Donnerstag, 14.05.2020
Also das geht so nicht. Überhaupt nicht. Gar nicht. So wie ich sonst meine Rezensionen schreibe, funktioniert das nicht für diesen Text. Warum? Weil ich immer noch fassungslos bin. Weil ich mich immer noch sortiere. Weil mir hier alles andere als Gewohntes begegnet ist und weil es mir diesmal einmal mehr um die Fassung, um die Hörspiel-Fassung geht, als um das WAS mir da erzählt wird.
Ei da Dadaus! Schreibt man das so? Ich fühle mich noch immer als sei ich unter Beschuss geraten. Im Text sind es V2 Raketen die nicht nur auf mich abzielen und dieses Hörspiel schießt echt für mich den Vogel, und ein wahres Feuerwerk ab. Ein episches Meisterwerk, gebannt auf 13 silberne CDs, verpackt in einen knallbonbonbunten festen Schuber, der dankenswerter Weise von einem Booklet begleitet wird, welches mir zum Führer auf meiner Hörerlebnisreise geworden ist.
Die Hörspiel-Fassung: Ich nehme es gleich vorweg, allen denen dieses Medium eher nicht so liegt, sei gesagt hier gehört es hin. Kein Satz wird überlagert von Geräuschen, es gibt rein gelesene Text-Sequenzen und mit Ton gemischte. Zum Glück ist dies kein reines Hörbuch, sondern genauso wie es ist. So ist es richtig, richtig gut!
Noch immer steht mir der Mund offen, und anders als so, hätte ich Pynchons Klassiker nicht erleben mögen. Keines Falls. Punkt. Ausrufezeichen. Ach was, drei Ausrufezeichen! Wie auf einer Bühne habe ich mich gefühlt, inmitten all der Sprecher und Sprecherinnen, genial dirigiert werden sie von Klaus Buhlert, ihrem Regisseur. Mit dem ganzen Körper wird hier gesprochen, mit Leidenschaft und Herz ist man bei der Sache, ein jeder in seiner Rolle.
Fast 14 Stunden lang erklingt nicht nur ein vielstimmiger Chor prominenter Stimmen, die Sprecher und Sprecherinnen, allesamt Hochkaräter, unter ihnen Bibiana Beglau, Corinna Harfouch, Frank Pätzold, Felix Goeser, Jens Harzer, sondern auch eine Geräusch- und Musik-Kulisse die es noch immer in meinen Ohren brummen lässt. Sind das E-Gitarren? In meinem Kopf summt es noch wie in einem Bienenstock. Was für ein Spektakel! Was für ein Bilderbogen aus Tönen!
Es warten Gekicher und Gezische. Stimmengewirr und einzelne Rufe. Eine Jazz-Trompete lockert auf. Eine Mundharmonika ist zu hören. The rhythm’s got me. Bunt und dicht, ich weiß gar nicht wo ich zuerst hinhören soll. Jemand haut in die Tasten eines Klaviers. Rhythm’s got me, yeah! Nach etwa einer Stunde Hörzeit habe ich mich einfach fallen lassen auf diesen Klangteppich.
Wenn ich vergleichen müsste, was eigentlich nicht geht, würde ich sagen, dieses Hörspiel gleicht einem Jazz-Stück. Alle folgen einem vorgegebenen Text und doch wird frei interpretiert. Es mutet beinahe orchestral an und Regisseur Buhlert schwingt den Taktstock. Brilliant. Und hab ich schon gesagt wie cool ich die Musiksequenzen fand? Die Bässe wummern als Intermezzo in meinem Bauch. Und das da, das ist doch unverkennbar Wolfram Koch! Diesmal mit Grabesstimme. Wie schön, das auch er dabei ist. Ich treffe ihn wie einen guten Bekannten, eine Konstante inmitten des Chaos.
Diesmal aber ist nicht er mein Liebling unter all den Stimmen, einer hat ihm den Rang abgelaufen. Einer, den ich bislang noch nicht kannte. Was auch wunderbar ist. Ich liebe solche Neuentdeckungen: Es ist Frank Pätzold. Sein Vortrag ist ehrfurchtgebietend, er ist furios, er ist grandios, 200 Manuskriptseiten hat er gelesen und gespielt. Es hat einen Erzähler und er gibt ihm Kontur, er bildet so die Klammer um alle Kapitel. Wie er die Sätze beginnt und einer der Sprecher sie fortsetzt, ist unfassbar gut überblendet und zusammengefügt. Das habe ich so noch nie gehört!
Und diesen Erzähler im Originaltext hat er ersonnen:
Der Autor, Thomas Pynchon, nur eine Handvoll alter Fotos gibt es von ihm, sein Kollege Salman Rushdie soll als einer von Wenigen wissen, wie er wirklich aussieht. Er gilt als verschroben, eigenwillig und lebt abgegrenzt vom Rummel um seine Werke und um seine Person. Ein Kauz, ein Ausnahmepoet, als der “berühmteste Abwesende der modernen Literatur” (FAZ), so wird er betitelt. Seine Stimme kennen manche, dies von einigen Gastauftritten bei den Simpsons. Am 08. Mai feierte er seinen 83. Geburtstag, wie auch immer, wo auch immer. Nachträglich: Congratulations! Erstaunliches über ihn und sein Schaffen ist auch in dem Begleitheft dieses Schubers erfahrbar. In einem Interview mit Klaus Buhlert habe ich gehört, das die Freigabe der Rechte zur Audio-Bearbeitung dieses seines Textes durch ihn bislang als aussichtslos galt. Jahrelang verhandelte der SWR mit ihm, dann konnte es endlich los gehen, mit der Entstehung dieses Ton-Kunstwerkes.
Die Roman-Vorlage: Inhaltlich hat mir bislang glaube ich noch kein Text so sehr den Zugang erschwert wie dieser hier. Unzusammenhängend, auf die Spitze getrieben, verwirrend, lesend hätte ich ihn sicherlich aufgegeben. Um ehrlich zu sein macht mir der Gedanke an einen weiteren Pynchon Roman, der noch immer ungelesen in meinem Regal steht, jetzt nicht nur Angst weil er aus 1596 Seiten leicht gelbstichigem bibeldünnem Papier besteht …
Literarische Postmoderne, Jahrhundert-Roman. Meilenweit jenseits meiner Lesekomfortzone war ich hier unterwegs. Aufgewühlt und schon auch ein Stück weit überfordert.
Und darum geht es in Kürze: Tyrone Slothrop, er wurde von einem irren Wissenschaftler auf einen Farbstoff der I.G. Farben konditioniert und reagiert fortan mit einer Erektion! auf eine sich nähernde V2 Rakete. Was das in der Zeit bedeutet, in der sich Raketenangriffe auf London häufen (1944/45) mag ich jetzt nicht näher ausführen, das übernimmt Pynchon zur Genüge. Was folgt ist eine Jagd oder auch eine Flucht, so genau weiß ich es nicht zu benennen, durch die Zone, wie Pynchon das besiegte Deutschland nennt, auf der sich Slothrop nicht nur vor attraktiven Agentinnen, skrupelosen Russen, sondern auch vor Infektionskrankheiten in Sicherheit bringen muss.
Hexen lesen am Boden einer Tasse aus Erdbeerblättertee, Zeitsprünge, Sinnsuche. Wer oder was bin? Fragt sich nicht nur Slothrop. Wer hat mich zu dem gemacht der ich bin? Hat das aus mir gemacht, was sich jetzt an mir zeigt? Die Macht der Mächtigen und die Kapitulation der Schwachen. Vertrauen führt, wer aber eine Rakete besitzt und auch einsetzt, eine Rakete die alles durchdringen kann, dem ist nicht mehr zu trauen. Verlockt von der Macht, todbringende Waffen haben zu allen Zeiten eine Rolle gespielt und bei Pynchon übernehmen sie eine zentrale Rolle.
Vor mir öffnet sich ein Text wie ein abstraktes Gemälde, nein eher wie ein Comic, ein surrealer, vor dem man sich versammeln, auf den/das man mit dem Finger zeigen und in dem jeder etwas für sich entdecken kann. Episodenhaft, schrill, provokant und im Stil eines Groucho Marx. Dem der Pulitzer Preis 1974 durch das Vergabekomitee verwehrt wurde, weil dieses ihn für obszön und unlesbar hielt.
Vielleicht waren an dieser Entscheidung auch diese Pilze nicht ganz unschuldig, die hier auf einem Dach wachsen, mit grell orangefarbenem Hut. Zu einem feinen Brei verarbeitet und gebacken, vermögen sie eingerollt in Zigarettenpapier und geraucht so einiges …
Nizza, Sonne, Wärme, Agenten-Feeling. Puttin’ on the Ritz. In Zürich auf der Jagd nach Informationen, das Ziel das Geheimarchiv von Sandoz. Ein U-Boot vor der spanischen Küste, liegt hier der entscheidende Hinweis-Schlüssel? Ankommen, zusammengerollt im Frachtraum eines Kleinflugzeuges. Übergabe der Unterlagen in einer Kruft. Getarnt als Kriegsberichterstatter, eine Armbinde weist ihn als solchen aus, nur glaubt ihm keiner.
Hier warten Fragmente und Splitter, nicht nur die von Raketen. Eine zerfetzte Geschichte, ein aufgesprengter Plott in der ich permanent nach dem roten Faden auf der Suche war.
Bedrohlich, ironisch, lakonisch und chaotisch. Angereichert mit Drogen und Wahrheits-Seren. Perverse Lust und militärische Dominanz. Gesang, Radau und Wirren. Hinter meiner Stirn zieht ein wahrer Sturm an Bildern auf, bevor alles, wie sollte es auch anders sein in einen Countdown mündet. Ich schnappe nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trocknen. Fühle mich überrannt.
Als Meisterwerk angekündigt. Achtung Vorsicht! Hier knallen nicht nur die Farben des Covers. Ich fühle mich durchgerüttelt, durchgeschüttelt und bin mir nicht sicher, ob ich am Ende alles verstanden habe, was hier beabsichtigt war, das der geneigte Hörer mitnehmen sollte. Im Booklet klärt mich Denis Scheck auf, was ER heraus gelesen hat, aus Pynchons Zeilen, outet sich als Fan. Ich grüble und beschließe, das die Postmoderne literarisch eher nicht mein Ding ist. Ich brauche es doch etwas griffiger, weniger abstrakt, abstrus und derb. Harte Satz-Gegensätze halte ich eben nicht so gerne aus, auch wenn es hier so einige gab, die ich durch aus mochte. Diesen hier zum Beispiel:
“Wer kann sich schon anmaßen zu sagen, was der Krieg wirklich will. Riesig und unnahbar wie er ist. So losgelöst von allem. Der Krieg, das ist vielleicht gar kein bewußtes Wesen, vielleicht gar nichts lebendiges. Vielleicht ist er nur etwas das dem Leben grausam und zufällig ähnelt.“
Textzitat Thomas Pynchon Die Enden der Parabel
Mein Dank geht an den Hörbuch Hamburg Verlag für dieses Rezensionsexemplar. Rhythm’s got me, yeah!
Mehr Informationen zum Titel nach Klick auf das Cover, inkl. Hörspiel-Trailer.
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