Der Fall Collini (Ferdinand von Schirach)

Sonntag, 30.05.2019

Wie verteidigt man jemanden, der nicht verteidigt werden will?

Dessen Schuld durch mehr als Indizien als bewiesen gilt? Wenn die Grausamkeit der Tat belegt ist, spielt dann das Motiv überhaupt noch eine Rolle? Es drängt mich mehr zu erfahren. Nach den ersten Zeilen schon habe mehr Fragen als Antworten, noch …

Von Schuld und Rache höre ich, von Glauben und Unglauben. Von Recht und Gesetz. Mal Kammerspiel, mal Thriller. Hier ist ein Profi am Werk, das merkt man sofort …

Der Fall Collini (Ferdinand von Schirach)

Mit fünfundachtzig Jahren hatte er im Grunde sein Leben gelebt, ein Leben reich an Erfahrung, ein Leben im Wohlstand. Die Suite im Hotel Adlon, in der er zur Zeit residierte, sprach da eine ganz deutliche Sprache.

Schach Matt. Einen solchen Abgang wünschte man niemandem. Der Gerichtsmediziner konnte die Anzahl der Tritte, die das Gesicht des Opfers vollständig zerstört hatten, nicht mehr eindeutig bestimmen. Vier Schüsse in den Kopf hatten ihn niedergestreckt, ein Projektil hatte sich im Gehirn gedreht und war in seinem Gesicht, wieder ausgetreten, hatte es ihm fast völlig weggerissen. Die Tritte hatten dann ihr übriges getan …

Gleich zu Beginn erfahren wir, wer hier geschossen hat, es war Fabrizio Collini und um ihn geht es auch im Folgenden. Und wer nicht lesen mag, kann aktuell die Verfilmung dieses Romans von Ferdinand von Schirach anschauen, sie ist seit 18.04.19 in den deutschen Kinos mit Elyas M’Barek in der Hauptrolle.

Zwei Stars also, jeder in seinem Fach, die hier für das Gelingen stehen. Von Schirach der Strafrechtsanwalt mit eindrucksvollem Stammbaum, der als erfolgreicher Autor schon zahlreiche Bücher veröffentlicht hat und der sich mit der Schuldfrage bestens auskennt. Und M’Barek, der mittlerweile als schauspielerische Allzweckwaffe in Deutschland gehandelt wird, gut aussehend, mit Qualitäten im komödiantischen und im Charakterfach.

Neben Collini geht es um die Figur, die M’Barek im Film verkörpert, Caspar Leinen, seit zweiundvierzig Monaten praktizierender Rechtsanwalt. In seiner Zwei-Zimmer-Kanzlei in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms stapeln sich noch die Umzugskartons. Er gehört dem anwaltschaftlichen Notdienst an und ein Anruf des diensthabenden Ermittlungsrichters hat ihm den geständigen Mörder Collini als Mandanten eingebracht. Vielmehr er war ihm “beigeordnet” worden, wie man im Juristendeutsch wohl sagt. Sein erster großer Fall, sein erster Schwurgerichts-Prozeß, …

… ein glasklarer Fall und obendrein einer nicht zu gewinnen war. Aussichtslos war für die Verteidigung, wie der Oberstaatsanwalt betonte. Denn der Inhaftierte wollte sich nicht verteidigen lassen, hatte unumwunden die Tat zugegeben, dann das Reden zur Sache eingestellt. Ein bis dato unbescholtener Mann war er, siebenundsechzig Jahre alt. Was hatte ihn so dermaßen eskalieren lassen, zu dieser Tat getrieben?

Ferdinand von Schirach, zu seinen Stärken gehört es offenbar auf nur wenigen Romanseiten Geschichten Raum zu geben, bei denen es einem an nichts fehlt. Voll gepackt mit Fakten, präzise und wendungsreich, lässt er uns als Leser auf Motivsuche spekulieren. Ich mag seine Klarheit, seinen Detailreichtum, seine Sachkenntnis, die er hier äußerst spannend verpackt und zu einem Justizthriller fügt, indem jede Zeile, jedes Wort Gewicht hat, Ausflüge u.a. ins Völkerrecht gibt es gratis. 

Wir begegnen der Leiche seines Opfers auf dem Seziertisch, auf rostfreiem Stahl unter hartem, weißem Licht liegend. Von Schirach beschreibt die Ausstattung und die hier anfallenden Handgriffe so detailliert, dass man sich selbst am Tisch stehen sieht, angenehm ist das nicht. Man lernt dabei mehr über Muskelstarre und Leichenflecken, als einem vielleicht lieb ist. Da ist der Gerichtsmediziner den der Autor einsetzt ganz Lehrer. Für die Anwesenden bedeutet das, die Augen kann man zwar schließen, wenn einem die Knie weich werden, aber der Geruch, dieser Geruch und die Geräusche bleiben …

“Wer zum ersten Mal in einem Obduktionssaal ist, begegnet dem eigenen Tod. Der moderne Mensch sieht keine Leichen mehr, sie sind völlig aus der normalen Welt verschwunden. Manchmal liegt ein überfahrener Fuchs am Straßenrand, aber einen Toten, haben die meisten noch nie gesehen”. (Textzitat)

Methodik trifft Spannung. Recht und Rechtssprechung muss nicht trocken sein, das stellt von Schirach eindrucksvoll unter Beweis, indem er die Motivation hinter den Taten zu ergründen sucht. In alle Ecken leuchtet, Fakten aneinander reiht. Aufdeckt, was im Verborgenen liegt, was Täter zu Opfern macht und Opfer zu Tätern. Was den Unterschied macht, mit feinem Gespür für die Zwischentöne.

In gut platzierten Rückblenden, die seinen ehrgeizigen Junganwalt Leinen zeigen, wie er baumhüttenbauend, regenwürmersuchend und mädchenküssend aufgewächst, seinen besten Freund viel zu früh verliert, ebenso wie seine Mutter, die sich beizeiten einem anderen Mann zugewandt hatte, bringt er Fleisch an die Knochen seiner Hauptfigur. Ich mag ihn, diesen Leinen, er ist clever, hat sich gut im Griff, steht mit geradem Rücken da und handelt, auch wenn er mal mit sich hadert.
Denn als Caspar Leinen klar wird, wer der Ermordete ist und wie tief diese Verbindung in seine eigene Vergangenheit hineingreift, scheint es schon zu spät zu sein … Schuldgefühle und die Last der Verpflichtung wiegen schwer.

Schlagzeilen und Informationen, die an die Presse durchsickern. Einer der reichsten Männer der Bundesrepublik war schließlich tot, das war ein gefundenes Fressen für die Öffentlichkeit. Ein bedeutender Unternehmer, mit Verbindungen in die höchsten politischen Kreise. Technokraten, die in der Lage sind, jegliche Empathie auszublenden mischen sich ein, was Recht war, musste Recht bleiben.

Tja, und wer hat bzw. bekommt jetzt Recht? Schaut selbst, denn wir wissen ja, recht haben und Recht behalten ist allzu oft zweierlei …

“Jeder Prozeß solle ein Kampf um das Recht sein. Die Väter der Gesetze hatten es so vorgesehen. Nur wenn sie beachtet werden, kann Gerechtigkeit entstehen”. (Textzitat)

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