Sommerwasser (Sarah Moss)

Wer im August herkommt, erwischt ihn vielleicht. Den regenärmsten Monat Schottlands. Wir hatten es versucht seinerzeit und es hat fast geklappt. Unterwegs zwischen Bens und Glens. Einen See nennt man hier Loch. Manchem dichtet man gar ein Ungeheuer an, andere verheißen Ruhe und Stille, die Highlands Einsamkeit. Man kann hier alle Wetter an einem Tag haben. Manchmal aber da regnet es nur und ausschließlich. Wie aus Eimern …

“Licht rinnt übers Wasser, durchs Geäst. Auf dem See liegt der Himmel, füllt die Bäume, schwer in den Zwischenräumen der Kiefernnadeln, sitzt zwischen Grashalmen und sprenkelt die Kiesel am Strand. Obwohl zwischen Wolke und Land kein Abstand ist, der Regen keinen Platz zum Fallen hat, regnet es.”

Textzitat Sarah Moss Sommerwasser

Sommerwasser von Sarah Moss

Wasser von allen Seiten. Von unten spritzt es aus den Pfützen, von oben fällt es als Regen, als wären sie hier in den Tropen. Willkommen im Sommer. In Schottland. Das wird erholsam werden, dachten sie. Ganz idyllisch, in einem Camp am See. Die Kinder könnten schwimmen.

Wasserscheu darf man hier nicht sein. Ist sie auch nicht. Diese Mutter zweier Kinder, die joggend früh um fünf versucht, was auch immer, wem auch immer, davon zu laufen. Im strömenden Regen. 

Und er sitzt, seit sie hier in den Ferien sind, schon vor Tagesanbruch am Fenster. Trinkt Tee. Sieht dem Regen zu. Während seine Frau schläft. Sieht dieser Frau zu. Die jeden Morgen vorbei joggt als sei der Teufel hinter ihr her.

Schaut den Kindern nach, die nass bis auf die Haut ihr Vergnügen suchen. Bibbernd vor Kälte. Hört Eltern, die die Geduld verlieren. Weil der Regen einfach nicht aufhören will.

Da ist ein Junge, der trägt ein rotes Kajak. Das er sich weit weg wünscht sieht niemand. Auch nicht, wie er es zu Wasser lässt, um anschließend mit üblen Böen zu kämpfen. Wasser im Gesicht, Wasser überall. Der Wind trägt Kinderstimmen heran. Keine freudigen allerdings …

“Das Licht ist, wie es am Morgen war. Diese Mittsommertage vergehen zu langsam, um es zu sehen, besonders durch die Vorhänge aus Regen und Wolken vor Wald und Ufer.”

Textzitat Sarah Moss Sommerwasser

Sarah Moss, Sarah Moss, geboren 1975 in Glasgow, aufgewachsen in Manchester, studierte Literatur, forscht über Essen, Nahrung und das Kochen in der Literatur, veröffentlichte 2009 ihren ersten Roman. Ich habe zuletzt Geisterwand von ihr gelesen und der Eindringlichkeit wegen gemocht. Übersetzt hat beide Geschichten aus dem Englischen ganz wunderbar Nicole Seifert.

Dauerregen und kein Handyempfang – ein wahres Paradies für sechzehnjährige auf Familienurlaub (Ironie aus). Ein Pärchen auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, offennbar haben sie dabei das Kamasutra im Kopf und üben fleißig. Ein altes Ehepaar, das an seinem gemeinsamen Nenner noch festhält.

Herzfehler und andere belastende Einschränkungen treffen auf Abenteuerlust und alltägliche Boshaftigkeit. Kinder können gemein sein, das alles unter einem düsteren, auf die Stimmung drückenden, schottischen Himmel.

Die Geschichte lebt von ihren zahlreichen Perspektivwechseln, von der Unvorhersehbarkeit dessen was da als nächstes erzählt werden wird. Wer genau hinliest und hinter die Fassaden schaut, kann verschiedene Lesarten entdecken. Die Gemeinsamkeiten, die diese Protagonisten mit uns allen haben. Auch wenn wir sie gerne wegschieben würden, zeichnet der hier wie zufällig zusammengewürfelte Mikrokosmos einer Feriensiedlung unsere Gesellschaftsstrukturen nach. Spiegelt Alte und Junge, Ehen auf dem Prüfstand, Teenager mit Todessehnsucht, Mütter im Dauerstress, Toleranzbemühungen und Alltagsrassismus.

Die Landschaft vor der sich das alles abspielt ist nie nur Kulisse, auch wenn die Sicht verhangen ist, spüren wir die Weite. Wir treffen alle am Ufer eines Sees, oder wie man hier sagt, an einem Loch. Die Lästermäuler, die “desperate housewives” und arbeitssüchtigen Ehemänner, die sich des WLANs wegen im nahen Pub häuslich eingerichtet haben, vorgeben selbstständig sein bedeute eben selbst ständig arbeiten zu müssen. Mit der Familie Zeit zu verbringen geht da eben nicht. Auch nicht in den Ferien. Die einen stillen Vorwurf an die eigene Ehefrau richten, die das mit dem Arbeitengehen ja hat sein lassen. Müssen vielleicht? Wegen der Kinder, Spannung liegt in der Luft dieser Ferienhütte und nicht nur in dieser hier.

Es hat Steine am Ufer. Steine, über die man stürzen kann. Steine, die man werfen kann. Genau das tut man auch. Buchstäblich. Es wird Tote geben in diesem Sommer, lese ich am Ende eines Kapitels und halte die Luft an, als sich ein einsamer Kinderschuh findet.

Eine geschenkte Stunde. Mann und Kinder aus dem Haus. Sie hat sie verschwendet. Weiß nicht mehr wie das geht, etwas mit sich anzufangen. Außer zu putzen.

Kann man das Leben einfach mal in die Ecke stellen, Ferien in der Abgeschiedenheit machen und vergessen was einen belastet? Schwer zu sagen, in jedem Fall versuchen das hier einige und Sarah Moss erzählt uns davon, episodenhaft und mit einem eher kühlen, distanzierten Ton, der zu dem tristen Wetter exzellent passt, das da gerade über die schottischen Highlands zieht.

Hinter jeder ihrer Ferienhaustüren wohnt eine eigene Geschichte, Sorgen und Nöte inklusive, die Mann und Frau für den Urlaub eigentlich zu Hause hatten lassen wollen. Aber so einfach ist das aber nicht. Man nimmt sich eben immer mit. Auch die Dauermüdigkeit, die vielleicht sogar eine Depression ist, die Frau restlos die Nerven verlieren lässt, trifft man ruhesuchend auf Feierwütigkeit und auf Bässe, die Ringe im Waschbecken machen, damit Unruhe im eigenen Bauch.

Moss erzählt uns vom Gewicht des Wassers, vom Klang von Blut und Luft, von Sansibar, Wölfen und fallenden Steinen. Von Minze, Kinderzimmern, Ameisenhaufen und dem Ort, an dem die Leichen liegen. Streut Gedankenfetzen zwischen die Kapitel, die ich nebenbeibemerkt ganz besonders mochte, lässt dann wieder ihre Figuren zu Wort kommen lässt, uns an ihren Gedanken teilhaben, sie treten wie auf wie auf einer Bühne. Das Licht geht an und nach dem Erzählten wieder aus. Zwischen diesen kleinen Kammerspielen suche ich nach einer Verbindung. Die mehr ist als die bloße Tatsache, dass alle sich für den gleichen Ferienort entschieden haben und das man hier nichts machen kann. Bei dem Wetter. Außer die anderen dabei zu beobachten wie sie nichts machen. Oder vielleicht doch etwas machen, dass man nicht sehen soll?

Diese Fragmente sind es, aus denen Moss ein Ganzes macht. Die Abgründe sind es, mit denen sie punktet. Die menschlichen und ihre Sprache. Die ich als klar empfinde. Als direkt. Aber auch poetisch. Besonders wenn es um ihre Beschreibungen der Flora und Fauna geht. Ihrem Personal verpaßt sie klare Konturen, manchmal auch eine Schwarz-Weiß-Denke die mich zusammenzucken lässt, und wie genau diese Autorin beobachtet! All die verschiedenen Arten auf die Regen fallen kann sieht, wie sie ihren Blick auf die Details richtet, die wir nur allzu oft am Weg liegen lassen. Sie sieht sie alle. Und ihre Figuren, die sieht sie auch. Sie dreht sie auf links für uns.

Moss versteht es, wie auch schon in Geisterwand, sich kurz zu fassen und ihren Text atmosphärisch prickelnd aufzuladen. Vieles anzudeuten, nicht alles zu Ende zu erzählen, damit das eigene Kopfkino weiter laufen kann. Sie schenkt uns einen Sommerroman der besonderen Art, nicht nur für die, die in diesem Jahr nach Schottland reisen. Bis zum Schluss hält sie die Spannung, hat da nicht eben jemand Feuer gerufen … ?

VIelen Dank an den Unionsverlag für das Rezensionsexemplar. Druckfrisch ist der Titel seit heute 14.07.23 beim Buchhändler Eures Vertrauens erhältlich.

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