Die goldene Stadt (Sabrina Janesch)

Sonntag, 18.02.2018

Es gibt Geschichten, von denen liest oder hört man, und man weiß sofort, sie können nicht erdacht sein. So viel Unglaubliches, so viel Leben, so viel Tragik steckt in ihnen. Warum sie bislang noch niemand erzählt hat, fragt man sich dann.

Wenn man den Roman “Die goldene Stadt” von Sabrina Janesch aufblättert, findet man zahlreiche alte Fotos und eine von Hand gezeichnete Karte der Gegend rund um den peruanischen Fluß Urubamba und man liest zunächst in einem Vorwort der Autorin von einem nebligen münsteraner Morgen im Oktober 2012.

An diesem Tag stolperte Sabrina Janesch über einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung in dem stand, dass ein Deutscher bereits in den 1870zigern und nicht der Amerikaner Hiram Bingham 1911 die legendäre, verlorene Stadt der Inka Machu Picchu (alter Berg) entdeckt haben soll.

Viele Male hatte Janesch selbst schon Peru bereist, kannte die Geschichte von Bingham, dem das Tiffany-Vermögen sein Entdeckertum finanziert hatte, in- und auswendig, war fasziniert von ihr. Was wenn ihm tatsächlich jemand zuvor gekommen war und die Welt davon nichts wusste?

Janesch nahm sich vor, die Hintergründe dieses Artikels zu recherchieren und schon bald fiel ihr auf, dass die Entdeckungsgeschichte von Machu Picchu tatsächlich nicht genauestens erforscht und aufgezeichnet worden war. Sie grub tiefer, reiste erneut nach Peru, stieß auf eine von Hand gezeichnete Karte dieses Berns, hatte mit den damaligen Entdeckern eines gemein, den unbedingten Willen diesem Rätsel auf den Grund zu gehen und deren Geschichte zu erzählen. Wer war dieser Berns? Großer Entdecker, Schlitzohr, Betrüger oder gar Hinweisgeber für Bingham?

Die goldene Stadt (Sabrina Janesch)

Endlich! Blinzelnd blickte Rudolph auf die Spitzen der Anden, die sich aus dem Nebel heraus geschoben hatten. Er hatte es geschafft, er war tatsächlich bis hierher gekommen. Er war der Sklavenarbeit in der Eisenhütte seines Onkels entkommen, hatte den Stürmen, dem Huger und der Seekrankheit getrotzt. Beinahe zögerlich hatte er seine Füße nacheinander auf das für ihn gelobte Land gesetzt. Peru! Wenn ihn doch jetzt nur sein Vater sehen könnte. Wie oft hatten sie gemeinsam über die Aufzeichnungen von Humboldt sinniert. Nein, er durfte nicht träumen! Es galt voran zu schreiten. Kaum gedacht und umgedreht, rempelte ihn ein Pelikan und hinterließ eine weiße Spur auf seinem, beim Kartenspiel gewonnenen, einzigen, dunkelblauen Anzug. Vermalledeit nochmal! Auf den ersten Eindruck würde es doch gleich ankommen, wenn er in wenigen Minuten für einen Job bei der Eisenbahn vorsprechen wollte. Sein Schicksal würde von diesem Eindruck abhängen …

Der Kanonendonner war ohrenbetäubend, die ersten Einschläge ließen die Männer in der Festung von Callao fallen wie die Fliegen, in Fetzen gerissen, zum Schreien blieb ihnen keine Zeit mehr. Berns, der nur als Ingenieur und kundiger Schmied für die maroden Eisenteile angeheuert hatte, sah sich plötzlich in mitten dieser Hölle aus Rauch, Feuer, Splittern und Tod. Zu Hause in Deutschland war er, vor noch nicht einmal einem Jahr, vor dem Militärdienst geflohen, an’s andere Ende der Welt, nur um auch hier dem Krieg nicht entkommen zu können? Um verwickelt zu werden in eine Schlacht, die in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Die spanischen Schiffe, draussen auf dem Meer, landeten einen Treffer nach dem anderen, wie sollten sie diese Übermacht lebend überstehen? Sie saßen in der Falle …

Er hatte es gewagt! Die Festanstellung und die Beförderung bei der Peruvian Railway hatte er zum Bedauern und Erstaunen seines Chefs ausgeschlagen. Komme was da wolle, er würde jetzt endlich das tun, wozu er hergekommen war. Er würde aufbrechen um sie zu finden, die geheimnisvolle goldene Stadt der Inka, El Dorado! Der einzige Weg zum Erfolg seiner Expedition führte über eine gute Planung und mehr Wissen, soviel stand fest. Alle Aufzeichnungen die es in Cusco über die Inka gab, waren hier versammelt, im Sonnentempel, in den jetzt ein katholisches Kloster eingezogen war. Seiner Eloquenz und einer List hatte Berns es zu verdanken, dass der Prior ihn schlußendlich in sein Allerheiligstes vorließ, in die Bibliothek. Als Rudolph den Schlüssel im Schloß gedreht und die Tür knarzend geöffnet hatte, sog er scharf die Luft ein. Hier herrschte das reinste Chaos, alle Schriften, alle Pläne lagen unsortiert, von einer dicken Staubschicht bedeckt, vor ihm und ihm blieben bis zum Ende der Regenzeit nur noch vier Wochen …

Sabrina Janesch, geboren 1985 in Gifhorn, lebt heute in Münster, für ihr schriftstellerisches Schaffen hat sie bereits mehrere Preise eingeheimst.

Wie eine Schlange windet sich der Urubamba über einen Teil des Buch-Covers. Hier fährt er heute, der Zug durch das Fluß-Tal. Im Roman erleben wir die Anfänge der Peruvian Railway. Davon das Machu Picchu einmal gerodet, beschriftet und sogar massentouristisch erschlossen sein würde, daran denkt in dieser Geschichte noch niemand, man sucht erst danach, oder vielmehr nach dem Gold in der verlorenen Stadt El Dorado. Die modernen touristischen Entdecker sind heute gut verpflegt und mit Allwetter-Kleidung unterwegs. Im Gepäck haben sie dann hoffentlich diesen Roman. Denn wirklich gute Abenteuergeschichten gibt es für meinen Geschmack viel zu selten, in den Buchhandlungen meines Vertrauens begebe ich mich regelmäßig nach ihnen auf Schatzsuche. Das hier ist ein wahrer Goldfund!

Hier flirrt die Luft von Goldstaub und Farben. Sie ist gesättigt mit Sehnsucht, Leidenschaft, Wagnis und Mut. Janeschs eigene Liebe und Begeisterung für Peru spürt man dabei in jedem Wort. Sie zaubert, um den historisch verbrieften Kern, um das Leben des Deutschen Rudolph Berns herum, eine Entdeckergeschichte vom Feinsten. Wir folgen ihr und dem Ruf des Goldes in eine verlorene Welt, die vor unserem geistigen Auge erwacht, fesselnd und szenisch hinreißend beschrieben.

Sie erzählt mit leichter Feder, brilliant recherchiert, verzettelt sich in dieser Opulenz nie und hat eine Sprache, die mich Glücks-Tränchen zerdrücken läßt.

Voll erwischt hat sie mich, als ich in einem Kapitel über den Ausdruck “simmelieren” gestolpert bin, den immer meine Oma verwendet hat, wenn ich mal wieder am Grübeln war. Verlorene Wörter aus einer vergangenen Zeit. Sie setzt diese so präzise ein, dass man den Ton dieses Jahrhunderts im Bauch spüren kann.

Ich bin ihr und Berns so gerne gefolgt, um Kap Hoorn auf schwankenden Blanken, vorbei an Feuerland, über die Höhenzüge der Anden –

– dorthin wo ich körperlich selbst wohl nie hinkommen werde nach Machu Picchu, zur sagenhaften Stadt der Inkas, hoch oben auf 2.430m, im Dschungel von Peru.

Hier war ich auf der Flucht vor handtellergroßen Taranteln, Scorpionen, Vampirfledermäusen, giftigen Schlangen und ganzen Schwärmen von stechenden Insekten. Dann wieder staunte ich schlaflos über leuchtende Käfer, die Geräusche des Dschungels hielten mich furchtsam die ganze Nacht wach. Die Regenzeit mit ihren Schlammlawinen, die Luft ist verdammt dünn, nur keuchend konnte ich die Aufstiege bewältigen und es war saukalt unter meinem Wollponcho, hier oben auf den Andenpässen, die bis in den Himmel zu ragen scheinen.

Plötzlich lichtete sich die Neblina und ich habe den Kopf in einem Kolibri Schwarm, staune über Kondore, die die Aufwinde in den Canyons zum Segeln nutzen. Riesige Mahagonibäume, wilde Orchideen und Bromelien in Hülle und Fülle. Was für ein faszinierendes Land! Diese Kontraste aus schwindelerregender Höhe, Kargheit und einer Vegetation, die so üppig ist, dass sich selbst nach einem Schlag mit der Machete sofort das Dickicht hinter mir wieder schließt. Dazwischen die Ruinen einer versunkenen Kultur, architektonisch noch heute aufsehenerregend.

Helden, die schneidig, verwegen und unerschrocken an Indiana Jones erinnern. Entdecker, die einer tiefen Melancholie anheim fallen, entreißt man ihnen ihr Ziel. Wie die Kirsche auf der Torte fügt Janesch, als Garnitur noch einen Einsatz Berns beim Bau des Panama-Kanals hinzu. Unfassbar wie viel Geschichte zwischen zwei Buchdeckel passen kann!

Der Wagemut ihrer Hauptfigur Rudolph, sein Durchhaltevermögen, sein Entdeckergeist, sein unbedingter Wille, haben ihn zu einem meiner liebsten Buch-Helden und diesen Roman zu einem Highlight meines Lesejahres werden lassen.

Sein ganzes Leben widmete der Deutsche der Erfüllung seines Traum, lebte ihn, erlitt ihn, ordnete ihm alles unter. Die Stimme des Vaters, die auch über dessen Tod hinaus, als Wegweiser in ihm irrlichterte. Die Erreichung seines Wunsch-Ziels wurde ihm zur Prüfung, forderte ihm alle Kraft und Willensstärke ab. Von 1863 bis 1872 war er, immer von der Regenzeit und finanziellen Nöten unterbrochen, im peruanischen Hochland und in der Cordillera Vilcabamba unterwegs. Was für ein Gefühl es gewesen sein muß, als er sich dann endlich am Ziel sah!

Verkannt, vergessen – was für eine tragische Gestalt! Ob er tatsächlich so tickte, was die Autorin dabei fiktional ausschmückt, wird schnell zur Nebensache. Janesch erweckt ihn für uns liebevoll gezeichnet und voller Ehrerbietung zum Leben.

“Der hat sich was getraut” (Textzitat). Fürwahr!

Mein Dank geht an den Verlag für dieses Rezensions-Exemplar.

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