Das Leben ist ein Fest (Claire Berest)

Bei ihrem Geburtsjahr hat sie geschummelt. Mit dem “neuen Mexiko” 1910 sei sie geboren, nach der Revolution, nicht 1907, und auch bei ihrem Stammbaum hat sie gemogelt, diese leidgeprüfte Kreativitätsbombe. Ihr Vater stammte aus Pforzheim, sie aber gab eine ungarisch-jüdische Abstammung an. Mit sechs Jahren erkrankte Frida Kahlo an Polio und behielt ein verkürztes rechtes Bein und ein Hinken zurück. Das Leben beschloß aber wohl, das reiche nicht, denn im September 1925 wurde sie Opfer eines Busunfalls, lange war man der Meinung sie würde nie mehr laufen können, aber Frida Kahlo stand wieder auf und lief auf ihren zwei Beinen, bis ins Jahr 1954 als sie einer Lungenembolie erlag. Zuvor hatte man ihr noch ihr rechtes Bein am Unterschenkel amputiert …

Das Leben ist ein Fest von Claire Berest

Ein Frida Kahlo Roman – aus dem Französischen von Christiane Landgrebe

Der bekannteste Maler Mexikos, Diego Riviera, war hässlich keine Frage, aber gleichzeitig von einer Anziehung die ihn seltsam unwiderstehlich machte für das weibliche Geschlecht, für die Partygäste, und für Frida Kahlo. Die wie immer in den Zimmern ihrer Gastgeberin umher ging, alles und alle anschaute, in sich aufnahm, auch diesen Mann.

Und Frida sah blau, einen Menschen, einen Mann, der mit seiner Körperfülle, seiner Ausstrahlung den Raum beherrschte. Ihn wollte sie kennenlernen unbedingt, doch dann. Ein Schuss. Auf das Grammophon, er beendete das Fest, seine Gäste zogen weiter und wir erleben einen Flashback, der mit einem verlorenen Sonnenschirm beginnt und den ein schwerer Unfall beendet.

Straßenbahn gegen Bus, eine gebrochene Wirbelsäule. Eine Eisenstange steckt in einem Körper. So schnell und ohne Vorwarnung enden ein Stadtbummel und ein schmerzfreies Leben. Für Frida.

Leben das wollte sie aber. Jetzt und ab jetzt, ohne Korsett und Gipsbett und die Partys ihrer Freundin, der Fotografin und politischen Aktivistin Tina Modotti, die Frauen immer von hinten und Blumen ohne Stiel ablichtete, und wegen der Frida in die Kommunistische Partei eingetreten war, waren wie geschaffen dafür.

Mehr trinken, mehr lachen, mehr küssen, mehr Männer, mehr Affären, mehr Tequilla. Sie trank wie ein “hombre” und inhalierte Reize. Beobachtete mit allen Sinnen für ein inneres Bild des Lebens so wie sie es sah, bunt und prall. 

Claire Berest, geboren 1982 in Paris, ihren ersten Roman veröffentlichte sie mit 27 Jahren. Gemeinsam mit ihrer Schwester schrieb sie ein Buch über ihre Großmutter das in Frankreich 2017 zum Bestseller wurde. Das und auch ihre jahrelange Recherche über Frida Kahlo habe ich den Verlagsangaben übernommen. Für mich ist Berest bis zu dieser Begegnung eine Unbekannte gewesen.

Sie erzählt, ohne Blatt vorm Mund und doch wunderbar ausbalanciert. Das geht sich tatsächlich aus und das Bild vom Leben dieser außergewöhnlichen Künstlerin rundet sich immer mehr für mich und trotz aller Buntheit hat es, ist es auch gezeichnet von einem großen Martyrium, von Schmerzen und Torturen. Es muss Frida Kahlo eine ungeheure Kraft gekostet haben und trotz alledem wollte sie vom Leben so reichlich kosten. Oder war es vielleicht auch ein “Jetzt-Erst-Recht”?

Berest eröffnet mit Zitaten und Zeilen aus Briefen von Frida Kahlo und zeichnet mit Worten ein Bild dieser Frau, die mit ihren Selbstportraits die Kunstszene revolutionierte. Ihre Beziehung zu dem Malerkollegen Diego Riviera war eine verhängnisvolle, eine die von gegenseitiger Anziehung, aber auch von Konflikten und Auseinandersetzungen geprägt war. Nach ihrem Tod verfügte Riveria, dass Kahlos Bilder 144 in Summe Mexiko nicht verlassen dürften, als könne und wolle er sie nicht mit anderen teilen. Deshalb ist es auch so schwierig in den Genuß einer Ausstellung mit ihren Werken zu kommen. Etliche befinden sich in der Hand privater Sammler und werden im Verborgenen gehütet. Andernorts lassen Museen Repliken erstellen und stellen diese aus, damit ihre Fans zumindest eine Ahnung von ihrem Schaffensdrang erhaschen können.

Sich nie genug sein, lichterloh brennen, für die Kunst. Farben nicht sehen, sondern fühlen und wehrhaft bleiben. Hungrig und neugierig. Immer. Sehen muss man lernen sagt der Vater und Frida sieht hin. Immer und immer genauer. Als sie nach dem Unfall dabei ist, sich wieder neu in ihren Körper einzulernen, in einen Körper, den sie, trotzdem in ihm stets Schmerzen à la couleur sprungbereit auf der Lauer lagen, als den ihren angenommen hat. Sie war eben auch dieser Körper.

“Weil ich bei dir Schutz finden wollte, übersah ich, dass du der Sturm bis. Ich hätte Schutz vor dir suchen müssen. Andererseits, wer will schon ohne Stürme leben?”

Frida Kahlo

Sie heiratete ihn zum ersten Mal mit dreiundzwanzig, ihren Diego, in einem nachtmeergrünen Kleid, das sie sich von einem Hausmädchen geliehen hatte und mit einer gestohlenen Blume im Haar. Sie ist ein Teufel, sagt ihre Mutter ihrem frischgebackenen Schwiegersohn und wer nicht hören wollte, der musste in der Folge eben fühlen …

Ich lerne viel über Farben, lerne auch sie zu fühlen und über Fresken, über Technik, Techniken der Malerei, während die frisch vermählten Rivieras reisen und die USA betören. 

Ein Abend in bester Gesellschaft, und Frida wirkt, glaubt man Diego, wie ein bunter Schmetterling unter lauter Regenwürmern. Henry Ford will ihr ein Auto schenken und nennt sie Darling. Die Rockefellers schenken Diego eine ganze Wand in ihrem Center. Dort soll er malen während Frida flucht. Mal gibt sie brüskierend derb den Partyschreck, mal ist sie ganz die freizügige, trinkfeste Partylöwin. Schwarzhumorig und Herzen brechend.

Dann eine Fehlgeburt, die Lage ist kritisch, nicht das sie keine Schmerzen kennt, aber diese hier haben einen anderen Klang und sie münden im Streit. Tiefe Verzweiflung folgt Wutanfällen. Eine drohende Amputation auf Entfremdung.

Faites vos jeux, nichts geht mehr. Scherze stärken die Abwehrkräfte. Frida dreht fast durch. Schneidet sich die Haare ab, tauscht ihre bunten Röcke gegen Hosen, raucht Zigarre. Diego hat sie wieder einmal betrogen, aber diesmal ist es schlimmer. Es ist Christina. Ihre Schwester.

Verlorene Zeit und gebrochene Herzen. Wer ist hier der Herzensbrecher? Nichts ist beliebig bei diesen beiden, nichts normal.

Claire Berest wirft mit Worten nur so um sich, nach mir, und ich finde ihre verbalen Gefühlsjonglagen einfach nur großartig. Und auch, wenn Frida die Tür krachend schließt um mit ihrem Diego zu streiten, ich höre jedes Wort. Berest drängt sich dabei nicht auf, sie lässt mich entscheiden auf welcher Seite ich stehe. Dabei beweist sie eine außerordentliche Eloquenz, ihre Sätze bringt sie alle präzise und empathisch auf den Punkt. Sie hat eine Farbigkeit in ihrer Sprache und arbeitet Farben auch so bildhaft ein, das hier ein eigenes Textkunstwerk entsteht, an dem auch ihre Übersetzerin Christiane Landgrebe einen für mich nicht geringen Anteil hat.

Apropos auf den Punkt, die Vorlese-Künstlerin, die sich ihrer Geschichte um und mit Frida Kahlo angenommen hat, steht ihr da in nichts nach. Im Gegenteil.

Extravagant, kreativ und unstoppable, so wirkt sie auf mich, diese ungestüme, leidenschaftliche Frida. So vereinnahmend wie ihr Wirken, ihr Leiden, ist auch diese Geschichte. In der ungekürzten Hörbuch-Fassung kann man sie 329 Minuten lang und in vollen Zügen auskosten. Ob Dramatisch, tragisch, oder lebensfroh, alle Szenbilder sind mit einer solchen Lebendigkeit vorgelesen, das ich hingerissen bin, mich mitreißen lasse von:

Anne Ratte-Polle, deutsche Schauspielerin, ausgezeichnet 2020 mit dem Bayrischen Filmpreis als “Beste Schauspielerin”, vielleicht habt ihr ja ihre Stimme aus der Serie “Dark” im Ohr. Sie trifft hier jeden Stimmungston, so wie Frida in ihrer Farbwahl sicher war. Sie gestaltet diese Lesung als opulentes Hörfest, man lauscht ihr mit Ohren die immer größer werden. Also ich für meinen Teil hab tatsächlich gefühlt, ob sie gewachsen sind.

Druckvoll und leidenschaftlich bringt das Team Berest/ Ratte-Polle mir Kahlo so nahe, als schaue ich eine Original Dokumentation an. Und nein, diese Geschichte hätte ich nicht lesen wollen, die Entscheidung für das Hören war goldrichtig und wie ein Folkloretanz für meine Ohren, ich stampfte zwischendurch mit den Füßen und skandierte laut Frida! Frida! Frida! Zum Ende hin aber, wird mir das Herz schwer. Dabei hätte sie das sicher nicht gewollt. Sie, die den Tod immer als Teil der Existenz angesehen hat. Diese mutige, unbegreifbare, lebensfrohe Frau, deren Andenken mit dieser Geschichte, diesem Hörbuch, mehr als geehrt wird. Es wird gefeiert!

Mein Dank geht an den Hörbuch Hamburg Verlag für dieses Besprechungsexemplar.

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert