Alljährlich, Ende Januar, findet in Dortmund Europas größte Jagdmesse, die Jagd & Hund statt. Auch 2024 wurden dort Jagdreisen auf geschützte Großwildtiere angeboten. Trophäen von Eisbären, Nashörnern und Elefanten zählen zu den begehrtesten. 2023 wurden laut ProWildlife in Deutschland, durch das Bundesamt für Naturschutz, 30% mehr Trophäeneinfuhren registriert und genehmigt als noch 2021. Dies trotz der wiederholten Zielsetzung des Bundesumweltministeriums genau das Gegenteil zu erreichen. Nämlich den Erhalt bedrohter Arten zu unterstützen.
Wie passt in diesen Kontext, das Botswana, wie der WDR im April diesen Jahres berichtet, Deutschland 20.000 wilde Elefanten schenken will? Der verärgerte Präsident des afrikanischen Landes hatte in einem Interview, dieses provokante Angebot gemacht, um darauf aufmerksam zu machen was es für sein Land bedeutet, wenn unsere Bundesumweltministerin Steffi Lemke, weiterhin für die Verschärfung eines EU-Gesetzes zur Einfuhr von Jagdtrophäen wirbt.
Die Fläche Botswanas sei doppelt so groß wie die Deutschlands, seine Einwohnerzahl entspreche in etwa der von Hamburg. Auf rund 2 Millionen Menschen kommen in Botswana etwa 130.000 Elefanten, was ein Verhältnis von Mensch zu Elefant von 15:1 bedeutet. Unter Berücksichtigung des enormen Platz-, Wasser- und Nahrungsbedarfes der Dickhäuter, sei nach Ansicht von Experten eine Anzahl von 70.000 Elefanten in Botswana verträglich, also etwa die Hälfte, und eine Kontrolle der derzeitigen Population sei nur durch Bejagung möglich. Die Bestrebungen der EU seien damit kontraproduktiv.
Jetzt wird es richtig schwierig, denn höhere Raten für Abschusslizensen aufzurufen, werden genau dann möglich, wenn es zu einer Kürzung der Trophäeneinfuhrquoten kommt. Et voila, die Verknappung befördert den Abschußtourismus, das “Töten aus Spaß” per Lizens legitimiert.
Der Protagonist in Gaea Schoeters aktuellem Roman, dem sie auch noch bezeichnenderweise den Nachnamen “White” und ein ausgeprägtes Gefühl der Überlegenheit gegenüber Afrikaner:innen zuweist, sucht genau diesen Kick. Er badet geradezu in Endorphinen, wenn er töten darf. Schon als Junge hielten ihn Vater und Großvater auf deren Jagden dazu an.
Wer jetzt befürchtet, auf eine klischeehaft gezeichnete, hassenswert unsympathische Hauptfigur zu treffen, den belehrt diese Autorin rasch eines Besseren. So leicht macht sie es ihren Leser:innen nicht.
Gaea Schoeters, geboren 1976, lebt in der Nähe von Gent. Die flämische Autorin und Journalistin, Drehbuchautorin und Librettistin wurde für ihren kreativen Umgang mit Sprache 2012 mit dem Großen Preis Jan Wauters ausgezeichnet. Mit ihrem Roman “Trophäe”, der passgenau von Lisa Mensing ins Deutsche übersetzt wurde, erschrieb sie sich nicht nur den Literaturpreis Sabam for Culture, sondern sie hinterlässt auch Einschusslöcher in meinem Leserinnenherz!
In diesem Frühjahr waren die Niederlande & Flandern, unter dem Motto “Alles außer flach“, Gastland der Leipziger Buchmesse und Schoeters beweist, getreu diesem Leitsatz und mehr als eindrücklich wie es geht Figuren und einer Geschichte Tiefe zu verleihen.
Sie katapultiert mich gleich zu Beginn ins Grasland Afrikas und schickt mich auf eine Pirsch, die mich so nah an ein Nashorn rankommen lässt, dass ich ihm Falten und Haare zählen kann. Mein Puls und mein Atem beschleunigen sich, jetzt nur nicht auf einen trockenen Ast treten! An meiner Seite ein Mann, den ich in der Folge, am liebsten abwechselnd schütteln, anschreien und dann doch auch wieder beschützen möchte, vielleicht auch vor sich selbst:
John Hunter White. Den alle nur Hunter nennen, Nomen est Ohmen, ist Wall Street Analyst, steinreicher Landbesitzer von Grundstücken der unberührten Art, Großimmobilienspekulant und Hobby-Großwildjäger. Hier, in Afrika ist er diesmal wegen eines Nashorns. Seines Nashorns. Das fehlte ihm noch in seiner Trophäensammlung und diesmal soll es klappen. Mit dem finalen Schuss, damit er den Rausch des Adrenalins genießen und seiner Frau die Trophäe zu Füßen legen konnte. Sobald ein Tier tot war, verlor er regelmäßig das Interesse, ihn reizte einzig das Risiko, ihres, das seiner Frau, aber war genau dann geweckt, wenn das von ihm erlegte Tier ausgestopft war. Wenn es für die passionierte Kunstsammlerin zum Objekt wurde.
“Ein guter Jäger kennt seine Beute. Weiß, wie sie denkt. Und deshalb ist er ihr immer einen Schritt voraus.”
Textzitat Gaea Schoeters Trophäe
Den Fokus nicht verlieren. Nicht im Job und nicht bei der Jagd. Darum ging es. Er wusste das und beherrschte es. Es ging um Fachwissen, Beobachtung und Wagemut. Immer. Ethisch einwandfrei zielte er nur auf die alten und geschwächten Exemplare, leistete damit einen aktiven Beitrag zum Naturschutz durch die Regulation von Überpopulationen. Alles ganz legal.
Was schief gehen kann, geht schief. Was nach Murphys Law klingt, ist in diesem Fall nichts für eher Zartbesaitete. Denn diese Geschichte hat es in sich und dreht den Spieß auch noch um, entwickelt sich von der Tier- zur Menschenjagd. Was nicht nur unglaublich, sondern auch ungeheuerlich ist.
Schoeters Beschreiben ist es, dass mich neben der erzählerischen Spannung, die sie konstant hoch hält, beim Lesen elektrisiert hat. Man riecht, fühlt, Wind und Herzschlag, hört Gebrüll und Schmerz, den Schuss bevor er einschlägt. Afrika wird lebendig, das schafft sie mühelos, obwohl sie nach eigener Aussage noch nie dort gewesen ist. Das ist exotisches Nature Writing at it’s best. Wenn ich meine Augen schließe rattert mein Kopfkino auf Hochtouren los.
Bei rein szenischem Schreiben belässt diese Autorin es aber nicht, sie nimmt mich bei der Hand und führt mich an die Grenze. An die, die zwischen richtig und falsch verläuft. Vorbei an menschlichen Abgründen, in die sie mich schauen und Fragen stellen lässt nach Moral, Tierwohl und Ethik. Die Fäuste ballen, diesen Hunter verachten, dann wieder nicht. Es gibt Schlimmere als ihn. Was es, ihn, aber kein Stück besser macht. Schoeters weiß das und packt noch einen drauf, auch den noch übleren Typen begegnet man bei ihr.
Die Spuren der Vergangenheit, genauer gesagt die Kolonialgeschichte ihres Landes, behielt sie beim Schreiben im Hinterkopf, wie sie in einem Interview verriet. Insbesondere das grausame Wirken König Leopold II. im Kongo, der Land und Bevölkerung jahrzehntelang brutal unterdrückte und ausbeutete. Das arbeitet sie in die Haltung Hunters und anderer ein.
Verstörend, erschütternd, entwürdigend. Einmal angefangen, kann man diesen Roman nicht mehr so leicht aus der Hand legen. So einfach, lässt sich auch nicht mehr abschütteln was man da liest!
Wut und Empörung streiten sich in mir. Dieser Hunter White. Findet Rechtfertigungen, die erschrecken. Gaea Schoeters erspart mir nichts. Wühlt mich mit diesen und ähnlichen Gedanken auf:
“Die Armee erschießt jedes Jahr mehr Wilderer, um Ihr Jagdwild zu beschützen, als die Wilderer Nashörner abknallen. Auftrag der Regierung. Zum Schutz der Wirtschaft. Die Menschenjagd ist ein Nebenprodukt der Trophäenjagd.”
Textzitat Gaea Schoeters Trophäe
Eine rituelle Art zu jagen konfrontiert sie mit der Lust am Töten. Dem, der bislang nur darauf aus war Trophäen zu sammeln, damit stolz zu posieren, wird es eng in der Brust. Er versteht. Hoffe ich. Das es hier, inmitten des Graslandes, ums Überleben geht und nicht um Vergnügen. Das er innehält. Aber weit gefehlt. Es kommt zum Äußersten.
Ein ganz besonderer, ein kundiger Blick auf Afrika, auf Rituale der Bushmen, sowie Hintergründe zu Jagd und Wilderei geben Schoeters Roman zusätzliches Fleisch an die Knochen. Hier wird nichts gut. Kann nicht, denke ich, als plötzlich von einer Trophäe die Rede ist, die zwei Beine hat und eine Jagd beginnt, die für alle Beteiligten den Tod bedeuten kann. Wer ist jetzt Jäger, wer Beute?
Katz und Maus. Die Entscheidung ein Leben zu nehmen. Stille, die sich in den Ohren festsetzt. Bruchteile von Sekunden vor dem Schuss.
Schoeters Roman ist großartig. Unfassbar authentisch und facettenreich. Ihre Schilderungen und Beschreibungen von Flora und Fauna meisterhaft. Man erlebt ihre Geschichte beinahe körperlich. Den Rausch des Adrenalins. Die grausame Schönheit eines Löwenrudels auf der Jagd. Hyänen lachend in der Dunkelheit. Was für eine Reise! Was für ein Ende! Schoeters Geschichte packt mich, krallt sich fest und lässt mich nicht mehr los. Auch nach der letzten Seite nicht. Tatsächlich habe ich noch nichts Vergleichbares gelesen, vielleicht noch nie und in diesem Jahr wenig, das für mich besser war. Wow!
Selbst gekauft und selbst gelesen, erschienen bei Hanser Literaturverlage, Paul Zsolany Verlag.
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