Der Teufel in der Schublade (Paolo Maurensig)

Wir führen den Teufel doch recht häufig im Munde, fällt mir auf. Sagen z.B. “Der Teufel steckt im Detail” oder bezeichnen Dinge als “Teufelszeug”, finden jemand wird “vom Teufel geritten”, oder “geht ihm gar bis vor die Küchentür”, wer auch immer “malt den Teufel an die Wand”. In unseren Alltagssprachgebrauch ist er eingezogen, der dessen Name man besser nicht nennt. So war man lange der Meinung die Nennung seines Namens rufe ihn herbei. Eine Vielzahl von Umschreibungen sind so entstanden und nicht wenige betonen auch Wesenszüge, die man mit ihm in Verbindung bringt, die man ihm zuschreibt. Leibhaftiger, Höllenwart, Höllenfürst, Sohn der Verdammnis oder auch Herr der Fliegen, was die wörtliche Übersetzung des hebräischen Beelzebub ist. Im Christentum und auch im Islam ist er der Inbegriff, die Personifizierung des Bösen, Satan oder Luzifer mit Namen, ein gefallener Engel der gegen Gott rebellierte …

“Aus dem Wald drang ein Chor von Lauten, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließen. Als wäre das Tor der Hölle geöffnet worden, und als wären die Schreie der Verdammten zu hören. Es dauerte ein paar Augenblicke, dann war es wieder still.”

Textzitat Paolo Maurensig Der Teufel in der Schublade

Der Teufel in der Schublade von Paolo Maurensig

Er war dem Priester gefolgt, der mit wehenden Rockschößen und eiligem Schritt an ihm vorbei rannte, ihm zurufend, er solle sich vor dem Fuchs in acht nehmen. An seine Angst erinnerte er sich noch gut. Hier im Wald hatte er sich verfolgt und beobachtet gefühlt. Dieser Priester, er hatte ihn verloren um ihn ausgerechnet in dem Vortrag zu dem er unterwegs war als Redner vorzufinden. Fasziniert hing er an seinen Lippen um ihn direkt nach seiner Rede erneut aus den Augen zu verlieren. Den ganzen restlichen Tag über suchte er nach ihm und Kommissar Zufall fand ihn für ihn.

Am Abend. In der Schankstube seiner Unterkunft. Dort saß er. Allein und still in einer Ecke. Er wollte ihn ansprechen, ganz unbedingt und dann nahm ihm sein Gegenüber das Heft des Handelns aus der Hand …

Paolo Maurensig, geboren 1943 in Norditalien erschrieb sich internationalen Durchbruch mit seinem Roman “Spiegelkanon”, den ich mir unbedingt anschauen muss! Diese Geschichte hier übersetzte Rita Seuß für ihn ins Deutsche und sie verdient Eure Beachtung. Nicht nur, weil ich hier dem Teufel leibhaftig begegnet bin, in einem Schweizer Kanton, in einem Ort namens Dichtersruh, sondern weil es hier eine Spannung hat, die schön langsam aber stetig anzieht.

Drei Gasthöfe hat es hier, die um den Anspruch wetteifern, dereinst Goethe vor rund zweihundert Jahren in dieser Beschaulichkeit beherbergt zu haben, das leider nur gerade mal so lange, wie es dauerte bis die Radnarbe der Kutsche repariert war, mit der er unterwegs war. 

Trotzdem füllt sich im Sommer, weil geschickt vermarktet, alljährlich diese Postkarten-Idylle mit Touristen und der Geistliche, den ich gleich zu Beginn von Maurensigs Geschichte kennen lerne nimmt mich mit hierher und zurück. Zehn Jahre zurück in der Zeit, als er hier in Dichtersruh Vikar gewesen war. Zurück in das Jahr, in dem er hier dem Teufel begegnete.

Abweisend zu allen Fremden war man in Dichtersruh schon immer und schriftstellernd ein jeder. Vom Metzger bis zum Bürgermeister. Kein deutschsprachiger Verlag den man nicht schon mit Manuskripten überschwemmt hatte, zum Schreiben berufen fühlte man sich, des guten Goethe wegen schon von jeher.

Zweitracht. Alles war im Grunde doch friedlich in Dichtersruh bis ja, bis zu seinem Erscheinen. Nicht? Dr. Bernhard Fuchs. Von Beruf Verleger, ausgestattet mit einer wohl tönenden, hypnotischen Stimme. Er verstand sie, die Schriftsteller-Seelen unter ihnen. Er verstand es ihren Hoffnungen Nahrung zu geben. Ein ausgerufener Literaturwettbewerb und ein üppiges Preisgeld. Mehr brauchte es nicht um alle wie unter einen Bann zu stellen, und plötzlich war es vorbei mit Frieden und Eintracht und Dichtersruh …

Zehntausend Franken. Dieser Preis, unstillbarer Ehrgeiz, aber auch die Furcht vor Schmähung ist es, die das Dorf spalten, als man mit der Auswahl der eingereichten Manuskripten beginnt. 

Nagende Zweifel und Ängste. Unfall oder Selbstmord. Ein Tagebuch wird gefunden und eine Hexenjagd beginnt. Ein Rudel tollwütiger Füchse belagert den Ort. Eine Warnung vor drohendem Unheil? 

Jede Menge Eitelkeiten, aufgeblasene Egos, die ein Pfeil wie einen Ballon zerplatzen lässt. Diese Treffer setzt der Teufel selbst. Alle hat er gegeneinander aufgewiegelt, ganz perfide schafft er das …

Maurensig hat sich da eine Geschichte erdacht, die Züge von Goethes Faust trägt. Zwischen seinen Zeilen steht viel über das sich spekulieren lässt. Man kann interpretieren, diskutieren und sinnieren. Über den ewigen Kampf. Den Kampf zwischen Gut und Böse. Denn da ist kein Licht ohne Schatten, kein Tag ohne Nacht. Engel und Teufel, Gegenspieler auf ewig. Ein Pakt mit dem Teufel, auch hier wird er mit einem Handschlag besiegelt.

Eine Erzählung, die wie geschaffen ist für eine Leserunde. Jeder wird sich etwas herauspicken können, was nur er gelesen hat. Erkennen wir das Böse wenn es vor uns steht? Wenn es sich manifestiert hat? Welche Waffe kann dann noch wirken? Ganz subtil schleicht sich der Teufel hier in die Gedanken und Herzen der Dorfbewohner.

Neid und Obsession. Maurensig hält uns den Spiegel vor, lässt uns überlegen wo Leidenschaft endet und wo Besessenheit beginnt. Er zeigt auf, das der Preis für Erfolg ein hoher sein kann und auch wie schnell und wie hoch die Flamme des Hasses aufzulodern vermag.

“Er war kein Geist, der sich mit Gebet und Exorzismus vertreiben ließ. Er war ein Rechtssubjekt, ein Mensch aus Fleisch und Blut, und als solchem musste man ihm entgegentreten.”

Textzitat Paolo Maurensig, Der Teufel in der Schublade

Vielleicht ist jeder von uns in seinem Leben schon seinem persönlichen Teufel begegnet. Hat diese Begegnung hoffentlich überstanden, unbeschadet oder mit leichten Blessuren. Wenn es soweit ist, braucht es Klarheit und Weisheit zu erkennen, das man vom Bösen versucht wird und es kostet Kraft sich darauf zu besinnen, was uns die Menschlichkeit gebietet. 

Eingebettet in eine Rahmenhandlung, die ebenfalls nicht von schlechten Eltern ist, ist der Kern dieser Erzählung. Sie umschließt die Geschichte in der Geschichte wie die Schale einer Nuss die jemand schon aufgeknackt hat.

Nehmt sie, diese Erzählung. Nehmt sie als Mahnung, wohl wissend, das jeder von uns auch eine dunkle Seite hat. Das das Böse niemals schläft. Nehmt sie als Gleichnis, nehmt sie als Fabel, nehmt sie her um wachsam zu bleiben, damit nicht glühender Eifer und Wut wie zornige Hornissen ausschwärmen und unser Gleichgewicht, unser Miteinander ins Wanken bringen …

Mein Dank geht an den Verlag Nagel & Kimche für dieses Rezensionsexemplar.

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