Der Trick (Emanuel Bergmann)

Sonntag, 24.09.2017

Zaubern können, aber so richtig. Unliebsame Aufgaben auf Arbeit, Hausstaub, Unkraut einfach weg hexen, das wär doch mal was. Gleich ob große Show oder kleine Taschenspieler-Tricks, ich lasse mich davon gerne beschummeln und bezaubern. Der große Houdini, David Copperfield, Siegfried und Roy oder auch ein unbekannter Straßenzauberer mit einem kleinen Karten-Trick, ich bin da stets wie gebannt. Will gar nicht ergründen wie es tatsächlich funktioniert eine Jungfrau zu zersägen oder schweben zu lassen. Sch… auf den doppelten Boden, ich will einfach nur staunen dürfen!

Also Vorhang auf, oder Flash-Back in eine Zeit ohne Farbfernsehen, ohne Internet. Eintauchen in eine Welt aus Magie, Tricks und Sensationen, live und in Farbe …

Der Trick (Emanuel Bergmann)

Prag, vor dem ersten Weltkrieg

Rabbi Goldenhirsch kreiselte in seinem kleinen Leben. Was ging ihn das denn bitte an? Dieser Krieg war weit weg. Das hatte er selbst dann noch geglaubt, als sich die Straßen von Prag langsam geleert hatten. Geglaubt, bis zu diesem Tag, dem Tag an dem man den Rabbi selbst, mit Uniform und Bajonett einzog. Dieser Krieg war nicht wählerisch …

Dünn und versehrt kehrte er zwar heim, humpelte zurück in sein altes Leben. Aber wie sehr seine Frau ihn auch drängte, das Erlebte wollte nicht über seine Lippen kommen …

1934. Prag. Es war so ein schöner Abend gewesen im Zirkus. In die Manege hatte ihn der Zauberer geholt, als Assistent. Nach der gemeinsamen Verbeugung, dem freudigen Applaus des Publikums hatte er sich in diese Welt verliebt, unsterblich und unwiderruflich. Die schwebende Prinzessin, da war er sich sicher, war der beste Trick, den er je gesehen hatte, wenn es denn überhaupt ein Trick gewesen war …

Sein Vater indes war krank vor Sorge gewesen, als er spät am Abend wieder zu Hause angekommen war. Rasend vor Zorn züchtigte er seinen Sohn, wie er es noch nie zuvor getan hatte. In dieser Nacht konnte Moses nur auf der Seite liegen, so sehr schmerzten ihn Rücken und Gesäß. Schlaflos fasste er einen verzweifelten Entschluß, er musste fortgehen. Fliehen vor der wachsenden Feindseligkeit, vor den Gewaltausbrüchen des Vaters, die nach dem Tod seiner Mutter jeden Tag eine Steigerung erfuhren. Er legte seinen Kaftan ab, kürzte seine Schläfenlocken. Ein anderer wollte er werden, kein Bittsteller, kein Jude mehr sein. Still stand er auf in dieser Nacht, packte ein paar Habseligkeiten und folgte dem Zirkus, der die Stadt bereits verlassen hatte. Hier würde er werden können was immer er wollte, hier war sein neues zu Hause …

Zabattini wurde übel. Das war das falsche Schwert, welches der Halbmond-Mann mit in die Manege genommen hatte. Wenn er es jetzt in den Koffer steckte würde er Julia unweigerlich schwer verletzten. Mit einem Hechtsprung und dem Mut der Verzweiflung warf er sich dem ausgestreckten Schwert entgegen. Eine der Öllampen am Rande der Manege fiel dabei um. In Windes Eile streckten sich die Flammen dem großen Vorhang entgegen, der die Manege begrenzte, setzten ihn in Brand. Die Zuschauer flohen in wilder Panik. Rauch so dicht wie eine Nebelwand versperrte ihnen die Sicht, nahm den Atem, umgestürzte Bänke behinderten den Weg zum Zeltausgang, wie von Sinnen hämmerte Julia von innen gegen die Kofferwände …

Los Angeles. Im Hier und Jetzt. Max war gerade zehn geworden, als seine Eltern ihn am Abend zum Essen ausführten um ihm zu eröffnen, das sie ihn sehr lieb hätten, sich für ihn überhaupt nichts ändern würde, sie sich aber trotzdem scheiden ließen. Max war sich sicher gewesen, alles war nur seine Schuld. Der Streit letztens mit dem Vater, als er den Hasenkäfig nicht sauber machen wollte, weil er so viel lieber ins Kino gegangen wäre. Da hatte sein Vater ihm gedroht, wenn er noch einmal so ein Theater mache, würde er den Hasen weggeben. Max, vollkommen außer sich vor Zorn, hatte sich gewünscht der Vater möge doch einfach verschwinden. Und jetzt, wenn auch zeitverzögert, würde genau das geschehen – sein Vater verschwand. Seine Mutter war da ganz anderer Meinung, sie beruhigte Max und schimpfte andauernd auf eine gewisse “Yoga-Lehrer-Schlampe” die ganz allein die Schuld dafür trage.

Zum Glück fand Max dann diese alte Schallplatte unter den Sachen seines Vater. Diese Platte mit Zaubersprüchen des “Großen Zabbatini” und ein alter Plattenspieler mussten ihm helfen die Ehe seiner Eltern wieder zu kitten. Schließlich war ja auch ein Spruch für die “ewige Liebe” dabei …

Was für ein Murks! Genau an der entscheidenden Stelle hatte diese dumme Vinylscheibe einen Kratzer und versprang, was für eine steinzeitliche Technik. Dieser vermaledeite Kratzer hatte den Liebeszauberspruch ruiniert! Aufgeben, das war nach anfänglicher Verzweiflung keine Option und so lief Max davon. Er musste den großen Zabbatini finden, ihn persönlich nach dem Spruch fragen. Als Max den alten Zauberer tatsächlich in einer Seniorenresidenz fand, hatte dieser gerade den Gashahn aufgedreht und sich zum Sterben nieder gelegt …

Der Besenstiel rauschte durch die Luft und traf den Einbrecher am kahlen Kopf. Das Pfefferspray setzte ihn dann ein für alle Mal ausser Gefecht. Max Mutter starrte ungläubig auf den alten Mann, der jetzt hinten über gekippt in ihrer Badewanne lag. Was machte er hier? Mitten in der Nacht, in ihrem Badezimmer?

Emanuel Bergmann, geboren 1972 in Saarbrücken, ging nach der Trennung seiner Eltern als zwölfjähriger mit der Mutter in die USA. Er studierte, arbeitete lange in Los Angeles für verschiedene Filmstudios. “Der Trick” ist sein erster Roman, der 2016 erschien. Bergmann selbst ist der Enkel eines Holocaust Überlebenden.

Wunderbar antiquiert, bunt schillernd, herrlich humorig präsentiert er uns seine Geschichte. Tragik und Komik halten sich hier auf’s Beste die Balance. Wir lernen Tricks oder auch nicht. Schaufeln Pferdeäpfel im Zirkus, begegnen persischen Prinzessinen mit Berliner Schnautze. Besuchen mit einem 88jährigen Zauberer einen Strip-Club, sitzen mit ihm an der Bar, rasen kurz darauf mit einem BMX-Rad durch die Gärten der Nachbarschaft zum Sunset-Boulevard und fühlen uns wie ein Scheidungskind. Werden von einer Psychologin therapiert und wollen uns trotzdem für keine der beiden Seiten entscheiden …

Wir erleben Unausprechliches, begegnen dem zweiten Weltkrieg, dem Holocaust. Sind im Bombenhagel unterwegs, verfolgt von der Waffen-SS, werden eingezwängt in einem Vieh-Waggon abtransportiert. Bergmann erzählt dabei mitfühlend, ohne rührselig zu werden. Bannt uns mit immer neuen Einfällen und Wendungen. Die Dialoge zwischen dem alten Zauberer “Zabattini” und dem kleinen Max sind herzerfrischend. Diesen Roman nur unterhaltsam zu nennen wäre zu wenig. Er leuchtet hell, wie ein Stern am Himmel eines Zirkus-Zeltes. Einmal ein Clown, immer ein Clown – und wenn der letzte Vorhang fällt, wenn wir durch die Zeit fallen, dann können wir das hoffentlich alle ohne Reue tun und verzeihen …

HörbuchFassung:

Seit meiner ersten Hörbegegnung mit Stefan Kaminski, das war bei T.C. Boyles Wassermusik, bin ich in seine Art zu lesen verliebt. Seine Stimme ist eine Waffe, so souverän, so was von auf den Punkt. Mal einfühlsam, mal verschmitzt, immer ist er bei seinen Figuren. Wir hören anders als wir lesen. So manche Emotion ist ja beim Lesen stärker spürbar – außer man hört Stefan Kaminski zu. Hier liest er mal hinreißend den großen Zabbatini mit böhmisch, jiddischem Akzent. Mal sächsisch oder berlinerisch Zirkusdirektoren und Zirkusprinzessinen. Er verleiht der Traurigkeit von Max eine Stimme und wärmt mir damit das Herz.

Es gibt wenige Geschichten, von denen ich meine, man läßt sie sich besser vorlesen, als selbst zu lesen. Diese hier ist ganz eindeutig eine davon! Kaminski holt hier alles raus, ist ein echter Hauptgewinn!

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