Gharapuri, die Europäer nennen diese Flussinsel “Elephanta” was naheliegt angesichts des Fundes den die Briten hier seinerzeit gemacht haben. Die Steinskulptur eines Elefanten wurde hier geborgen und steht heute vor dem Zoo in Mumbai.
Verblieben sind auf Gharapuri bis heute Darstellungen der hinduistischen Götterwelt, hauptsächlich verehrte man Shiva, die kunstvoll aus Höhlenwänden herausgemeißelt wurden und die seit 1987, wie auch die Insel selbst, zum UNESO Weltkulturerbe gehören.
Was für ein Schauplatz für eine Geschichte. Eine die wahr ist. Vielleicht. Eine dumme Geschichte, oder die dümmste, die je nach Indien gekommen ist vielleicht, so meint jedenfalls ein Held dieses Romans. Wer weiß? Wahrscheinlich diese Autorin, die ihren Buchtitel in die Sterne schreibt …
Die Dame mit der bemalten Hand von Christine Wunnicke
Es war einmal ein Reisender, namens Ustad Musa ibn Zayn ad-Din Qasim ibn Qasim ibn Lutfullah al-Munaggim al-Lahuri, der um die 50 Jahre alt war als er zu einer Reise aufbrach. Sein Augenlicht schwand mehr und mehr. Es war Zeit wollte er noch eine Pilgerfahrt gen Mekka schaffen. Meister Musa, wie ihn die meisten nannten war von Beruf Astronom, persischstämmig, vom Geiste her der Wissenschaft zugetan und eher der rationale Typ. Der Wind, ein nachlassender, ließen ihn und sein Boot nicht weit kommen und alsbald schon stranden. Am Ufer einer Insel im Fluss und seine erste Erkundungstour im Rahmen dieser Zwangspause, führte ihn zu einer Höhle auf diesem Eiland, welches kein Boot mehr planmäßig ansteuerte. Erst glaubte er noch sich vertan zu haben, dann aber sah er auch was er hörte: Ein Flüstern in der Stille, und denjenigen von dem es ausging …
Das Fieber hatte ihm alle Kraft geraubt. Wenn ihn jetzt niemand fand, würde diese Unternehmung nicht nur vorbei sein, sondern sein Leben auch. Carsten Niebuhr, Karthograph und Entstandter seiner Majestät des dänischen Königs und der Göttinger Universität, sollte reiche Ernte für seine Auftraggeber einfahren. Soweit der Plan. Davon allerdings, von einer Ernte, gleich welcher, war die Gesandschaft weit entfernt. Mit der Malaria hatten sie sich infiziert und er war hier auf einer Flussinsel, in der Nähe von Bombay, kollabiert und die Stimme, die er jetzt zu hören glaubte, als er weiß wie ein Leintuch zu Boden sank, war wohl auch nur eine Halluzination …
Christine Wunnicke, geboren am 29. September 1966 in München, deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin, schrieb sich mit dieser Geschichte 2020 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, zwei weitere Romane von ihr wurden zuvor schon auf der Longlist der Buchpreis Jury notiert. Gewonnen hat den begehrten Preis letztlich ein anderer, dafür erhielt aber Wunnicke für “ihre Dame” den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis. Sie erschaffe Figuren, die stets geschichtlich verbrieft, in ihren Büchern ein oft exzentrisches Eigenleben entwickelten und mit einer besonderen Obsession ausgestattet seien, so die Jury. Ihren Roman Katie, der ebenfalls eine Longlist Nominierung erhielt, steht noch auf meinem Wunschzettel und “die Dame” ist seit ein paar Tagen auch als Taschenbuch-Ausgabe erhältlich.
Wie ein reich verziertes Schmuckkästchen, dessen Schloss mit einer Hand nicht zu öffnen ist, präsentiert Wunnicke mir ihre Geschichte. Ich habe ganz schön daran herum geknibbelt, bin durch die ersten Sätze gestolpert, fand sie sperrig und wenig einladend, gestrig und irgendwie holprig. Wenn das so weitergeht, dachte ich bei mir, bleibe ich an dieser viel gelobten Geschichte doch nicht dran …
“Sorge dich nicht um die Einzelheiten.” Meister Musa lächelte. “Ich verbreite nur indische Stimmung, damit du dich in dich fühlst.”
Textzitat Christine Wunnicke Die Dame mit der bemalten Hand
Viele Details ihrer Geschichte spiegeln genau diese Anmutung für mich. Sie ist prall gefüllt. Das Füllhorn aus dem der Astronom Meister Musa für seine Geschichten schöpft, um sie uns und seinem Weggefährten zu erzählen, scheint keinen Boden zu haben. Er ist ein sprudelnder Quell der Weisheit. Aber was ist er wirklich? Märchenonkel oder Lügenbaron?
Ich erfahre von der Gründung Jaipurs, vom Ursprung der Mathematik, von Architektur und Astrononmie. Flächen bedecke man mit Chaos, meint er, auf das man die Geometrie der Bauwerke nicht sehe. Aha.
Was von alledem ist Wahrheit und was ist Dichtung? Wunnicke und ihr Meister Musa spielen mit mir und mit dem fieberkranken Carsten Niebuhr, den er aufliest. Den sie einen miserablen Christen schimpfen, weil er selbst im Angesicht des Todes nicht betet.
Niebuhr der Mathematikus aus dem fernen Alemanya ist einer von insgesamt fünf Expeditionsteilnehmern, die der dänische König nach Arabien entsandt hat um sie alle reich zu machen. Reich an Erkenntnis, denn man hoffte die Männer würden Beweise für die biblische Geschichte finden. Finanziell hoffte man auf exotisches Handelsgut. Die Idee dieser Entdeckungsreise, war auf dem Mist eines Göttinger Orientalisten gewachsen, eines schneidigen Professors, dem niemand je wirklich widersprach. Die Mission aber sollte rasch kippen, ins Gegenteil einer spaßigen Abenteuerfahrt. So weit der wahre, historisch verbürgte Kern der Geschichte, den die Autorin hernimmt und fiktional erweitert. Ihr Kartograph und Mitbegründer der Keilschrift, Carsten Niebuhr, kommt weit über Persien hinaus, bis nach Indien, wo sie ihn stranden lässt, fiebernd und am Ende seiner Kräfte.
Wunnicke stellt uns in seine Stiefel. Als das Fieber ihn erwischt und er zu halluzinieren beginnt, allein und fern der Heimat, muss das grausig gewesen sein, nachdem alle seine Gefährten bereits tot waren. Ihn also sammelt in diesem Zustand ein Astronom auf und er und der Expediteur müssen zunächst einmal eine gemeinsame Sprache finden, keiner spricht ja die des anderen und so bildet das Arabische die Brücke für ihre philosophischen Dialoge, aber es birgt auch Missverständnisse, besonders wenn es darum geht, ihre Unterschiede in Sachen Religion und Weltsicht abzugleichen. Für diese Passagen brauchte ich als Leserin Stehvermögen.
Dann geht Christine Wunnicke aber her und deutscht Textbestandteile wortwörtlich so ein, das ich das wieder ausgesprochen tricky und witzig fand. So kommt im Geschichtenaustausch am abendlichen Feuer der Satz “Deck dich selbst, oh kleiner Tisch des Wunders”, für das Märchen Tischlein deck dich zum Einsatz, und man lügt hier nicht wie gedruckt, sondern wie gestempelt. Die Sternbilder des Nachthimmels, insbesondere Kassiopeia, erhellen die Dunkelheit während dieser Gespräche und verwoben werden von Wunnickes Hand mit Geschick, Mensch und Gestirn, Phantasie, Traum und Wirklichkeit.
Die Geschichte geht langsam voran, mit reichlich gedanklicher Seitdrift. Die Sprache ist mal blumig, mal hakt sie für mich. Zwischendurch habe ich sie zur Seite legen müssen, war des Fabulierens müde, trat mit ihr auf der Stelle. Dann aber wollte ich es doch wissen, wie es mit den beiden ungleichen Männern weitergeht. Kommen sie da wieder weg? Hält sich Wunnicke an die geschichtliche Vorlage? Trennt sie beide wieder? Besiegt Niebuhr das Fieber?
Ohne den anderen hätte der eine nicht überlebt, und der kluge Diskurs der Zufallsbekannten, der wie zufällig wirkt, ist ausgeklügelt und geplant. Belegt er doch, das Religion und Überzeugung keine unüberwindbaren Grenzen darstellen, das Toleranz immer möglich ist, wenn man bereit ist seinen Blick zu öffnen, dies zu allen Zeiten, das Hilfsbereitschaft immer eine eigene Sprache spricht, und die wird auch verstanden.
Eine Nacht, die alles wendet. Zwei Engländer tauchen auf und geben dem Schicksal einen neuen Lauf. Niebuhrs Lebenskraft balanciert auf des Messers Schneide, das Sternbild der Kassiopeia, Musa nennt es “die Dame mit der bemalten Hand” geht über Elephanta auf und Malik, der junge Diener Meister Musas geht verloren …
Wunnicke gibt Gas im letzten Drittel ihrer Geschichte, mich versöhnt sie so, lässt mich den ein und den anderen Dialog vergessen, der meine Nerven strapaziert hat. Ihre Sätze erhalten wieder mehr Fluss und ich erkenne sie, die Moral von der Geschicht’, oder auch ihr dickes Ende, das kommt dann tatsächlich hier auch am Schluss. Nicht nur die Tochter von Meister Musa, die hochschwanger ist, ist jetzt auch hochempört. Ich bin es ebenfalls. Haben mich die Autorin, respektive ihr Astronom, da etwa meisterlich an der Nase herumgeführt?
Na warte, das merk’ ich mir!
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