Die Tollwut oder Hundswut ist eine von Alters her bekannte Krankheit, ausgelöst durch das Rabies- oder Lyssavirus, wird zumeist übertragen durch einen Biss, welcher bei gleichwarmen Tieren und dem Menschen eine todbringende Gehirnentzündung auslöst. Weltweit werden jährlich noch immer mehr als 15 Millionen Menschen wegen eines Verdachtes auf eine
Tollwutinfektion geimpft, 60.000 Menschen sterben, die meisten Todesfälle aufgrund von Tollwut hat nach Afrika Indien zu vermelden. In Europa hat man vor Jahren schon versucht die Krankheit durch eine flächendeckende Wildtierschluckimpfung auszurotten. 281 Fälle von Tollwut wurden in Europa noch in der Zeit zwischen 1977 und 2000 registriert, 5 in Deutschland. Davon hatten 3 ihren Ursprung im Ausland. Zuletzt gab es noch gemeldete Fälle auf Bali, als Übeträger gelten Hunde. Seit 2008 gilt Deutschland als tollwutfrei. Eingedenk dieser nackten Zahlen, wäre es durchaus denkbar, das es in den 1930zigerJahren einen Fall im ländlichen Bayern hätte geben können. Einen Fall wie diesen aber hoffentlich nicht …
Hundswut von Daniel Alvarenga
Mit dem Teufel im Bunde das sei er, der Joseph Köhler. Allein lebte er mit seiner Tochter in einem Haus am Waldrand. Mehr als das halbe Dorf zerreißt sich das Maul über ihn. Der Dorfwirt und der Lehrer, letzterem hilft er als Einziger das Schulhaus in Schuß zu halten, das ohne dafür etwas zu verlangen, verteidigen ihn schon lange gegen Gerüchte und Geschwätz.
1932 tagt hier ein Gemeinderat außerordentlich. Der Tod von vier jungen Leuten will aufgeklärt werden. Grausam entstellt hatte man sie im nahen Wald gefunden. Der Jäger hatte schnell geurteilt. Er kenne die Spuren eines Wolfes wenn er sie sehe. Man glaubt ihm nur ein Stück weit. Den Prozess werden sie ihm machen, dem Joseph Köhler. Verleumden tun sie ihn schon vorher. Allen voran der Bürgermeister und der Steiner. Der Großbauer hier.
Neid und Vorurteile. Sie sind ab jetzt tonangebend und dieser Rat, nebst Bürgermeister und Pfarrer, kommt zu einer Entscheidung, die einem die Schuhe auszieht!
Blind vor Raserei. Ein Geständnis erwirken, das wollen sie auf Biegen und Knochenbrechen. Der Hexenhammer liefert ihnen dafür die Ideen. Was ist nur in diese Leute gefahren! Es ist halt einfach zu glauben was ein Bürgermeister sagt. Die Verantwortung abzugeben. Nichts tun, auch als das Malleus Malificarum, als “Anleitung” zur Hand genommen wird und alles in einem fensterlosen Bierkeller seinen Anfang nimmt und die Maria, die “Mitzi” Köhler, seine Tochter, über Nacht zur Tochter eines Mörders wird. Eines Hexers gar. Nicht mehr nur die Tochter eines Eigenbrötler. Das ist es, was sie jetzt ist und schwanger. Was wie ein Lauffeuer umgeht im Ort. Da kam ja wohl nur einer als Vater in betracht, sie hatten es alle gleich gewusst.
Im Prolog haben wir erfahren, dass der Köhler Joseph draußen war, auf der Suche nach einem verlorenen Schaf und seinen Sohn Lenze allein bei der Herde gelassen hatte. Es musste ein Wolf gewesen sein, denn nichts als ein blutiges Bündel war von dem Jungen mehr übrig gewesen als Joseph zurückkam. Das hatte vor Jahren alles für ihn verändert.
Joseph würde man heute wohl eine schwere Depression attestieren, im Dorf und in den 30er Jahren hielt man die Dunkelheit, die ihn nach dem Tod des Sohns umschloss, als Schwäche und für ein pures Nicht-Wollen. Das er nicht mehr konnte, weil er sich die Schuld am Tod seines Kindes gab, verstanden weder seine Frau noch seine Tochter, die viel zu schnell erwachsen werden musste. Im Dorf indes neidete man ihm von je her seinen ererbten Wohlstand, das obwohl er großzügig war und gütig.
Daniel Alvarenga, geboren 1986 in Berlin, ist in Bayern aufgewachsen und lebt auch heute mit seiner Familie dort. Hundswut ist sein Romandebüt, bedenkt man, dass sein Schreiben bislang vom Schwerpunkt her dem von Drehbüchern galt, ist es nur konsequent, das er auch seinen Roman unter eigener Regie verfilmt hat. Besetzt hat er viele der Rollen prominent mit u.a. Christian Tramitz und Christine Neubauer. Seine unabhängige Low-Budget-Produktion drehte er in verschiedenen bayrischen Museumsdörfern und im Bayrischen Wald. Auch Konstantin Wecker wirkte mit, dieser betont die Aktualität der Handlung und wird zitiert mit dem Satz: “Es ist eigentlich ein antifaschistischer Film, so was Ähnliches kann jederzeit passieren.”
Ich hoffe nicht und doch bringt diese Anmerkung auch mein Lesegefühl auf den Punkt. Unfassbar spannend spitzt Alvarenga seine Geschichte zu. Regelmäßig eingebaute Kapitelcliffhänger sorgen dafür, dass man wie unter einem Bann und mit permanentem Kopfschütteln dran bleibt. Ich für meinen Teil, auf die Wende hoffend, auf Einsicht und einen Funken Menschlichkeit. Doch wenn der Hass übernimmt wird man blind und die Wut, sie verbrennt alles.
In vielen Situationen gilt das selbst für unsere modernen Gesellschaften, weshalb es geschickt ist, dass sich Alvarenga entschieden hat, seine dem Aberglauben anhaftende Dorfgemeinschaft in genau die Zeit zu legen, in der rechte Ideologien in Deutschland die Macht übernahmen. So leicht kann man nicht abtun was hier geschieht, wenn man erlebt wie einige Wenige laut sind und die, die im Dorf im Grunde die Mehrheit sind leise bleiben, schweigen, oder bestenfalls ratschen. Aber es geht auch um ihn, um den Mut Einzelner. Selbst wenn der brutal niedergeschlagen wird. Ein Muster, welches wir leider auch kennen …
Der Glaube an Hexen und Werwölfe, der aus dem tiefsten Mittelalter stammt und längst in die Ablage von Mythen und Märchen gehört, auf keinen Fall aber in eine irdische, oder wie Bitte, kirchliche Gerichtsbarkeit?! dient hier als Mittel zum Zweck.
Wer denkt, nur in einem geschützten Raum, im Verborgenen, in einem abgelegenen Ort, wo keine übergeordnete Behörde erfährt von dem was dort vorgeht, können solche Kräfte erstarken, der irrt. Wir alle wissen das längst.
Thomas Birnstiel, geboren 1978 in München, deutscher Schauspieler und Sprecher, hat die Hörbuch-Fassung von Alvarengas Roman eingelesen. Gut neuneinhalb Stunden ist man in diesem Kosmos gefangen. Seine Lesung ist eine echte Wucht, nicht dass der Text noch Unterstützung nötig gehabt hätte, geschafft hat es Birnstiel als Vorleser aber dennoch wie ein Verstärker zu wirken. Alle Dialoge sind samt und sonders in bayerischem Dialekt, da muss man als als Nicht-Bayer:in schon auch die Ohren spitzen, das Geschehen wirkt aber auf diese Weise noch authentischer und so bildhaft, dass mein inneres Kino auf Hochtouren lief.
Das was David Alvarenga hier erzählt, stürzt einen als Leser:in in tiefe Fassungslosigkeit. Er arbeitet mit drastischen Bildern erschafft eine soghafte, schockierende Atmosphäre. Ein neutraler Erzähler begleitet einen, während man rasch einen Punkt erreicht, ab dem man nur noch schweißnasse Hände hat und an dem aus böser Vorahnung Gewissheit wird. Egal wie, das hier kann nicht gut ausgehen.
Man sieht nur was man sehen will. Ein Schuldiger muss her. Jedes Mittel scheint recht, als die Büchse der Pandora eröffnet ist, als der Geist aus der Flasche heraus ist und man ihn nicht wieder hinein bekommt.
Als ich Trophae von Gaea Schoeters beendet hatte, dachte in diesem Jahr kann nichts packenderes, grausigeres oder traurigeres mehr kommen. Hundswut aber packte meinen Kragen und schüttelte mich so dermaßen durch, das ich kaum mehr Atem holen konnte!
Immer wieder kommt es schlimmer, wenn man denkt jetzt sei es aber genug, respektive zu wissen glaubt, auf wen man noch zählen kann.
Grenzen werden überschritten. Feigheit, Wegsehen und Mitläufertum. Verbohrtheit trifft auf das Unvermögen einen Schritt zurückzutreten, wenn man ihn zu weit gegangen ist, oder den Irrtum dem man erlegen ist einzugestehen, gleich wie hoch man gestellt ist. Oder auch genau deshalb. Dieser Roman seziert gnadenlos die Machtstrukturen eines Ortes, er ist ein Schrei nach mehr Menschlichkeit und zeigt, dass auch der Spiegel des Entsetzens oft nicht mehr aufzurütteln vermag. Am Ende angekommen bin ich stumm und starr in dem meinen.
Seid also gewarnt, wenn Ihr euch diese Geschichte erlesen möchtet. Ihr werden den menschlichen Abgründen nicht nur ganz nah kommen, sondern ganz und gar entmenschlichtes erleben. Was geschieht ist grausam. So grausam, dass es mir beinahe körperlich weh getan hat. Alvarengas letzte Bilder verfolgen mich. Das Schlimmste daran, so hätte es nicht enden müssen. Wo ist die Vernunft, wo sind der Mut, wo der Verstand. Geblieben?
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