Donnerstag, 10.01.2019
Pst!!! Mit klopfendem Herzen bin ich mitten in der Nacht wach geworden, etwas klopfte leise, beständig, ich spitzte die Ohren, rutschte tiefer unter meine Decke. Etwas hielt mich zwischen Wachen und Träumen. Wo gehörtedieses Geräusch hin? In meinen Traum? Es verlor sich wieder, wurde leiser … Ich atmete auf, entspannte mich, schloß die Augen und wartete darauf, dass der Schlaf mich wieder abholte, bis mein Wecker mich ihm dann wieder entreißen würde…
Wintergeister (Kate Mosse)
Ariege, Frankreich, in den Ausläufern der Pyrenäen, 1928. Ein Engländer auf Erholungssuche.
Nach einem längeren Aufenthalt in einem Sanatorium wollte Frederick Watson nun versuchen im Leben wieder Fuß zu fassen. Mit den unterschiedlichsten Arbeitgebern und Dienststellen mühte er sich ab, nur um festzustellen, dass er für die Arbeit nicht geschaffen schien und die Arbeit wohl auch nicht für ihn …
Alles war buchstäblich reine Nervensache. Ruhe und Erholung hatte sein Arzt im verordnet, eine Reise hierher in den Süden Frankreichs sollte sie ihm verschaffen, nachdem ihn auch noch eine schwere Grippe, zusätzlich zu seiner anhaltenden Nervenkrise, niedergeworfen hatte. Er konnte einfach nicht vergessen, was ihm der erste Weltkrieg an Bildern beschwert hatte. Sie wollten auch nicht verblassen in ihm, dass obwohl das Kriegsende schon über ein Jahrzehnt zurücklag. Für die meisten, viele hatten ja in diesem Krieg jemanden verloren, ging das Leben weiter, nur für ihn schien die Uhr stehen geblieben. Der Tod seines Bruders nagte an ihm wie ein unstillbarer Hunger. Er verleugnete seinen Tod noch immer, nicht zuletzt weil es nie einen Leichnam gegeben hatte …
Hier in Frankreich war er ein Fremder und diese Fremdheit tat ihm gut. Niemand erwartete von ihm, dass er sich einfügte, hierher paßte.
Doch kaum angekommen, verschlimmerte sich sein Zustand. Visionen suchten ihn heim, selbst hier in den Gassen von Ariege meinte er seinen älteren Bruder wieder vor sich zu sehen, er winkte ihm, rief ihn bei seinem Namen an, der in der Luft stehen blieb wie ein Klagelaut …
Ein Autounfall in einem Schneesturm, körperlose Stimmen lockten ihn wispernd in die Nacht, völlig unterkühlt landete er nach einem Fußmarsch, in einer kleinen Pension. Dort wurde er versorgt und eingeladen zu einem volkstümlichen Fest am Abend, wo er ihr begegnete – einer Frau schön und unwirklich wie eine Erscheinung …
Kate Mosse, arbeitet u.a. für die BBC, ist Mitbegründerin des Orange Prize, eines renommierten englischen Literaturpreises. Von ihr habe ich letzten Jahr Der Kreis der Rabenvögel gehört, ihren aktuellen Roman und war von der Stimmung und der profunden Kenntnisse, die er im Bereich der Taxidermie zu bieten hat, sehr angetan. Diesen älteren Titel von ihr hatte ich auf einem Hörbuch-Wühltisch entdeckt und ihn mir sogleich gesichert, neugierig darauf eine frühere Veröffentlichung von ihr noch anzuschließen. Verheißt doch der Klappentext mit einem Zitat aus The Times “Eine Geschichte, die einem das Herz bricht. Unvergesslich”.
Mosse ist eher eine Frau der leisen Töne, sprachlich gerne auch mal poetisch unterwegs und mit einem guten Gespür für zwischenmenschliches ausgestattet. So mein Eindruck aus ihren Rabenvögeln.
Hier erzählt sie uns von der engen Bindung zweier Brüder, die über den Tod hinaus anhält. Von einer Reise in die Vergangenheit und zu sich selbst. Von einem Schriftstück, das alles verbindet, über die Zeit hinaus, das wie eine Handreichung wirkt. Von Kriegsbildern, von Stacheldraht, darin verknäuelten, blutigen Gliedmaßen, von Vermutungen, wie die letzten lebenden Stunden im Felde für einen Bruder wohl gewesen sein müssen, gefangen in einer Schleife aus Vermissen und Trauer.
Für unseren Helden war vielleicha an all dem der Text des Telegramms von damals Schuld “Vermisst, vermutlich gefallen”, und das Beerdigen eines leeren Sarges, dass es unmöglich machte mit der Hoffnung abzuschließen, dass der Bruder doch überlebt hatte. Irgendwo, vielleicht ohne Gedächtnis …
Der Süden Frankreichs als Schauplatz der Geschichte gibt ihr mit seinem mitteralterlichen Flair einen stimmigen Rahmen. Die geisterhaften Stimmen, die Frederick in diesem Winter hört, die ihn verfolgen, wahnhaft, vermögen dann aber der Geschichte nicht die Dynamik zu geben, die ich mir erwartet hatte.
Fieberwahn oder Wahrheit, Trugbild, Traum oder Klarheit? Ein sechshundert Jahre altes Massengrab, körperlose Stimmen, ein Riss in der Zeit, Gespenst, Geist oder reale Person? Dies sind im Grunde die besten Zutaten und Voraussetzungen für eine gute Geschichte, in der die Schatten der Vergangenheit mit langen Fingern nach ihren Helden greifen, oder? Dachte ich auch. Stellte mir dann aber mit zunehmendem Verlauf des Romans die Frage, was ist Kitsch für mich?
Eine Sprache, die eine Spur zu blumig ist, alles ist eine Spur zu gefühlig, hat eine Überdosis an Pathos, die mich die Augen rollen läßt.
So ist mir dann auch die eingebettete Liebesgeschichte etwas zu kitschig geraten, hier ist die Autorin mir dann zu schwülstig unterwegs, trägt zu dick auf. Ich gebe mal ein Beispiel aus dem Text:
“Wir schwiegen einen Moment lang, und die Fäden der Geschichte umflatterten uns beide wie Bänder im Wind.”
Auch die thematisierte Trauer um den Bruder ist mir irgendwann zuviel geworden. Der Schmerz eines solchen Verlustes ist nachvollziehbar, wird aber hier einfach zu sehr ausgebreitet, dies zu Lasten der Gesamthandlung, Atmosphäre und der Idee hier gegen das Vergessen und für die vergessenen Opfer eines Krieges zu arbeiten. Mit zu großer Geste wird erzählt von den Kriegstraumta, von labyrinthischen, unterirdischen Gängen, Höhlen in denen man Zuflucht fand.
Die Hörbuch-Fassung aus dem Jahr 2010 kann das leider auch nicht mehr retten. Sie wird gelesen von Reinhard Kuhnert, der als Synchronsprecher u.a. schon Pierce Brosnan und Kevin Spacey seine Stimme geliehen hat. Die autorisierte Lesefassung dauert 238 Minuten.
Seine Interpretation der weiblichen Rollen hat mir leider gar nicht zugesagt. Er liest hier für mich zu langsam, zu getragen, zu pispernd, manchmal hätte ich am liebsten die Sprachgeschwindigkeit angezogen, was bei den CDs leider nicht ging. Beinahe einschläfernd wirkte der Vortrag stellenweise auf mich. Selbst die Geister-Stimmen entgleiten ihm eher ins unfreiwillig komische denn ins Mystische. Schade …
Dankeschön Anja, die Autorin hat ihren Stil, meinem Empfinden nach, hin zu ihrem aktuellen Titel deutlich weiterentwickelt. Ihr Kreis der Rabenvögel hat mir gut gefallen, inhaltlich und sprachlich. LG von Petra
Liebe Petra,
wieder hast Du eine tolle Rezension geschrieben. Schade, dass das Hörbuch nicht überzeugen konnte. Ich habe dort eben mal reingehörtund meins wäre es gar nicht.
Ich denke, dass hätte ich nicht zu Ende gehört.
Aber die Geschichte klingt gut.
Lg Anja