und am nächsten Tag schon hat sie begonnen. Die Verwandlung und es geht ihr nicht gut …
Ein Erzähler schaut auf die Geschichte, die die Tagebucheinträge von David enthält und die Gedanken der Meerfrau, die ihren Fluch abstreift und wieder zur Frau wird. Die uns von der Hetze von Nachbarn erzählt, aber auch von dem Zusammenhalt derer die anders sind. Die sich erkennen. Auch ohne Worte. Weil sie mit ihren Herzen sehen. Das funktioniert, auf märchenhafte Art und ohne Kitsch, mit humorvoll ins Deutsche übertragenen dialektischen Sprenkeln und überaus unterhaltsam.
Versunkene Heimat, ein Zug von der See. Bleiben wollen und gehen müssen. Zwei Herzen schlagen in einer Brust.
Ein Blick auf Miss Rain, die Patriarchin des Ortes, deren Familie schon zu Zeiten des Sklavenhandels St. Constance vorstand und dirigierte. Ihr gehörloser Sohn, unehelich. Sprache ist Freiheit, Miss Rain lehrt ihren Sohn und die Meerfrau Englisch.
Land kann einem nicht gehören. Spanische Christen ermordeten die, die diese Insel einst besaßen. Daran erinnert sich die Frau aus dem Meer noch, ihre Leute waren unter denen die sterben. Ihre sechs Schwestern. So lange her. Längst vergessen. Von vielen.
Neue Wörter und alte Stimmen. Eine Zukunft voller Möglichkeiten stört den Schlaf.
Eine Hand auf dem Herzen, das Geräusch von Atem im Schlaf. Zu Hause vermissen und gleichzeitig Sehnsucht nach der Ferne haben. Nach der See, dem Leben in ihr.
Acayja meint, süße Stimme und Monique Roffey schreibt, es war beinahe so, als ständen die Lieder in ihr Schlange. Sie singt dann, ohne Grund und Anlass alles um Sie herum ruht.
Es regnet Fische. Holte der Fluch sie ein? Auch das kleinste Glück kennt Neider. Was, wenn deren Macht eine Übermacht ist?
Verflucht und selbstbestimmt, oder verflucht selbstbestimmt. Das ist sie. Diese Frau aus dem Meer. Sie war nicht gekommen um zu bleiben. Alle wussten das und jetzt war wieder ein Sturm hinter der Meerfrau her. Er jagte mit einhundertfünfundachtzig Stundenkilometer und einem wirbelnden Auge über Black Conch, stürzte Bäume um, riss Häuser aus ihren Verankerungen. Ließ nichts wie es war, schlug Wunden.
Roffey schlägt neben den unterhaltsamen Tönen auch nachdenkliche an. Sinnliche, romantische auch. Verzweifelte und solche voller Meerweh. Das muss man wissen, dann tut sie gut diese Geschichte aus der Karibik. Wer im Winter vom Sommer träumt, der kann ihn sich mit diesem Roman ins Wohnzimmer holen. Mit diesem Märchen, das vielleicht eines ist. Vielleicht aber auch nicht …
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