Die Entmieteten (Synke Köhler)

Samstag, 09.05.2020

“Die Wahl der Waffen liegt bei Ihnen. Messer, Pistolen, Bagger, Anwälte … Möge der Heimtückischere gewinnen. Hiermit erkläre ich eine neue Runde der Häuserspiele für eröffnet …”

Textzitat Synke Köhler Die Entmieteten

In deutschen Großstädten ist Wohnraum knapp, kostbar und teuer. Wohl dem, der ein Häuschen sein eigen nennt, mit kleinem Garten vielleicht sogar. Wohl dem, der eine geräumige, lichtdurchflutete Wohnung als Eigentum besitzt. Mit Balkon oder Terrasse vielleicht. Der sich hier, nicht nur in Zeiten von Social Distancing ein Refugium schaffen kann. Wohl dem, für den Miet- und Kredithaie Fremde sind und bleiben. Wohl dem, der noch nie auf einen Vermieter treffen musste, für den das Wort Reparatur ein Fremdwort ist und der seine Mietobjekte als reine Investition sieht, seine Mieter als Subjekte. Aus den Schlagzeilen unserer Tage, in den Zeiten, die DER Virus beherrscht ist vieles verschwunden was noch vor Wochen ein Thema war und doch gibt es sie noch, die Übergangenen, die Entrechteten und die Entmieteten. Die deren Lebensraum man kernsaniert um anschließend einen horrenden Preis dafür aufrufen zu können. Gegenwehr zwecklos? Hier sucht eine Handvoll Betroffener nach Möglichkeiten …

Die Entmieteten von Synke Köhler

Alles beginnt mit einem Brief. Jeder in dieser Hausgemeinschaft hat einen erhalten. Textlich und inhaltlich gleich und jetzt, stehe ich mit Kathleen stehe am Rand einer Mieter-Versammlung. Ich schaue ihr über die Schulter. Auf die, die ratlos sind. Auf die, sich gleich streiten werden. Auf die, die noch nicht wissen was sie wollen werden und auf Markus Amreiter, der hier gerne der Rädelsführer wäre. Wenn sie ihn denn ließen. Noch ist er für sie eher der Fernseh-Fuzzi, aber wenn doch vielleicht seine Kontakte helfen könnten abzuwenden was unabwendbar schien? Amreiter ist überzeugt, das man dabei ist aus dem Prenzlauer Berg eine “gated community” zu machen. Wenigverdiener, Rentner und Künstler hatten künftig draußen zu bleiben. Das Kiez war schon tot und jetzt sollte hier eine neue Enklave entstehen, aber nicht mit ihm …

Andi auf dem Seilbagger mit seiner Abrissbirne, die pendelnd hin und her schwingt und am Ende des jeweiligen Schwungs donnernd gegen die Hausfassade kracht, wird jäh gestoppt. Von seinem Kollegen. Der mit wedelnden Armen todesmutig vor der Birne tanzt. Andi flucht, er hatte von einem frühen Feierabend geträumt. Jetzt kletterte er schimpfend aus dem Führerhaus und stolperte mit seinem Kollegen durch den Schutt. Aufgeregt zeigte sein Kumpel auf etwas. Da, ein Arm mitten in den Trümmern und Andi hielt ihn zunächst für den einer Schaufensterpuppe. Beim Anfassen der Finger aber musste er feststellen, dieser Arm hier hatte mal gelebt, und er hing offenbar auch noch an seinem Menschen …

Das Geräusch kam eindeutig aus dem Keller und was trugen diese Männer da in den Press-Container der vor dem Haus stand und alles gierig verschlang was sie in ihn hinein warfen? Das war doch IHR altes Spielzeug, oder? Sie rannte. Im Treppenhaus abwärts und tatsächlich, sie räumten die Keller! Auch ihren. Aber sie war doch noch hier. Lebte hier. Das ging doch so nicht …

Synke Köhler, geboren in Dresden, ist Grafikerin, hat ein Psychologiediplom, studierte an der Drehbuchwerkstatt München und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie veröffentlichte Lyrik und Erzählungen und im September 2019 erschien dieser ihr Roman. Sie lebt in Berlin-Friedrichshain und ist inzwischen selbst und unfreiwillig zur Miet-Aktivistin geworden.

Sie wählt eine Erzählweise, die schlicht und reduziert ist. Selbst die eingefügte wörtliche Rede beginnt stilistisch stets mit einem einfachen Bindestrich. Ihr Unterton ist ernst, schließlich gibt es hier auch wenig bis nichts zu lachen. Ausgesprochene Sätze ihrer Protagnisten fügt sie knapp und prägnant ein. Das verleiht dem Geschehen eine ganz eigene Dynamik, akzentuiert den Text eigenwillig und sehr stimmig.

“Die Wiese war ein Schlachtfeld, alle Bäume auf der Wiese waren gefällt, lagen hilflos, ungeordnet, zurückgelassen auf einem Feld mit riesigen Löchern … Grotzki fühlte sich an ein Gräberfeld des Ersten Weltkrieges erinnert. Krieg. Krieg um die Ressource Wohnung.”

Textzitat Synke Köhler Die Entmieteten

Machtlos, skrupellos. Mir schlackern die Ohren. Fragen werden aufgeworfen, die mich nachdenken lassen darüber, wie wir künftig leben wollen. So nicht, will ich meinen und das wie ich finde grandiose Cover mit der Anmutung eines lost places hat es mir auch angetan. Raue Schale, heller Kern, im Inneren finden sich wunderbare Wortschöpfungen: Entwohnt, entmietet – welch kunstvolle Wortwahl für ein so gewissenloses Vorgehen. 

Im Ostteil von Berlin treffen einstige DDR-Rockstars, Fernsehschaffende, Witwen, Rentner und WGs die sich über Nacht in Nichts auflösen auf Bauarbeiter die nur ihren Job machen. Sie wehren sich, gegen das vertrieben werden mit Musik, Balkonkonzerten, mit Aktionen, die weiß getünchte Friedhofskreuze beinhalten. Sie beerdigen gefallene Bäume und zerplatzte Wohnträume/räume. Halten zusammen und trennen sich. Finden sich und treiben auseinander. Nachts wenn das Licht der Baumaschinen ihre Zimmer taghell erleuchtet und der Schlaf nicht kommen will. 

Wer nicht gehen will, wer ein alternatives Angebot nicht annehmen will, der wird halt raus gemobbt. Es klopft, bohrt und hämmert bei Tag und Nacht. Das Wasser ist schnell abgestellt, die Heizung auch. Fenster werden ausgebaut in den Wohnungen die bereits leer stehen. Im Treppenhaus zieht ein unaufhörlicher Wind ein, der Staub trägt, bis in die kleinste Ritze.

Ehepaare reißt die Entscheidungsfindung auseinander, ein Jetzt-erst-recht-Ruck geht durch die Figuren, die mit viel Empathie gezeichnet sind. Entwurzelung vs. Heimatgefühl. Herzen binden sich eben auch an Orte. An gewohnte Kreise und je länger man in ihnen lebt, desto schwerer ist ein aufgeben derselben.

Härtere Bandagen, Erschütterungen, Vibrationen und Drohbriefe bestimmen den Alltag, machen mürbe. Streit entbrennt zwischen ihnen, den Zurückgebliebenen. Streit über das Gehen, über das Bleiben, über das Warum, das Wieso, das Was-Jetzt und das Was-Dann. Routinen sind gestört, ein normaler Tagesablauf ist dahin. 

Köhler zeichnet ein Bild von Zerfall und Aufbruch, vom Loslassen von Zwang und Ausweglosigkeit. Aber auch von Zusammenhalt und davon, wie aus anonymen Nachbarn Gefährten werden.

Eine Wohnung ist nie nur eine Wohnung. Sie ist ein Zuhause und in diesen vier Wänden sammelt sich ein Leben, sammeln sich Erlebnisse an. Gleich ob man hier alleine war und/ oder ist. Ob man geteilt hat, was einem wichtig war. Eine Wohnung, das sind vier Wände die zusammen halten was einen ausmacht. Die, wenn sie erzählen könnten alles von uns wüssten. Ich  erfahre von Synke Köhlers Figuren nach einem Blick hinter die Gardinen, nicht nur was sich hier in den einzelnen Etagen abspielt, sondern auch was in ihnen vorgeht. Was ihre Mieter zu den Menschen gemacht hat, die sie jetzt sind. 

Verzweifeltes Wehren und Aufgeben. Affären, Groupies und Drogen. Sinnsuche, Musik und gescheiterte Beziehungen. Fünfzig Jahre gemeinsam verbracht, zum großen Teil in dieser Wohnung. Jetzt trennt sie ein Mietstreit. Wirklich nur der? Wenn es nur so einfach wäre.

Man lässt mehr zurück als nur leere Räume. Fühlt sich amputiert, wie ausgesetzt, so hinausgeworfen, seines Rückzugsortes beraubt, während die eigenen Erinnerungen noch immer hinter der Tapete kauern, derweil das Haus auf seinen Abriss wartet. Traurig und wehmütig, zornig und empört. Resigniert und auch hoffnungsvoll. Die Autorin hat all das in ihren Roman gepackt und in ihre Figuren. Ich war bei ihnen von Anfang an, Satz um Satz, Seite um Seite, bis zum unvermeidlichen Ende und lasst Euch nicht täuschen. Das die Hand in dem Schuttberg zu dieser Person gehört, das hätte ich nie gedacht, aber verstehen kann ich es schon …

Für mich hat sich mit diesem Roman einmal mehr bewahrheitet, wie lohnend es ist, sich in den Programmen kleiner, unabhängiger Verlage umzuschauen. Diesen hier werde ich fortan fest auf meinem Zettel haben!

Mein Dank geht an den Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin für dieses Rezensionsexemplar. 

Verfasst von:

4 Kommentare

  1. Petra
    6. Juni 2020

    Mensch Thomas, Dankeschön! Deine nette Rückmeldung und das Lob freuen mich sehr, sind mir ein Ansporn. Schön, dass Du mit liest. Beste Grüße von Petra

  2. Thomas
    6. Juni 2020

    Hallo Petra….ich könnte dir und deinen tollen Rezis ewig zuhören….die Passage “:…seines Rückzugsortes beraupt, während die eigenen Erinnerungen noch hinter der Tapete kauern, derweil das Haus auf seinen Abriß wartet…” .ist ein sprachliches Meisterstück ✨. Ich wünsche dir ein gediegenes Wochenende..🎻Liebe Grüße Thomas

  3. Petra
    14. Mai 2020

    Sehr gerne und ich freue mich, das ich einmal diejenige sein darf, die Dir einen Titel und Verlag zeigt, den Du noch nicht kennst. Sonst war es bislang immer umgekehrt. Viel Freude bei der Entdeckung wünscht – Petra

  4. Birgit
    11. Mai 2020

    Das klingt ziemlich interessant, am Puls der Zeit! Danke für den Hinweis auf Buch und Verlag – der ist mir ganz neu, da bin ich jetzt neugierig geworden.
    Das Thema der Gentrifizierung – ich hoffe, dass da Corona etwas Dynamik rausnimmt. Wohnen ist ein Menschenrecht…
    Liebe Grüße Birgit

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