Wenn der Berg ruft …

Das nach mir einmal der Berg ruft, wer hätte das gedacht? Ich eher nicht, bin ich doch im Sternzeichen Wassermann geboren und hat doch das Rauschen des Meeres für mich einen ganz eigenen magischen Sound und zog es mich daher bislang bevorzugt auf’s Wasser. Warum locken mich jetzt also plötzlich steinerne Gipfel und Schluchten, das bei meiner verbrieften Höhenangst und wo ich rein konditionell schon die richtigen Touren gar nicht mithalten kann? Schuld an allem ist Corona. Ist praktisch so, weil Corona ist ja praktisch im Grunde an allem Schuld was uns in letzter Zeit so passiert ist. Was abgeriffen klingt und auch wieder so als läge es auf der Hand stimmt aber. Mein Horizont war eng geworden in den letzten Monaten. Viel zu eng. Wie sehr mir das Unterwegssein tatsächlich gefehlt hat wurde mir trotz zunehmender Dünnhäutigkeit erst so richtig bewußt, als ich aus der Puste an einem Berghang stand und mir der Blick plötzlich wieder weit und mein Herz leicht war.

Die Entscheidung unsere diesjährigen, immerhin einwöchigen Ferien am Berg zu verbringen war im Grunde dem Widerwillen geschuldet einen Flieger zu besteigen und darin über Stunden eingesperrt zu sein. Auch unsere Freunde, die vor Jahren in die Nähe von Stuttgart verzogen waren, hatten wir wegen der Pandemie knapp 1,5 Jahre nicht persönlich gesehen. Wir könnten doch einen Abstecher zu Ihnen machen auf dem Weg in die Schweiz. Spontan verliebt hatte ich mich in ein Foto von Grindelwald, hat der Ort nicht auch was mit Harry Potter zu tun? Egal. Gesagt, gebucht und dann – sagten sie schlechtes Wetter für die Schweiz voraus. Am Berg sein und nix sehen? Wieso wir dann in Tirol gelandet sind weiß ich in der Rückschau nicht mehr, glaube aber mittlerweile das der Berg, tatsächlich nach mir gerufen haben muss. Also genauer gesagt Deutschlands höchster, die Zugspitze. Berg auf der Grenze. Da sind wir dann rauf, morgens früh gleich, ohne Frühstück mit der ersten Bahn.

Wir können Berg! Denke ich so, was machen die hier einen auf dicke Hose und kriegte den Mund vor Staunen trotzdem nicht mehr zu. Für die Aussicht können die Pistenraupenbetreiber und Stahl-in-den-Bergtreiber ja nix, mich rüttelt es heftig durch. Der Gletscher der hier immer war ist zu einem kläglichen Häufchen zusammengeschmolzen, dafür hat es gefühlt ein Aussichtsrestaurant mit hundert Stockwerken, in dessen oberstes man nur mit einer Seilbahn kommt. Die Fahrt hier herauf verschlägt mir dann aber tatsächlich den Atem und ich vergesse sogar Angst zu haben. Will mich freuen, das es mir durch die Technik möglich ist auch hier zu sein, so hoch oben wie sonst nur die Gemsen. In den Scheiben des Gastraums spiegeln sich Gipfel und Inventar um die Wette. Was ist innen, was außen, alles steht Kopf. Ein Schmetterling fliegt am Fenster vorbei und macht mich nachdenklich. Er muss sich unten am Eibsee in eine der Gondeln verirrt haben, wie soll er jetzt hier oben klar kommen? Wie Ameisen klettern derweil die ersten Gipfelstürmer in roten Overalls über Metallseile und reissen in Rocky-Pose die Arme bei Ankunft in die Höhe. Was für ein Zirkus. Kriegt noch jemand mit wie blau der Himmel heute ist und wie unfassbar weit man sieht? Ist das da hinten tatsächlich München? Die Staatsgrenze zu Österreich überqueren wir diesmal am Berg ohne Pass- und Coronakontrolle. Die Hausnummer 1 von Garmisch Partenkirchen ist hier oben gleich ums Eck und auch eine Tür die zum Deutschen Wetterdienst führt. Wie oft habe ich schon den Wetterexperten der Tagesschau samt Puschel-Mikro von genau hier senden sehen? Jetzt steh ich an diesem Geländer und kann nicht anders. Ich find’s schön, auch wenn es traurig zugleich ist, wie wir mit unserer Natur umgehen. Mittlerweile sind meine Finger eiskalt und bevor es mir den Fotobeweis aus der Hand haut geht es auch schon abwärts. Ich und schon wieder in die Seilbahn? Läuft, weil unter mir strahlt der Eibsee wie ein blaues Auge, seine Iris sprenkeln Inseln die von karibisch grünen Ringen eingerahmt werden. Auf der Herfahrt hatte ihn ein langer Tunnel noch gut vor mir versteckt. Ja, Herrschaftszeiten! Geht’s noch? Ich dachte, ich hätte das Highlight grad hinter mir gelassen?

Am Fuß des Berges steigen wir aus. Klar müssen wir eine Runde am See drehen, Fraktion Wassermann gell, prüfen will ich auch ob die Farbe des Wassers aus der Nähe betrachtet ebenfalls dieses Südsee-Feeling verströmt. Hat sie, oder er, oder tut sie, wie auch immer. Ein Spätsommertag wie aus dem Bilderbuch ist das heuer und er erinnert mich jetzt daran, das ich noch meine lange Unterhose anhabe. War ja kalt da oben. Aus der muss ich jetzt raus. Dringend und ein Bier, wär auch nicht schlecht.

So geht Klamm! Da gibt es nix zu diskutieren und ich bin erleichert, hatte ich bis vor etwa einer Stunde noch rumgemault, das ich auf diesem bei Google hochgepriesenen Spazierweg nicht nah genug ans Wasser rankomme. Ja, das Wasser schon wieder. Auf Umwegen, also weil die auf dem Klammweg eingerichtete coronabedingte Einbahn für meine Stadtfüße zu weit war, erreichen wir das Klammbett nebst Wasserfall etwa 250 Meter nach einem Drehkreuz samt Kartenverkauf. Die Temperatur fällt mit jedem Schritt in die Klamm gefühlt um ein halbes Grad, dafür nimmt die Lautstärke des donnernden Wasser mit jedem zurückgelegten Meter zu. In Dezibel kann ich das nicht wiedergeben, aber es ist so unfassbar grandios, das ich mir die Kapuze tief ins Gesicht ziehe um noch näher ran zu kommen. Die Holzbohlen werden immer rutschiger, eine Gänsehaut überzieht meine Arme. Am End’ ist alles nass an mir und das Grinsen will trotzdem nicht mehr aus meinem Gesicht. So geht Klamm! Endlich wieder alle Sinne nutzen, das Hören und Sehen vergeht mir hier vor Fühlen und Riechen, und wer den Mund weit öffnet schmeckt auch die Gischt. Ach, ja für alle die das erleben wollen: Mein Schwärmen gilt der Leutascher Geisterklamm, im Grenzgebiet von Deutschland und Tirol Nähe Mittenwald.

Wetter und Urlaub das ist ja bekanntlich so eine Sache. Mitbuchen kann man es nicht, ohne es geht aber vieles auch nicht. Ohne gutes Wetter. Die Hardcore-Fraktion höre ich jetzt sagen, es gibt kein schlechtes Wetter nur die falsche Kleidung, zu der gehöre ich aber eher nicht. Sonne im Gesicht bei einer Wanderung und Fernsicht ist halt schon was feines. Jeden Morgen auf der Hotel-Terasse frühstücken, mit direktem Bergblick, wahlweise auch auf den Inn, ok, gut – ich mit Fleece-Jacke, so sieht der perfekte Start in einen aussichtsreichen Tag aus und wo ich mich schon einmal überwunden habe, warum nicht gleich ein weiteres Mal testen ob das mit dem Ausbleiben meiner Höhenangst ein Zufall gewesen ist. Nicht das ich das beeinflußen könnte, es kommt wie es kommt, immer und es wäre nicht das erste Mal, das mich Pudding in den Beinen in die Knie gehen lässt.

Diesmal soll es rauf in den Karwendel gehen mit Deutschlands zweithöchster Seilbahn. Mein Mut will mich verlassen, die Gondeln sind hier kleiner und die Luftlöcher eindeutig tiefer als bei der Zugspitzbahn, besonders wenn’s über die Pfeiler geht, die Bahn vor der Wand voll bremst, ich kneife meine Augen zu – aber ich halte das aus und werde belohnt. Mit Enzian. Also mit dem was ich dafür halte, mit dem der blüht, weil ich bin nicht sicher, ob es den auch in hell-lavendelfarben gibt. Ihn auf’s Foto zu kriegen erfordert meinen ganzen Wagemut und fordert meine Trittsicherheit heraus und was ist der Dank? Andi fotografiert mein Hinterteil. Weil die Entstehung dieses meines Fotos dokumentiert werden will, also er will das. Nein, hört auf, ich zeig es nicht her. Es gibt schönere Seiten an mir. Ihr kennt sie, ich schreib gern …

Keine Betten machen, kein Frühstück herrichten. Abendessen in Ruhe mit meinem Lieblingsmenschen. Nette Gespräche mit völlig Fremden. Einfach so. Ein Pool zum Sich-Müde-Schwimmen, eine Sauna mit 1a-Panorama-Bergblick (Hallo!!!). Klavierabende, Zauberer, Servicekräfte, die wissen wie zufriedener Gast geht, nicht nur die Desserts sind wie gemalt. Diese Patissière muss mit in den Koffer. Wenn dieses Wunder von einem Somlière ein bisschen rückt geht das. Eine Jause am Walchensee. Kann es sein, dass ich was vergessen habe? Stimmt ja:

Man soll den Sonnenschein nicht beschwören, dann braucht er eine Pause, so sieht das also hier aus wenn es bewölkt ist. Auch schön! Das Inntal hat sich am Morgen dick zugedeckt, aber darüber sind die Berge klar, nur ein paar kleine Wolkenfetzchen suchen einen Ausweg nach ihrem Aufstieg durch ein enges Tal. Unser Hotel liegt auf etwas über 1.200 Metern, was für ein Schauspiel, auf diesem Balkon bleib ich. Geht nicht, weil Andi hat einen anderen Plan und er ist sich sicher, ab 11 Uhr klart es ganz auf, wir fahren zur und auf der Silvretta-Hochalpenstraße. Na dann, vielleicht finden wir dort für ihn ja auch ein Café und ein Stück Kuchen am Nachmittag, das geht ihm schon arg ab, das die hier so dünn gesät sind, die Cafés wie wir sie kennen, angedockt an eine Bäckerei, nicht an ein Restaurant. Vorbei an Ischgl und Galtür schraubt sich die Straße immer weiter aufwärts, bis zu ihrem Scheitelpunkt am Silvretta-Stausee am Fuß des Piz Buin. Was für eine Tour. Ich glaub ja wir haben uns verfahren und sind durch ein Wurmloch gefallen und im schottischen Hochmoor gelandet. Die Vegetation hier ist moorig und die Bäche glasklar. Die Kiefern winden sich förmlich oder ducken sich weg. Die Winde hier müssen unbarmherzig sein. Mir tut der Popo weh vom ständigen Anhalten und aus dem Autohupfen, weil um jede Ecke sieht es anders schön aus und dann, die Prognose stimmte nicht ganz, es ist nach 13 Uhr als es hier aufklart, lüftet der Grenzberg zur Schweiz seinen Gipfel für uns. Das ist ganz großes Kino, man sieht ihm bis auf seinen Gletscher und als wär das nicht genug, findet sich tatsächlich noch eine Bäckerei in Galtür am Straßenrand und der Kuchen mit Aussicht schmeckt gleich doppelt so gut.

Eine Reise braucht einen Abschluß. Heut’ ist Sonntag und morgen heißt es time to say goodbye. Unser letzter Ausflug führt uns auf die Rosskopfhütte, nur teilweise zu Fuß, den größten Teil des Weges bewegt uns eine Standseilbahn. Auf wei, ist das steil hier. Eigentlich sind das hier wohl in der Saison alles Skihänge und sich im Sommer berwärts raufwuchten braucht echt Kondition, das es meinen Waden da an Muskeln für fehlt merk’ ich grad überdeutlich. Dafür gibt es einen fabelhaften Rundumblick, einen Kaltwassersee in greifbarer Nähe und seine Brotzeit verteidigt man auch nicht alle Tage gegen ein Geschwader schwarzer Vögel. Kein Schimmer ob das Dohlen oder Stare sind, gierig sind sie alle Mal, es fühlt sich an wie bei Alfred Hitchcock. Wir flüchten.

Wieder zu Hause ist der Wäscheberg jetzt fein gefaltet und ordentlich verstaut, die zahlreichen Baustellen und Staus von unterwegs sind vergessen, der Halt am Fernsteinsee aber nicht. Ich hab dieses Grün jetzt im Kopf und werde es nicht mehr los. Dieses überirdische Licht in dem alten Bootsschuppen, das musste aus der Tiefe gekommen sein. Mein innerer Film läuft vor uns zurück, schon seit Tagen, hält immer mal an und zoomt ran, meine Waage erinnert mich zwar auch das ich nicht nur Schmutzwäsche, sondern auch 3 Kilo Übergepäck auf der Hüfte mit gebracht habe. Aber hey, so what! So geht Urlaub. Jedes einzelne Gramm war lecker, täglich gab es am Abend fünf Gänge und eine exzellente begleitende Weinempfehlung. Das das wieder geht! Das ich nicht verlernt habe zu genießen, das es jetzt sogar meinem Empfinden nach um einiges intensiver ist, als hätte diese Corona-Zeit mir einen Verstärker eingebaut war grandios. Danke Tirol! Dankeschön für Deine Gastfreundschaft und für diese Ferien. Hey, Psst, seid mal leise, sagt mal, hört ihr das auch? Ich glaub’ mich ruft ein Berg …

Noch einmal

Noch einmal will ich am Berg sein,
den Rucksack gefüllt,
die Beine schwer,
Kopf in den Wolken,
meine Sehnsucht gestillt.

Nebel liegt im Tal,
die Luft in der Höhe ist klar,
der Himmel weit,
und die Zeit, die Zeit verweilt,
noch einmal bei mir.

Mein Tritt ist fest,
der Grat so schmal,
ich atme tief wenn mich schwindelt,
mein Weg bleibt das Ziel,
er führt mich dort hin wo alles gründet.

Gern wär ich geblieben,
muss aber gehen,
die Welt ist im Wandel,
wie werd' ich Euch wiedersehen?

(c/o) Petra Kuhn
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