Passionierte Gärtner versuchen mit Liebe und Sorgfalt die Natur zu zähmen. Auffällig ordentlich geht es in so manchem Garten zu, straffe Formschnitte sorgen für Struktur. Reichlich Beton und Kies halten vielfach Einzug.
Wir halten das etwas anders. Bei uns gibt es Ecken da darf wachsen, was dort wachsen will und ich bewundere oft staunend, wo sich so manches Pflänzchen festhält, sich einen Platz erobert. Einen findet, den ich ihm nie zugedacht hätte.
Verwunschene Gärten, denen man die Hand ihres Gärtners nicht ansieht, sind mir die liebsten und vielleicht gehören jetzt diese Gedichte von Simone Lappert, die viele von Euch von ihren Romanen kennen, die Der Sprung oder Wurfschatten heißen, und ebenfalls bei Diogenes erschienen sind, genau deshalb jetzt zu meinen Lieblingen.
In ihnen knospt und wächst es, rankt und ringelt, frostet und taut es. Aber nicht nur und ausschließlich. Ihre Worte schlagen mal freudig Purzelbäume, halten sich dann wieder vornehm zurück, stupsen mich an und sagen, hey, komm lies mich noch mal. Sie schicken mich auf abseitige Wege, auf die Flucht und vorbei an nächtlichem Gespinst und Ungemach:
fluchtweg die straße im dunkeln bei neunzig kmh, weisse striche auf beton: ein schnittmuster, durch die landschaft gelegt. die kühlerhaube schneidet die straße stück für stück, macht einen scherenschnitt aus zeit und deiner angst zu bleiben. scheinwerfer kegeln bäume aus der dunkelheit ans fenster, zum posieren an den straßenrand: hostessen der nachtfahrer, ihr unterholz raffend, rücken die kronen zurecht im wind, stehen schön in der gegend und helfen nichts. (c) Simone Lappert
Simone Lappert, geboren 1985 in Aarau, ist Präsidentin des Internationalen Lyrikfestivals Basel und wurde für ihre eigene Lyrik u.a. mit dem Heinz-Weder-Preis ausgezeichnet. Diesen aktuellen Band widmet sie ihren Grosseltern und verbindet Empfindungen mit Naturbildern, was mich auf einer Ebene angesprochen und berührt hat, die tief in mir liegt. Sie schreibt über schlaflose Nächte und über Langschläfer, übers Scheitern und Strawberrymoments. Schreibt alles klein, damit meine Augen sich an nichts stoßen und ich ungehindert aufnehmen kann.
Sie weiß, man ist dann erwachsen, wenn einem schon lange niemand mehr ein Brot gestrichen hat. Neue Worte entstehen bei ihr wie bei der Pflanzenveredlung, allerdings auf völlig unerwarteten Unterlagen und Wortstämmen und sie dürfen auch wilde Ausläufer treiben. Ich staune pausenlos, lasse sie mir auf der Zunge zergehen und lausche ihnen hinterher.
Lappert bildet aber nicht nur blumige, wurzelnde Gedanken ab, sondern formuliert auch Erinnerungen an Großmütter, Ferienhäuser, Lieblingsmenschen, eine Amour Fou und eine kleine Eiszeit in diesem, schmalen, feinen, lindgrünen und in Leinen eingebunden Juwel mit lavendelfarben sanft schimmernder Schrift auf dem Buchrücken, das mit mir mit dem Frühling getuschelt hat. Leise und sanft.
Diese Verse sind wie Pflaster für geschundene Winterseelen. Die es dürstet nach Wärme und Sonnenstrahlen. Ich strahle, wenn ich Lapperts warmherzig, charmant und auch humorvolle Gedanken auf den Seiten lesend aufsammle, staune über die, die sie von innerhalb, außerhalb und oberhalb zusammenführt.
oberhalb sie hat etwas heimliches, die frühe hier, macht fenster zu feldstechern: feierlich stellt der morgen bäume scharf und rollt von osten her die landschaft auf. über nacht wurde vereinzelt farbe nachgetragen, die stille hat flechten angesetzt und ein paar vögel verteilt, um sich zwischen ihnen zu beweisen. sie hat etwas heimliches, die frühe hier, macht mich zur statistin, stirn gegen glas, die wolken auf scheitelhöhe. (c) Simone Lappert
Nicht mehr aufhören mit dem Zitieren möchte man. Ich. Modern, klug und mit ganz eigenem Sound stehen auch schon mal einzelne Sätze für sich allein, nehmen mich für sich ein. Euch ermutigen, auch die Noch-Nicht-Lyrik-Fans unter Euch, das möchte ich gern. Lest und genießt diese Verse. Oder beschenkt jemanden mit ihnen, der vielleicht eine grüne Seele hat, der nächste Anlaß dafür kommt bestimmt. Heute ist der Welttag des Buches und ich möchte ihn gerne mit diesem Textjuwel feiern. Lege es jetzt auf meinen Nachttisch, damit ich es immer griffbereit habe. Nach langen und nach schönen Tagen, nicke Frau Lappert zu, beim Lesen ihres Nachklangs, der mir von innen auf die Ohren drückt, mein Herz wund streichelt und sage Dankeschön. Für jeden einzelnen Vers!
nachklang geräuschlosigkeit kämmt das trommelfell aus, entzaust den lärm der jahre, macht dich ganz ohr und da. die stille eine abtastnadel, fährt erinnerungen lang, spielt noch einmal alles ab, was war. nicht aufstehn jetzt, nur blinzeln und atmen und leise bleiben, warten auf den hidden track in diesem unbehagen. (c) Simone Lappert
Mein Dank geht auch an den Diogenes Verlag für dieses Besprechungsexemplar.
Sehr gerne Dorothee, die gesammelten Gedichte von Hesse liegen auf meinem Küchentisch, ihn lese auch ich zumeist und immer wieder gerne. Lappert passt, obwohl ganz anders, ganz wunderbar dazu. Ihre Wortschöpfungen finde ich großartig. Viel Freude daran. Liebe Grüße von Petra
Liebe Petra!
Danke für dieses “Juwel”…ich lese selten Lyrik, habe immer mal so Phasen, in denen ich dann meist Hesse und Erich Fried lese…
Dieser Band macht mich neugierig – ich werde ihn vormerken!
Grüße aus Kiel von Dorothee