Der Gesang der Fledermäuse (Olga Tokarczuk)

Samstag, 18.01.2020

Wie ernst ist es uns wirklich mit dem Umweltschutz, mit dem Tierschutz? Wir alle atmen gerne saubere Luft, würden gerne glauben an eine intakte Natur, aber verzichten? Die Mächtigen verlassen Klimakonferenzen scheinbar entspannt und ohne Ergebnis, als hätten wir alle noch reichlich Zeit etwas zu verändern. Wie sehr achten wir auf unseren Fleischkonsum? Wie sehr achten wir das Leben? Zumindest eine Diskussion darüber ist aktuell wieder in Gang gekommen. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen ist wichtig, aber ganz gleich welche Überschrift sie tragen, ob “fridays-for-future” oder “Klimagipfel”. Die Taten, die folgen, sind am Ende das was zählt.

Verpackt in einen clever strukturiertes, literarisch feines Krimikonstrukt hat Olga Tokarczuk die Verbindung von Mensch und Natur in diesem Roman. Das ist ungewöhnlich meint Ihr? Das will ich meinen und ihr Bezug ist aktueller denn je. Denn es ist Zeit, das wir uns nicht mehr nur darüber empören warum Tokarczuk im vergangenen Jahr weniger Aufmerksamkeit zuteil wurde als ihrem Literatur-Nobelpreis-Kollegen Peter Handke, wir sollten uns vielmehr mit dem beschäftigen WAS sie uns zu erzählen hat. Denn das lohnt sich. Diese Geschichte hier war meine erste von ihr, und sie hat mir Lust gemacht auf mehr, deshalb wird es in den nächsten Tagen und Wochen ein “Mini-Special” von Frau Tokarczuk hier auf meinem Blog geben. Noch zwei weitere Romane habe ich mir vorgenommen und einen Ausspruch wage ich schon jetzt: “Keine Angst vor Literatur-Nobelpreis-Trägern”, besonders dann nicht, wenn sie Olga Tokarczuk heißen:

“Die Gesundheit ist ein ungewisser Zustand, der nichts Gutes verheißt. Es ist besser in aller Ruhe etwas krank zu sein. Dann weiß man wenigstens woran man einmal stirbt.”

Textzitat Olga Tokarczuk Der Gesang der Fledermäuse

Der Gesang der Fledermäuse von Olga Tokarczuk

Es schneite, wenn auch zaghaft, in der Nacht, in der jemand an ihre Tür hämmerte. Ihr Nachbar stand davor, als sie öffnete. Den Pelzmantel über dem Pyjama verkündete er: “Bigfoot” ist tot. Weiße Dampfwölkchen gingen ihnen in der kalten Luft voraus, als sie eilends das Haus verließen um dem hüpfenden Lichtkreis ihrer Taschenlampe zu folgen. Nur drei der Bewohner harrten hier im Winter aus, alle anderen aus der Siedlung zogen immer schon im Oktober in die Stadt. Zwei waren gerade unterwegs, einer war tot.

Das war kein schöner Anblick, der sich ihnen da bot, sofort stießen sich ihre Blicke daran wieder ab. Man wollte nicht hinsehen und musste es doch. Den Leib grotesk verdreht, eine geschwollene, heraushängende Zunge, ein Knochen im Mund. Er war lebendig schon ein unangenehmer Zeitgenosse gewesen, dieser Bigfoot. Sein Tod hatte ihn weder ansehnlicher noch anziehender gemacht. Noch bevor die Leichenstarre einsetzen konnte, steckten ihn jetzt seine beiden Nachbarn in seinen braunen Sonntagsanzug und betteten ihn auf die Couch, so durfte ihn doch niemand finden … 

Olga Tokarczuk, geboren am 29.01.1962, wurde rückwirkend in 2019 der Literatur-Nobelpreis für 2018 verliehen. Die polnische Schriftstellerin und Psychologin scheint sich in den Köpfen von uns Menschlein gut aus zu kennen. Feinfühlig öffnet sie hier das Innerste ihrer Hauptfigur für uns, der ehemaligen, schrullig gewordenen Brückenbauingenieurin Janina Duszjeko, die nachdem ihr “Leiden” sie befallen hatte, aus der Wüste zurück gekehrt war nach Polen und eine Anstellung als Dorflehrerin angenommen hatte. In der Folge entsteht ein Plot, der eine Wende schafft, die früh zeigt hier geht es um mehr als um einen Krimi.

Tokarczuk hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, wir schlittern mit ihr und ihrer Heldin in einer eisigen Winternacht kopfüber in die Handlung. Um die Ereignisse in dieser Nacht herum baut sie ihre Geschichte auf.

Nur wenige Häuser stehen in der Siedlung, die Handlungsort ist, dicht gedrängt und windumtost auf einem Hochplateau, und dieser Ort in dem unsere Heldin Janina Duszjeko lebt, trägt auf Karten keinen Namen. 

Ich begegne hier nicht nur Janina, sondern auch ihrem verschwiegenen, aufgeräumten Nachbarn Matoga. Er und die chaotische Janina sind ein tolles Gespann. Ein jeder von ihnen hat seine Gründe, warum er gerade hier ein Häuschen gekauft hat und warum er die langen, dunklen Tage von Oktober bis April hier stoisch ausharrte. Unter dem Juni-Mond, dem blauen Mond geht ihnen im folgenden Sommer das Zeitgefühl verloren, vielleicht war es ja das Kraut, dass sie geraucht hatten, dass sie in dieser Nacht die Fledermäuse auf den Bäumen und ihren Gesang erstmals wahrnahmen. Unheimlich und schön, da kann die Wut mal Pause machen …

“Manchmal in Momenten des Zorns scheint alles ganz simpel und selbstverständlich zu sein. Der Zorn bringt Ordnung mit sich. Er zeigt die Welt in offensichtlicher Kurzfassung. Der Zorn bewirkt auch die Gabe des Hellsehens, was in keinem anderen Gemütszustand möglich ist“.

Textzitat Olga Tokarczuk Der Gesang der Fledermäuse

Den Pfarrer während der Predigt von der Kanzel holen, dazu braucht es Zorn und gut, sie war auch eingebrochen. Eingebrochen in den Schuppen von Bigfoot, da lebte er noch, es galt seinen Hund zu befreien Nächtelang hatte die Hündin durchgewinselt, tagelang, wenn er sie allein ließ. Zitternd und hungrig war sie jetzt als Janina die ihre Küche und ihren leeren Kühlschrank mit ihr teilte. 

Als Housesitterin jobbte Janina im Winter, nachdenklich ist sie. Liebenswert und eine gute Beobachterin, an ihrer Krankheit, die sie immer wieder darnieder wirft und mit Schmerzen überrollt, verzagt sie nicht. Die Dämonen, die sie im Inneren verfolgen, kennt nur sie und sie hält sie in Schach. Ich mochte sie auf Anhieb und war gern bei ihr, mit ihr unterwegs auf ihren Streifzügen. Ein bisschen verrückt und verpeilt ist sie schon auch, ihre “Wer-ist-hier-der-Täter-Theorie” die sie sich zusammenbastelt ist ein echter Kopfschüttler. Wer sie bisher noch nicht für verrückt gehalten hat, der tut es spätestens jetzt.

“Widerstand ist wahre Freundschaft” sagt William Blake, dessen Sätze hier immer wieder auftauchen und wie gelassen ihr Nachbar Matoga auf ihre aberwitzigen Theorien reagiert, wenn sie sich denn traut, diese in Worte zu fassen, was er ihr antwortet, wie staubtrocken, diese Ballwürfe zwischen den beiden Roman-Figuren fand ich großartig.

Horoskope erklären nicht nur so manches, sie klären einfach alles, findet Janina, weshalb sie gerne auch für andere eines berechnet. Das Datum ihres eigenen Ablebens kennt sie auch, es steht halt in den Sternen, weshalb sie auch entspannt damit umgeht. Wetterberichte faszinieren sie mindestens ebenso wie ihre Sternbilder und trotz Satellitenschüssel auf dem Dach, aber wegen einer verschusselten Fernbedienung, konnte sie nur noch einen einzigen Sender empfangen und dieser versorgte sie nun den ganzen Tag über mit Wetterberichten. War das nicht grandios entschleunigend? Wie herrlich verschroben, klug und mit einer Feinheit, einer Klarheit in ihrer Denkweise, die Autorin diese Protagonistin ausgestattet hat.

Der langen Rede kurzer Sinn: Ein zweiter Toter lässt dann auch nicht mehr lange auf sich warten. Diesmal steckt er kopfüber in einem halb zugeschütteten Brunnen und das der Tote ein Polizei-Kommissar ist, macht die Sache auch nicht besser …

Tokarczuk, hat mich ehrlich überrascht. Mit dieser Leichtigkeit, diesem angenehmen, beinahe heiteren Erzählton hatte ich nicht gerechnet. Meine erste Geschichte der Literatur-Nobelpreisträgerin hatte ich sperriger erwartet. Weit weniger unterhaltsam, wenn auch gewiss sprachlich ausgefeilt. Liebevoll sind ihre Beschreibungen von Menschen, Gegenständen und Szenerien. Mit einem ganz ausgezeichneten Blick für das Detail erzählt sie uns von ihnen. Dieser leise Humor, mit dem war doch wirklich nicht zu rechnen gewesen! Er macht diesen romanhaften Kriminalfall zu etwas ganz besonderem und ich freue mich noch immer, wie eine Schneekönigin, das ich mich für die Hörbuch-Fassung entschieden habe, weil diese ganz fabelhaft gelesen ist von:

Angelika Thomas, geboren 1946, Schauspielerin, gehörte ab 1980 fest zum Thalia-Ensemble in Hamburg. Leicht lakonisch, mal bissig ist ihr Vortrag und sie passt wunderbar zu diesen schönen Sätzen. Ihr Lächeln hört man so schön durch den Text hindurch. Wenn man bei Schauspielern sagt, sie zeigten eine ausgeprägte Spielfreude, dann attestiere ich Angelika Thomas eine unüberhörbare Leselaune. Was hab ich im Hinblick auf Hörbuchsprecher nicht schon für Adjektive abgenutzt, auch auf die Gefahr, das ich mich wiederhole, leidenschaftlich, lebendig und schier nicht zu bremsen ist Frau Thomas. Irgendwo hört man einen nordischen Einschlag bei ihr durch, ganz leicht nur und damit erinnert sie mich, an Hannelore Hoger, die ich sehr verehre. Stimme und Sprache verbinden sich hier zu einer untrennbaren Einheit. Meine Hörbuch-Bestenliste 2020 erhält ihren ersten Eintrag. So kann es bitte gerne weitergehen!

Verfasst von:

4 Kommentare

  1. Petra
    22. Januar 2020

    Liebe Angela, wie mich das freut! Vielen lieben Dank! Ich habe den Film aufgenommen, weil ich noch etwas Zeit zu meinem Hör-Eindruck verstreichen lassen möchte. Bin schon auch sehr gespannt, wie diese Geschichte mit Bildern erzählt sein wird. LG von Petra

  2. Angela
    22. Januar 2020

    Hallo Petra, ich habe gestern den Film *Die Spur* in der Arte Mediathek gesehen. Dein besprochenes Buch liegt ihm zugrunde und ich war begeistert! Ich hab Deine tolle Rezension in meiner Timeline auf FB gern veröffentlicht!
    Sie passt absolut!
    LG Angela

  3. Petra
    19. Januar 2020

    Das freut mich sehr! Bin sehr gespannt, was Du aus dieser tollen Geschichte heraushören wirst … LG von Petra

  4. Dorothee
    18. Januar 2020

    Na, das passt ja gut: Montag bekomme ich mein neues Guthaben bei Audible…und hatte schon überlegt, was ich diesmal hören möchte!
    Deine Rezension klingt nach einem guten Tipp!
    Liebe Grüße aus Kiel von Dorothee

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert