Der Bruch (Doug Johnstone)

Seine Highlands stehen für ursprüngliche Landschaften, Naturverbundenheit und Urwüchsigkeit. Hier hat man noch einen unverstellten Blick auf raue Küsten, einsam gelegene Gemäuer, weite Täler, irgendwie sanfte Berge. Hier nennt man sie “Ben” und die Seen “Loch”. Hier pflegt man seine Traditionen, braut guten, nein, exzellenten Whisky. Hier ziehen Ungeheuer (die es fraglos gibt, die aber noch niemand zu Gesicht bekommen hat) unter spiegelglatten Wasseroberflächen ihre Runden. Hier kann es nur einen geben … Schottland. Für viele Touristen ein Sehnsuchtsziel, eine Marke, für viele seiner jugendlichen Einwohner ist ihre Heimat aber zu einem perspektivlosen Albtraum mutiert. 

So hat neben Glasgow, auch die Vorzeigestadt Edinburgh, samt hübscher Old Town, ihre Brennpunktviertel, wie z.B. Portobello-Craigmillar oder Leith. 30% der Jugendlichen leben hier in Armut, sind arbeitslos. Eine Studie der British Medical Association von 2011 legt dar, das täglich 5 Personen in Schottland an den Folgen von Alkoholmissbrauch sterben, 450 Personen Opfer einer Straftat werden, die von einem alkoholisierten Täter ausgeführt wird. Es hatte zum Zeitpunkt dieser Erhebung in Schottland am Tag 98 Krankenhauseinweisungen aufgrund alkoholbedingter Probleme. Die alljährlichen Kosten dieser alkoholbedingten Schäden türmten sich zu einer Summe von 120,5 Millionen Euro auf. Willkommen in der Welt von Tyler:

Der Bruch von Doug Johnstone

… spielt größtenteils in einem solchen Milieu, in einem heruntergekommenen Vorort von Edinburgh, namens Greendyke …

Tyler schaute wie im Schock auf die Frau die da am Boden lag. Eine Blutlache breitete sich unter ihr aus, und ihr Blick heftete sich auf ihn, als wolle sie ihm noch etwas sagen. Aber Barry drängte zur Eile, das blutige Messer, in seiner Hand, sie mussten hier weg …

Kurz zuvor waren sie noch guter Dinge gewesen. Es war ihr zweiter Einbruch an diesem Abend, und bislang war alles glatt gegangen, gut gelaufen sogar. Auch dieses Haus hatte reiche Beute versprochen. Wer hier wohnte hatte Geld, das sah man schon von außen. Sie hatten geklingelt, niemand zu sehen oder zu hören, waren eingestiegen, waren auf Nummer sicher gegangen, so dachten sie und dann war plötzlich diese Frau da gestanden …

Doug Johnstone, geboren 22. Juli 1970, lebt in Edinburgh, spielt, singt in mehreren Bands, ist Songwriter und einer der wichtigsten Autoren der schottischen Krimiszene. Der Bruch ist sein zehnter Roman, von dem sein Kollege Rankin meint, es sei vielleicht sogar sein bisher bester, schonungslos und mit großartigen Charakteren. Dem kann ich mich anschließen, und zwar uneingeschränkt. Johnstones Figurenzeichnung finde ich einfach Klasse, seine Szenen sind filmreif, man hat sofort Kopfkino. Vielleicht wirkt der Plot auch wie er wirkt, weil Johnstone in ihm seine eigenen Erfahrungen nach einem Einbruch in seinem Haus vor rund acht Jahren verarbeitet hat.

Johnstone, der als Atomphysiker promoviert hat, hängte wegen Irvine Welshs Debütroman “Trainspotting” das Forschen an den Nagel und begann selbst zu schreiben, und wie ich finde großartig. Alle Wetter! Bei ihm macht es die Mischung. Eine die aus einer gehörigen Portion Lokalkolorit, Realismus und Spannung besteht. Seit 2006 hat er mittlerweile ein Dutzend Bücher veröffentlicht und sich einen Namen gemacht. Seinen aktuellen Text hat Jürgen Bürger für uns ins Deutsche übersetzt.

Ich liebe Schottland, durfte es auch schon bereisen, in seinen Krimis aber bin ich nicht so zu Hause. Lediglich mit dem Ermittler von Ian Rankin war ich schon unterwegs und ihn hätten diese Kids hier vermutlich das Fürchten gelehrt. Die meisten von ihnen haben massive Drogenprobleme, sind rotzfrech, und mit dem Mein und Dein haben sie es auch nicht so. Wie könnten sie auch, fehlt es Ihnen doch an jeglicher Perspektive.

Bean, eigentlich Bethany, 7 Jahre alt und ihr Bruder Tyler 17, sind wie Pech und Schwefel. Ihre Mum Angela, hängt an der Flasche und an der Nadel. Heroin, das nicht erst seit gestern und so haben die beiden gelernt sich umeinander zu kümmern. Bei genauerer Betrachtung ersetzt Tyler seiner kleinen Schwester Mutter und Vater. Denn letzteren haben beide nie kennengelernt. Wie auch, nicht einmal ihre Mum kennt ihn und den gleichen Erzeuger haben die zwei wohl auch nicht.

In der Familie hat ihr Halbbruder Barry das Sagen, und von seinem Vater hat er viel gelernt, allerdings nix Gutes, vielmehr ist in seine Fußstapfen als Krimineller getreten. Er ist brutal und verschlagen, hat Sex mit seiner eigenen Schwester, Kelly, terrorisiert, unterdrückt und zwingt Tyler, ihm bei seinen Raubzügen zu assistieren. Und wehe wenn der einen Mucks macht, dieser Gutmensch, dann geht er ihm an die Gurgel. Auch das wäre nicht das erste Mal …

“Das hier ist kein Scheißspiel. Das hier ist keine Safari in die Welt der Armen, wo du einfach so herumreisen kannst mit deiner Uniform und mit deinem teuren Auto. Das hier ist das wirkliche Leben. Es ist mein Scheißleben.”

Zitat Doug Johnstone Der Bruch

Und dann das Kontrastprogramm. Es gibt auch sie die Stadtviertel, wo man fast obszön reich ist, sich abgeschottet, seine Kinder auf teure Privatschulen schickt. Andere Sorgen hat als existentielle. Eine solche Tochter aus gutem Hause lernt Tyler kennen. Am Tatort sozusagen. Dahin kehrt man ja als Täter bekanntlich zurück. Felicity, sie nennt sich Flick, und irgendwie hat sie gleich einen Narren an ihm gefressen. Vielleicht weil er so unverstellt ist, so ernsthaft und das genaue Gegenteil von ihr. Nicht gelangweilt, sondern echt ist. Er geht tatsächlich auch noch nicht einmal ungern zur Schule und kümmert sich vorbildlich um seine kleine Schwester. Das imponiert nicht nur ihr.

Ein toter Welpe, Hundekämpfe, ein Faustkampf zwischen zweien, wie auf Leben und Tod, eine Krankenhausbegegnung, und immer wieder Hoffnung.

“Weiter unten griffen die Lichter auf der Baustelle zum Himmel wie kleine Finger, die versuchten, Zwiesprache mit Gott zu halten. Als gäbe es da oben einen großen Typen, der alles auflösen konnte, nur mit der Hand wedeln musste, und all der Schmerz und das Leid der Welt würden verschwinden.”

Textzitat Doug Johnstone Der Bruch

Hier wedelt niemand mit der Hand und alles Leid verschwindet. Im Gegenteil. Doug Johnstone erweist sich als Autor, der seinen Figuren einiges zumutet. Als wolle er sie an diesem Druck wachsen sehen. Das wievielte Mal es ist, als die Mum von Bean und Tyler wegen einer Überdosis ins Krankenhaus eingeliefert wird, erfahren wir nicht, am Ende spielt es auch keine Rolle. Das Ergebnis ist immer gleich. Wenn sie sich nicht selbst hilft, hilft ihr keiner. Entsprechend und erschreckend abgeklärt reagiert Tyler als er sie findet, bedeckt von den eigenen Exkrementen. Da hält man unweigerlich die Luft an, ringt um Fassung. Wer jetzt aber denkt der Autor gönne einem eine Atempause, der irrt. Die Polizei ermittelt längst wegen des Einbruchs mit gefährlicher Körperverletzung, und sie hat eine Spur, eine die in die in die verdammt richtige Richtung führt …

Kleinkriminelle, ein Drecksloch, vollkommen erbarmungslos leuchtet Doug Johnstone hier in jede Ritze. Es hat viel mehr Schatten als Hoffnung, fürchte ich, auch oder besonders bei Licht betrachtet. Wie kommt man da raus? Wie nimmt man selbst keinen Schaden?

Schnell ahne ich, harmlos geht anders. Eine Schneise der Verwüstung zieht sich durch diesen Krimi, der mehr eine Sozialstudie ist, denn reine Spannungsunterhaltung und der eine Kerbe hinterlässt in meinem Leserinnenherz. Hier kann man nicht unbeteiligt bleiben. Hier kann man nicht keine Partei ergreifen.

Ein guter Kriminalroman bildet die Druckpunkte unserer Zeit ab, und die der Gesellschaften in denen wir leben. Jenseits von Stereotypen und Klischees. Realistisch und ohne Effekthascherei. Er lässt uns erkennen warum seine Helden tun was sie tun. Geht Motivationen nach. All das leistet “Der Bruch”, ist spannend und rau, spiegelt aber zugleich auch eine Zerbrechlichkeit, die hinter der hier dargestellten Gewaltbereitschaft steckt, die ihn für mich besonders macht und weswegen ich ihn gerne empfehle.

Also gebt Euch einen Ruck, auch wenn ihr vielleicht sonst kein Herz für den Krimi habt, aber dafür eines für die, die am Rand stehen, brecht leserreisend auf nach Edinburgh und lernt Tyler kennen. Es lohnt so!

Mein Dank geht an den Polar Verlag für dieses Besprechungsexemplar.

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