Warum ich Lotto spiele? Seit wahrscheinlich, lasst mich mal kurz überlegen, mehr als fünfunddreißig Jahren? Weil ich an das Glück glaube? An den glücklichen Zufall? Es gibt da wohl eher eine unglaublich pragmatische Antwort für. Ich ging noch in die Lehre, da gründete meine Bürogemeinschaft von damals eine “Lotto-Kasse”. Jeder suchte sich sechs Zahlen aus, alle kamen auf einen Zettel. Meine Zahlen weiß ich halt auswendig und auch wenn ich jetzt schon lange dieser Tippgemeinschaft nicht mehr angehöre, so musste ich weiter spielen. Weil es ein Albtraum für mich ist, diese Zahlen irgendwann einmal als gezogen zu hören und dann keinen gültigen Schein in der Trommeln zu haben. Nicht auszudenken, oder? Würde ich so die Chance auf sechs Richtige, vielleicht sogar mit Zusatzzahl, und meinen Traum von Sorglosigkeit und plötzlichem Reichtum verpassen. Bis dahin begnüge ich mich mit dem Glück, das in den kleinen Dingen liegt und gebe mir Mühe, das mein Leben nicht durch nur eine Silbe ins Gegenteil umschlägt. Den Buchstaben U und N gehe ich aus dem Weg, denn sie trennen das Glück vom Unglück …
Sieben Richtige von Volker Jarck
Schuld zerstört Unschuld. Ein illegales Autorennen am helllichten Tag und seine Folgen. Eine Reise nach Rom. Das Ausbleiben der Regel und eine Trennung. Ein Mittwoch im Oktober wird zum “Komma-Schutztag” erklärt. Nichts bleibt so wie man es hinter sich lässt. Auch eine Altherren-Fussballmannschaft nicht.
Ein Karzinom. Eine neue Bindung nach einer Scheidung? Ein Sabbatical in den USA wird unterbrochen. Aber den Abrecher will man gar nicht als Unterstützer? Eine Scheidung scheint nicht aufhaltbar und will ausgehalten werden. Ein Wespenstich und ein anaphylaktischer Schock. Sterben auf einem Rastplatz. Im Gebüsch.
Gefährliche Körperverletzung oder versuchter Totschlag? Was gibt das neue Rasergesetz her? Wie verantwortungslos kann man sein. Helden mit “dicker Hose” schlagen doch noch auf dem Boden der Tatsachen auf.
Ausverkauft. Söhne aus Amerika finden keine Marzipankartoffeln mehr für eine tapfere Mutter. Es wird Weihnachten und für die ein oder andere Familie gibt es kein trautes Zusammensein wie in der Rama-Werbung.
Krankenhauskeime und Kämpfe mit Exfreundinnen. Sich kleinere Sorgen machen, geht das? Wohin gehen die Jahre wenn sie vergehen? All die Menschen, die Namen, die sie beherbergen? Auf der Klaviatur der Nachdenklichkeit weiß Jarck zu spielen. In seiner Geschichte die wie ein Kaleidoskop ist, die mir als Leserin immer neue Farben, neue Facetten zeigt.
Wo des einen Leben neu beginnt, findet ein anderes einen Schlusspunkt. Wie gekonnt Jarck seine Figuren miteinander verbindet, seine Brückenschläge sind unvorhersehbar und bisweilen verblüffend. Ganz wie von selbst und logisch fällt ein jedes Steinchen an seinen Platz in diesem Erzählmosaik. Das leicht plaudernd daher kommt und es doch faustdick hinter den Silben hat.
Für einen Teil seiner Figuren öffnet er einen Vorhang, für die anderen fällt der letzte. Mit viel Feingefühl und Fingerspitzengefühl ist er bei allen von ihnen. Vernetzt sie oder lässt sie kontaktlos. Ist fragmentarisch vom Erzählstil her oder verbindend, aber immer humorvoll. Denn Humor ist, wenn man trotzdem lacht …
“Wer lädt das bisschen Luft zwischen zwei Menschen auf? Wer spannt den Draht zwischen den Polen? Wer stellt sich einem schnellen Abschied unsichtbar in den Weg?”
Textzitat Volker Jarck Sieben Richtige
Ein Wiedersehen zwischen Supermarktregalen. Eine durchgequatschte Nacht. Es war viel passiert in zwanzig Jahren. Im Leben funktionieren, das tun sie, Jarcks Figuren und er legt ihnen ganz wunderbare Dialoge in den Mund. Die Bälle fliegen nur so hin und her. Jede Pointe sitzt, das macht Spaß. Das Leben schlägt ihnen aber auch hart ins Gesicht, da sind sie zum Teil noch nicht einmal vierundzwanzig, schreibt Jarck, und auch als er sie älter werden lässt, macht er es ihnen nicht leichter. Die Zeit heilt alle Wunden sagt man, vielleicht könnte sie ja wenigstens das Schlimme besser machen. Schreibt er und ich nicke.
Das ist der Unterschied, und das ist die Wahrheit. So einfach und doch so schwer. Lebensentscheidungen sind hier einige zu treffen, schwerwiegende und weitreichende. Ereignis folgt auf Ereignis. Es geht Schlag auf Schlag. Das Schicksal fegt durch die Sätze, wie eine Horde Hassadeure. Ganz nach dem Motto “schlimmer geht immer”.
Der lederne Kern der Erde ist ein Ball. Ein Fußball um genau zu sein und nach ihm tritt ein Lehrer in diesem Erzählreigen immer dann, wenn ihm der Schädel brummt. Ein One-Way-Ticket. Der Aufbruch in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten beginnt in einer Business-Lounge mit Gurken-Ingwer-Wasser. Es wartet eine Senioren-Zukunft, mit Rückblick, auf Bochum. Ein Bildband aus der Heimat, er muss noch mit …
Volker Jarck, geboren 1974, lebt in Köln, hat in Bochum Literatur studiert und Theater gespielt. Seine Handschrift, seinen Erzählton habe ich als ungeheuer eloquent erlebt. Er ist ungemein unterhaltsam sein Text, die Szenen die er aneinander reiht sind so abwechslungsreich und der Humor herrlich trocken. Hier jongliert ein Autor mit Worten wie ein guter Artist mit Bällen, und zwar nicht nur mit dreien. Jenseits von seicht, abseits von gewöhnlich wird man hier erstklassig unterhalten.
“Die ganze Welt ist Gegenwind. In voller Fahrt. Nur einmal noch einen Kuss in diese unfassbare Luft werfen. Den soll jemand auffangen. Irgendwo … Sich nicht mehr festhalten, keine Fragen überhören, keine Gründe erfinden, keine Entscheidungen aufschieben … Einmal noch die Augen schließen … Dann geht der Atem und kommt nicht zurück.“
Textzitat Volker Jarck Sieben Richtige
Heftige, eindringliche Kurzsätze wie ein stetes sich steigerndes Trommeln sind sie aneinander gereiht. Sie packen mich und mein kleines Herz in den melancholischen Szenen. Dieses Stilmittel zieht sich durch Jarcks kompletten Text und er schafft es damit auch seine Pointen zu unterstreichen.
Das Leben ist bunt, es kennt viele Geschichten, und so ist auch die von Volker Jarck. Mir hat gefallen, wie liebevoll er die Lebenswege seiner Figuren nachzeichnet. Wie er sie durchschüttelt, aufrüttelt, aber auch zur Ruhe kommen lässt, auf ihrer Suche nach ein bisschen Glück. Er macht mir deutlich, wie oft das Glück im Alltäglichen liegt. Sich nebeneinander die Zähne zu putzen und im Spiegel anzuschauen, man muss es nur sehen, das Glück und dann – festhalten. Was das alles mit dem Mammut auf dem Cover zu tun hat, das findet mal schön selbst raus, ich sag nur: romantisch kann Jarck auch …
So gerne habe ich diese wechselvolle Geschichte gehört, die bitter-süß ist, wie meine Lieblingsschokolade mit siebzig Prozent Kakao, Meersalz und Karamel. Nein, ich glaube der Vergleich passt nicht. Wenn man die Worte von Jarck in den Mund nimmt, prickelt es mehr als es schmilzt. So wie bei einem Tütchen guter alter Ahoi Brause. Danke dafür und sehr, sehr gerne habe ich sie gehört, woran eindeutig ER die Schuld trägt:
Christoph Maria Herbst, wie er leibt und lebt. Ihn muss ich nicht vorstellen. Jeder dieser Dialoge ist für ihn wie ein Heimspiel. Idealbesetzung. Das Wort fällt mir als erstes ein und es stimmt. Bis zum letzten unausgesprochenen Satzzeichen. Er ist ein alter Hase und ein Vollprofi im Hörbuch, Vollblutschauspieler und doch ist es so, als stecke er in jeden Text die Leidenschaft des ersten Mals. Das mag ich so an ihm, und wie genial er die Balance zwischen den leisen und den lauten Tönen halten kann. Zwischen dem Lachen und dem Lächeln unter Tränen.
Wenn er hier als besorgter Vater einen Klinikarzt anwettert, das presst mich an meinen Sitz, wie der Start in einer Mondrakete. Kann soviel Lebendigkeit in einem einzigen Sprecher drin stecken? Es kann. Ich fand das fabelhaft und wäre ich nicht längst ein Fan von Herbst, jetzt wäre ich es!
Mein Dank für dieses Rezensionsexemplar geht an den Argon Verlag und mehr zum Titel nach einem Klick auf das Cover:
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