Brüder (Hilary Mantel)

Hörst du, wie das Volk erklingt?
Von uns'rer Wut erzählt der Wind.
Das ist die Symphonie von Menschen, die nicht länger Sklaven sind.

Jedes Herz schlägt wie es kann, unsere Herzen trommeln laut.
Alles fängt ganz von neuem an, wenn der Morgen graut.

Wenn die Barrikade ruft, dann bebt der Feind vor unser'm Schrei.
Wir bauen eine Welt ganz ohne Haß und Tyrannei.
Drum schließt euch uns an, jede Frau, jeder Mann, und seit frei ...

(Das Lied des Volkes, aus Les Miserables, von

Claude-Michel Schönberg und Alain Boublil)

Sicher bin ich mir nicht mehr, aber es müssen etwa fünf Mal gewesen sein, die ich dieses Musical auf der Bühne gesehen habe. Mindestens eine Packung Papiertaschentücher habe ich wohl bei jeder Vorstellung verbraucht. Viktor Hugo hat wahrlich mit seinen “Elenden” dieser finsteren Zeit der französischen Revolution literarisch ein Denkmal gesetzt. Grandios vertont weiß es ebenfalls tief zu berühren.

Ein berühmtes Gemälde hat ebenfalls jeder sofort vor Augen, denkt er an diese Epoche. “Die Freiheit führt das Volk” heißt es, stattliche 2,60mx3,25m groß, wurde es 1830 von dem französischen Maler Eugene Delacroix erschaffen. Heute hängt es im Pariser Louvre. Auch ich stand schon mit einer Gänsehaut davor (Bildquelle Pixabay):

Aus den Wirren dieses Jahrzehnts gibt es viele Geschichten zu erzählen. Eine davon stammt von, der mit dem Booker Prize ausgezeichneten britischen Autorin und Juristin, Dame Hilary Mary Mantel, geb. 06. Juli 1952. Sie findet sie, die Worte für das Unaussprechliche, formt Wut und Verzweiflung zu Sätzen, besticht in ihrem Roman gleichzeitig mit Faktenreichtum und der WDR öffnet mit ihr ein Geschichtsbuch für die Ohren:

Brüder (Hilary Mantel) Ein Hörspiel.

“Das System ist korrupt, die Gerechtigkeit steht zum Verkauf”. (Textzitat)

Gleichmut vs. Armut. Adel und Kirche von jeglicher Steuer befreit, aufeinander folgende Mißernten und damit steigende Brotpreise ließen das Volk hungern. Plünderungen waren an der Tagesordnung, die Aufstände, die man jetzt niederzuschlagen hatte nannte man die “Mehlkriege”. Wie bezeichnend! Es war absehbar, das eine weitere Eskalation der Gewalt nicht weit entfernt war, zumal Ludwig XVI. der letzte König des Ancien Régimes von seinem Vorgänger Staatsschulden in astronomischer Höhe geerbt hatte. Mit seiner Frau Marie-Antoinette, der Tochter des österreichischen Kaisers, führte er ein Staatsgebilde, das auf tönernen Füßen stehend bereits ins Wanken geraten war. Die Franzosen konnten sich mit des Königs “Marie” auch so gar nicht anfreunden, ihre Verschwendungssucht und Diamanten-Sammel-Leidenschaft waren da auch nicht eben hilfreich.

Am 6. Juni 1789 nachmittags um drei, im Parlament von Versailles, mit den ersten Worten von Robespiere nahm alles seinen Anfang. Er, der Prinzipientreue, der Unbestechliche, der den Reichtum so sehr mied, erhob zum ersten Mal öffentlich die Stimme, schneidend und klar. 

Robespierre und Desmoulins, Freunde seit der Schulzeit, Freunde im Geist, Brüder im Blut. Verblüffend ist es mitzuerleben, wie genau dieser Camille Desmoulins mit seinem Sprachfehler zu einem der bedeutendsten Redner der Revolution aufsteigt!

Nur aus dem Chaos konnte eine neue Ordnung entstehen! Beide wollten eine Revolution und sie bekamen eine. Eine die Frankreich für immer verändern würde, die sich tiefrot in die Geschichtsbücher eintrug. 

In einer schwülen Nacht dann, der Sturm auf die Bastille. Abgeschnittene, aufgepikte Köpfe, aufgesägte Leiber und herausgetrennte Herzen, Gläser voll mit Blut gehen von Mund zu Mund. Ein Mob im Rausch, im Blutrausch, der nichts vergaß. Dieser unglaubliche Zorn, diese Wut, die jetzt entfesselt waren, und die sich mit voller Wucht und Brutalität entluden …

Nieder mit dem König, es lebe der König! Intrigen und Bestechung, jedes Mittel schien recht, Kanonenschläge und flatternde Bänder, rot wie des Lebens Saft und blau wie der Himmel, wurden zum Symbol für den Widerstand. Freundschaften zerfielen, Überzeugungen verglühten.

“Du bist der auf den es ankommt” – Robespierre muss wahre Leichenberge durchschritten haben, das obwohl er auf dem Boden des Gesetzes bleiben, die Todesstrafe hatte abschaffen wollen. Zu einem der Anführer einer Terrorherrschaft war er geworden. Schauprozesse und Verleumdungen. Giftmorde und Mordkomplotte, Fluchten nach Übersee und nach England, seiner Feinde musste man sich ganz genau versichern. Vertrauen gegen Vertrauen, das Bündnis einstiger Gefährten zerfällt …

Einen König absetzen war das eine, eine Republik ausrufen und politisch stabil halten das andere. Kriegstreiberei, Ränkeschmiede. Korruption und Verrat, am Anfang vom Ende.

Liberté – Egalité – Fraternité

In Anlehnung an die amerikanische Unabhängigkeits-Erklärung wurden zwar neue Menschenrechte für die Bürger ausgerufen. Diese galten allerdings nicht für Juden, Protestanten und Schauspieler und wie wir es schon im Geschichtsunterricht gelernt haben, bleiben auch bei Mantel nicht wirklich viele Köpfe auf ihren Schultern. Die Tötungsmaschine des Dr. Joseph-Ignace Guillotin leistete hierbei ganze Arbeit. Die Helden fallen in Scharen, gleich ob wehrhafte Frau oder eloquenter Mann, ob königstreu oder mit des Volkes Stimme ausgestattet.

Mit aller innerer Kraft warf sich Robespierre in den Kampf für seine Ideale, über Leichen zu gehen hatte ja bereits Methode. Buchstäblich konnte er mit einem einzigen Federstreich ein Leben beenden. So zerfiel das Bündnis einstiger Freunde nicht nur, an Grausamkeit kaum noch zu überbieten, sorgte er mit dafür, dass man Danton nach fragwürdiger Verurteilung als Delinquent in der Schlange vor dem Schaffot stehend mit ansehen ließ, wie man alle seinen Mitgefangenen vor ihm unter die Guillotine führte, unter ihnen auch sein Freund Desmoulins …

“Dies ist also der Lohn für den ersten Apostel der Freiheit! Die Ungeheuer, die mein Blut fordern, werden mich nicht lang überleben! (Zitat Camille Desmoulins)

Etwa zweitausendfünfhundert Gegner von Robespierre wurden 1794 allein aufgrund von Verdächtigungen hingerichtet. Mehr als sechzehntausend Todesurteile waren es, die durch das Fallbeil auch vollstreckt wurden, bis das Revolutionstribunal am 31. Mai 1795 schlussendlich abgeschafft wurde …

Der WDR hat dieses Hörspiel episch ausgestattet mit rund zweihundert Beteiligten und bis in die Nebenrollen trifft man auf bekannte Stimmen. Axel Milberg etwa, oder Wolfgang Koch und Leslie Malton bereichern das Stück. Hier klirren die Gläser in den Schenken bei Trinkgelagen, Choräle erklingen, Kutschräder klappern über das Pflaster, Schreie gellen und Schüsse hallen durch die Nacht. 

Wenn ich einen von den zahlreichen Sprechern hervorheben müsste, dann wäre es ganz eindeutig Axel Milberg, der den exaltierten Comte de Mirabeau mit einer grandiosen Noblesse gibt.

Unter den drei Hauptrollen hat es Matthias Bundschuh wohl am schwersten, muss er doch den Stotterer Desmoulins sprechen. Er löst das sehr überzeugend, mit einer eher dünnen Stimme gibt er diese Rolle. Die es umso unglaublicher macht, dass der durch einen Sprachfehler gehandicapte Desmoulins, zu solch großen Worten fähig war, damit den verbalen Zündstoff für die Revolution lieferte.  So hebt sich Bundschuh nicht nur stimmlich ab von seinen Kollegen Jens Harzer als Robespierre und Robert Dolle als Danton. Besonders Letzterer war für mich eine Entdeckung. Wenn er vor Wut tobt, da bebt man mit!

Mein Fazit: Ein Roman der mich wahrhaftig herausgefordert hat, auf  seinen Detailreichtum musste ich mich erst einlassen, ebenso auf eine Armee aus Stimmen in der Hörspielfassung, die es einem nicht immer leicht macht die Figur zu identifizieren die da gerade spricht. Das dem Hörspiel beigefügte Booklet ist dabei ausgesprochen hilfreich.

Also dann, habt Mut, brecht auf zu Blut, Tod und Verderben. Auf in ein finsteres Kapitel der Geschichte, auf zu einer beeindruckenden Zeitreise, ungeschönt, dramatisch, mitreißend und mit Leidenschaft vorgetragen und inszeniert. 

 

 

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