Briefe von Freunden hat es heute zumeist ganz profan per E-Mail, das Briefe schreiben ist irgendwann aus der Mode gekommen, dabei hat es etwas so romantisches, ist eine Handschrift etwas so persönliches und spiegelt, wenn sie ungestüm oder rund ist, sogar die Gefühlswelt desjenigen zu dem sie gehört. Wann habe ich eigentlich meinen letzten Brief mit der Hand geschrieben? Wird man irgendwo, irgendwann einmal Briefe von mir finden, wenn ich nicht mehr bin? Wird sie jemand aufgehoben haben? In Ehren gehalten? In Erinnerung an mich?
“Wer sich erinnern will, muss sich dem Vergessen anheim geben, dieser Gefahr, die vollkommenes Vergessen ist, und diesem schönen Zufall, denn aus ihm wird Erinnerung.”
Zitat Maurice Blanchot
Unsichtbare Tinte von Patrick Modiano
Noëlle Lefebvre. Eine Frau, ein Name, eine Spur die sich verliert. Jean Eyben, Angestellter einer Pariser Detektei nimmt sie auf. Nach Jahren. Weil ihn der Fall, den ihm sein ehemaliger Chef seinerzeit übertragen hat, ins Leere gelaufen war und weil ihn genau diese Leerstellen im Leben von Madame Lefebvre, ganz wichtig mit einem “b” geschrieben, nie loslassen haben. Ein Dossier über Madame hat er noch immer und ein Notizbuch von ihr. Seiten beschrieben mit einer großen runden Schrift mit blauer Tinte, dazwischen immer wieder weiße Seiten und ein angefangener, ein abgebrochener Satz “… hätte ich gewußt”, das ist ihm Grund und Anlass genug für eine erneute Spurensuche. Mann wäre ja auch nicht Detektiv geworden, würden solche Worte keine Neugier wecken.
Ein Taschenkalender, angefüllt mit Namen und Terminen wird für Eyben zum Führer auf dieser Zeitreise, dass er dabei irgendwann nicht nur Noëlle Lefebvre folgt, merkt er recht spät. Eine Reise, die ihn nach Annecy führt, in die Nähe seines Heimatdorfes, während wichtige Begegnungen unterwegs eher zufällig passieren …
Patrick Modiano, geboren am 30. Juli 1945 in Boulogne-Billaincourt bei Paris, ist ein französicher, mit Preisen überhäufter Schriftsteller, dem 2014 auch der Literatur-Nobelpreis für sein Werk verliehen wurde. Dies mit der Begründung, er habe durch die Kunst des Erinnerns die unbegreiflichsten menschlichsten Schicksale wachgerufen, und die Lebenswelt während der deutschen Besatzungszeit sichtbar gemacht. Über sich selbst sagt Modiano, das ihn sein Geburtsjahr wahrscheinlich wie andere seines Alters sensibler für die Themen Erinnern und Vergessen gemacht hat. Obwohl Modianos Texte in seiner Heimat Frankreich als moderne Klassiker gehandelt werden und nahezu alle seine Romane, 29 an der Zahl, auch ins Deutsche übersetzt wurden, in diesem Fall von Elisabeth Edl, blieb ihm hierzulande der große Durchbruch noch verwehrt.
Mich hat bei der Recherche über ihn, vor allem seine Haltung gegenüber Lesern im allgemeinen imponiert. Von der er sinngemäß sagt, sobald ein Schriftsteller sein Buch beendet habe, entziehe es sich ihm, zu Gunsten echter Leser, die die Werke besser verstünden, als deren Autor, und die sie sich mittels eines chemischen Prozesses vor Augen treten ließen.
Namenskaskaden scheinen Modiano wichtig zu sein, denn sie ergießen sich reichlich in seinen Text, indem er sinniert, kombiniert und sich vor allen Dingen erinnert. Straßennamen sind bei Modiano Erinnerungsstützen und Hinweisgeber. Er führt uns kundig durch Paris, kein Wunder dass, streifte er doch als Junge hier schon ausführlich durch die Gassen.
Wegbeschreibungen sind ihm wichtig und offenbar auch das Wetter. Denn von einer Gluthitze spricht er häufig. Sein Held ist viel zu Fuß unterwegs. Nimmt seine direkte Umgebung dabei aufmerksam auf. Bei Ermittlungen die in einer Sackgasse münden, in die ihn Briefe mit scheinbar leeren Seiten in seiner Jackentasche führen, und immer wieder wirft er hastig einen Blick über seine Schulter, hat das Gefühl verfolgt zu werden.
Leise und nachdenklich schreibt Modiano, ab und an kann man schmunzeln, dann z.B. wenn sich sein Held in bester James Bond Manier vorstellt und feststellt das Internet helfe keinen Meter weiter, auch wenn man denke heutzutage hinterließe niemand mehr keine Spuren. Tradtionell wirkt Modianos Stil auf mich, seine Schreibe eher konservativ und sie ist von einer Langsamkeit geprägt, auf die man sich, ich mich erst einlassen musste.
Diese ungekürzte Hörbuch-Fassung liest in 3 Stunden und 15 Minuten –
Walter Kreye, geboren 18. Juli 1942 in Oldenburg, deutscher Schauspieler und Hörbuchsprecher, Grimme-Preisträger.
Er hat mir einen unaufgeregten Eindruck von Modianos Wirken verschafft, passt sehr gut Hauptfigur und Handlung, liest den Text professionell und angenehm. Beide Herren konnten aber dennoch bei mir keinen echten Begeisterungsfunken zünden.
Mein Fazit fällt eher gemischt aus. Insgesamt passierte mir doch ein Hauch zuwenig, die wiederkehrenden Erinnerungschleifen waren mir hingegen persönlich zuviel. Auch auf der Sprachebene hat Modiano mich nicht komplett abholen können. Es fehlte mir an Empathie und Nähe, ich habe einfach keinen rechten Zugang zu seinem Helden gefunden, dabei wollte ich doch so gerne, das sie mir gut gefällt diese Geschichte eines Literaturnobelpreisträgers. Mein Erstkontakt mit ihm. Vielleicht war ja aber genau das mein Problem, waren meine Erwartungen zu hoch gesteckt, die Töne für mich zu leise. Auch die eingebettete Detektivgeschichte war für mich eher nur angedeutet und der Held verlor sich für mich sehr in seinen Gedankenwelten.
Dann Rom, Stadt des Vergessens. Nach Paris, Stadt des Einnerns. Verblüfft und etwas versöhnt hat mich ein raffinierter Twist gegen Ende, in dem mich Modiano mit einem Perspektivwechsel überrascht, vielleicht riskiere ich doch noch einen Blick in einen anderen seiner Romane …
“Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich in einer Art Transparenz, und jeder Augenblick, den ich in meiner Jugend erlebt habe, erscheint mit losgelöst von allem, in einer ewigen Gegenwart.”
Textzitat Patick Modiano Unsichtbare Tinte
Mein Dank geht an das Team von HörbuchHamburg für dieses Besprechungsexemplar.
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