Samstag, 18.11.2017
Wer einen Menschen den er geliebt hat verliert, kennt sie, diese Sehnsucht, dieses Gefühl einer offenen Wunde tief im Inneren, die einfach nicht heilen will. Mit der Zeit wird es leichter werden, sagen die Einen, wird der Schmerz blasser. Du mußt das verarbeiten, loslassen sagen die Anderen. Die Indianer glaubten an einen Übergang der Lebenden in eine Geisterwelt, bei vielen Stämmen sollten Feuerbestattungen diesen Weg erleichtern. Sie konnten mit ihren Ahnen in Kontakt treten, Medizinmännern und Schamanen soll es gar gelungen sein Tote zurück zuholen. Was für ein Gedanke! Was wenn diese Möglichkeit bestünde. Viele Geschichten gibt es, die um diese Erweckungen greisen, eine davon habe ich hier für Euch ausgegraben:
Winter People (Jennifer McMahon)
1908, West Hall. Tief in den Wäldern von Vermont liegt die Farm von Martin und seiner Frau Sara. Beide können kaum leben, von dem was der karge Boden abwirft. Auch der sehnlichste Wunsch der beiden, nach einem eigenen Kind will sich nicht erfüllen lassen. Mehrere Fehlgeburten lassen Sara verzweifeln, dann doch – ein Sohn. Wenige Wochen nach der Geburt aber stirbt auch er. Als Gertie zur Welt kommt, winzig und kraftlos, gibt ihr der Dorfarzt kaum eine Überlebens-Chance. Doch Gertie ist eine Kämpferin, sie saugt sich am Leben fest und wächst zum Sonnenschein der kleinen Familie heran. Die Bindung zu ihrer Mutter Sara ist eine ganz besondere, ohne Worte verstehen sich die beiden, unterhalten sich in ihrer eigenen Sprache, malen sich gegenseitig Wörter in die offenen Handflächen.
An diesem Wintertag, an dem Martin draußen beim Holzfällen der Füchsin begegnet, ist es schneidend kalt. Wütend ist Martin los gestampft durch den frischen Schnee, der in der Nacht gefallen ist, hat doch ein Fuchs wieder zwei seiner Hühner geholt. Er weiß ohnehin nicht, wie er seine Familie durchbringen soll. Jetzt auch noch das. Als er sie dann sieht, die Füchsin, und sein Gewehr zum Schuß hebt, durchströmt ihn Genugtuung. Diesmal wird er sie endlich erwischen …
Gertie, Gertie, Gertie – der verzweifelte Ruf von Sara halt durch den Wald. Vergnügt war die kleine an diesem Morgen aus dem Bett gehüpft um die Eier herein zu holen. Kekse wollte sie mit ihrer Mama backen, diese Sirupkekse die auch der alte Hofhund so gerne aß. Dann ihrem Papa helfen, er war zum Holz sammeln draußen. Doch Martin kommt allein zurück, Gertie hat ihn nie erreicht, schon länger war er im Schuppen und hat den Fuchs gehäutet, den er heute früh erlegt hat. Gerade hat er das Fell der Füchsin an der Scheunentür angeheftet und sich überlegt, dass es wohl eine schöne Mütze für seine Gertie abgeben könnte, da erreicht ihn der Ruf seiner Frau.
Bis zur völligen Erschöpfung, Hände und Füße blau vor Kälte suchen die beiden nach ihrer Tochter, ohne Erfolg. Als Martin zur Scheune kommt um das Pferd zu satteln und im Ort Hilfe, einen Suchtrupp zu holen, fällt sein Blick auf die Scheunentür. Dort wo eben noch das Fuchsfell hing, hängt jetzt ein abgeschnittener blonder Zopf, der Zopf seiner Tochter …
Die Männer, die in Saras Küche stehen, drehen verlegen und unsicher ihre Mützen in den Händen. Am liebsten würde sie sie anschreien, rauswerfen, es kann nicht sein, es darf nicht sein, alles dreht sich – sie sagen Gertie sei tot. An allem schuld ist nur ihr Mann, den Ring, den er auf dem Acker an der Teufelshand gefunden hat sollte er doch zurück bringen, zig Mal hat sie ihm das gesagt. Man darf von dort doch nichts mit nehmen …
Gegenwart: West Hall, Vermont. Als Ruthie sich heimlich ins Haus schleicht, wieder einmal ist sie zu spät nach Hause gekommen, ihr Freund hat sie etwas weiter vorm Haus abgesetzt, die letzten Schritte ist sie zu Fuß zum Haus gegangen, brennt noch Licht. Leise betritt sie das Haus, innerlich fluchend, das wird gleich ein Donnerwetter geben. Nach dem Tod des Vaters ist ihre Mutter eher über fürsorglich, was der siebzehnjährigen Ruthie gar nicht behagt. Auf dem Küchentisch eine Tasse Tee, kalt geworden, ein Stück Apfelkuchen, angebissen – wo ist ihre Mutter? Auch am nächsten Morgen bleibt ihre Mutter spurlos verschwunden, ihre kleine Schwester ist völlig verzweifelt. Beide beginnen mit der Suche und finden im Schlafzimmer der Mutter unter den Dielen des Fußbodens eine Pistole und – ein Tagebuch, das Geheime Tagebuch der Sara Harrison Shea. Warum hat ihre Mutter dieses Tagebuch versteckt? Warum wurden hier Seiten heraus gerissen? Was wollte ihre friedliebende, Gemüse züchtende Mutter mit einer Waffe? …
1908, West Hall. In die Irrenanstalt einweisen soll er sie lassen, seine Sara? Martin will die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass seine Frau sich wieder erholen wird. Gestern noch erschien sie ihm voller Zuversicht. Sie hatte ihm zu Abend etwas gekocht, war endlich wieder aufgestanden. Aber was ist das? Als Martin in der Nacht wach wird und im Bett nach Sara tastet ist es leer. Sara? In der Ecke vor dem Wandschrank sitzt eine bleiche Gestalt auf dem Fußboden, zusammengekauert, zitternd, flüsternd, eiskalt. Sara? …
Jennifer McMahon, geboren 1968 wuchs in Conneticut bei ihrer Großmutter auf und lebt mittlerweile in Vermont. Ihre erste Kurzgeschichte schrieb sie in der dritten Klasse, ihr erster Roman erschien 2007 in deutscher Sprache. “Winter People” erschien bereits 2014.
Die Hörbuch–Fassung wird uns vorgelesen von Elisabeth Günther. Sie ist eine beliebte Synchronsprecherin und viele von uns haben ihre Stimme als die von Cate Blanchet, der schönen Liv Tyler oder von Helena Bonham-Carter im Ohr. Sie paßt wunderbar zu dieser stimmungsvollen, spannenden und leicht gruseligen Geschichte.
Man nehme einen historischen Roman, eine Prise Thriller, eine Prise Mystery und ein viertel Pfund Gegenwart und vermische es gründlich. Fertig ist Winter People. Im Untertitel heißt dieser Roman “Wer die Toten weckt” und das geschieht auch im weiteren Verlauf des Romans, Sara schafft es ihre Gertie zu wecken für sieben Tage. Eindringlich, anrührend und spannend schildert die Autorin den inneren Kampf der Mutter. Setzt sich auseinander mit dem Unmöglichen, oder dem doch Möglichen? Bleibt dabei für mich durchaus glaubwürdig.
Geschickt sind die zwei Zeitebenen der Geschichte mit einander verwoben, ahnungslos startet man, hangelt sich wie an einem roten Faden immer tiefer hinein, meint Zusammenhänge zu erkennen, liegt dann doch wieder falsch.
Zu husseligem Wetter, jetzt im November, paßt dieses Hörbuch für mich hervorragend. Immer wenn ich in der Dämmerung nach Hause fahre und das Licht an meinem Auto anspringt, kommt mir diese Geschichte wieder ganz nah …
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