“Kohlegeruch liegt über der Straße und eine heilige Luft steht mir um die Ohren. Sie ist kalt und man ahnt den Schnee, der oben zwischen allen Sternen hängt, sich schon bereit macht zum Fall.”
Textzitat Laura Lichtblau Schwarzpulver S. 159
Schwarzpulver. Es besteht aus Salpeter, Kohlenstoff und Schwefel. Meine erste Assoziation mit diesem Wort ist Schießpulver. Sofort sehe ich eine Flinte die gestopft werden will und einen qualmenden Lauf. Haben nicht die Chinesen das “Pulver” erfunden und sind sie nicht bis heute die Spezialisten wenn es um seine Verwendung in der Pyrotechnik geht, also in Feuerwerkskörpern?
Was das jetzt mit dem Roman zu tun hat der hier vor mir liegt? Ich sag mal so, Kamera an, Ton ab und Klappe für eine im besten Wortsinne explosive Mischung. Hier treffen sich eine urbane Dystopie, inklusive restriktiver Staatsmacht, und eine komplizierte Mutter-Sohn-Beziehung. Geschossen wir natürlich auch, denn eine der Hauptfiguren ist “Präzisionsschützin” …
Schwarzpulver von Laura Lichtblau
Die Wende. Ja, die Wende kam in/mit dieser Sylvesternacht. Während Feuerwerksraketen, schwer von Schwarzpulver, krachend am Himmel zerschellten, schoss Charlotte auf eine Frau. Dabei hatte sie nur ihren Charlie schützen wollen.
Man führte sie ab. Schließt sie weg. Psychiatrie. Ausgerechnet Charlotte war ausgerastet? Sie, die sie so solide war wie ein Brückenpfeiler? (Zitat Lichtblau). Das in jeglicher Beziehung. Im Job als Präzisionsschützin und als Mutter. Ihr Sohn, Charlie, bleibt zurück in dieser vom Schwarzpulver schwangeren Nacht. Fassungslos. Hätte er nur nicht nach ihr gerufen. Um ihre Hilfe gebeten …
Laura Lichtblau, geboren 1985 in München, lebt als Autorin und Übersetzerin in Berlin. Sie legt mit Schwarzpulver ihr Romandebüt vor, es ist druckfrisch, seit heute 16.07.2020 erhältlich. Zuvor veröffentlichte sie Lyrik und Prosa. Genau das merkt man, an jedem Satz, den sie mit einer Leichtigkeit ausbalanciert, das mich schwindelt. Feinsinnig, witzig und irgendwie keck formuliert sie, ohne dabei jemals unverschämt zu sein. Sie beleuchtet ihre Mutter-Sohn-Beziehung mit einer derartigen Heiterkeit, das ich dabei beinahe das Drama übersehe.
Ihre Charlotte, ist großartig. Diese Yoga-Stunde mit ihr werde ich wohl nie wieder aus dem Kopf kriegen. Es war mir so, als säße ich mit ihr auf der Matte, in der letzten Reihe, so konnte ich alle Teilnehmer sehr gut sehen, auch das, was ich nicht hatte sehen wollen …
Laura Lichtblau erzählt vieles nicht zu Ende, sie lässt mir so Raum um meine eigenen Gedanken an ihrer Geschichte entlang ranken zu lassen. In ihrer Geschichte, die in Deutschland, in einer nicht näher zeitlich eingeordneten Zukunft spielt. In der eine privat gegründete Bürgerwehr erstarkt ist, nachdem Kräfte an die Macht gelangt sind, die dies nicht nur ermöglicht haben, sondern die auch unterstützend wirken. Praktisch für einen Staat, wenn er eine solche Exekutivgewalt zur Verfügung hat, muss man sich doch als Regierung nicht selbst die Hände schmutzig machen. Im Fall der Fälle.
Vor diesem Hintergrund spielen eine Mutter-Sohn-Beziehung und die eines lesbischen Liebespaares. Beide Erzählebenen dürfen sich berühren, wenn es an der Zeit dafür ist … Während die Mutter, Charlotte, ihr ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis in die Gründung dieser Bürgerwehr münden lässt, flüchtet ihr freiheitsliebender Sohn in die Kreativbranche. Konträrer als die Weltsicht dieser beiden können zwei Meinung die sich aneinander reiben nicht sein. Mir scheint was die zwei füreinander empfinden ist wie durch den Schockfroster geschickt.
Burschi liebt Frauen und als sie das erkennt, steigt Panik in ihr auf, weil das Anderssein in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr hat. Sie wird wiedergeliebt was schön ist, aber die Schöne verschwindet, es wird Sylvester und dann, dann kracht es, nicht nur über ihnen …
Auf einen Menschen zu schießen macht auch etwas mit dem der schießt. Hier implodiert der Verstand der Betroffenen förmlich. Ein einziger Schuss, eine einzige Prise Schwarzpulver genügt, und alles fällt zusammen wie ein Kartenhaus. Eine behütete, gehütete Ordnung gerät aus den Fugen.
Tanten und Onkel mit merkwürdigen Macken. Ein unbezahltes Praktikum bei einem Musikverlag. Träume von einer Karriere als Songwriter. Raunächte und Liebesnächte im Verborgenen. Zerbrochene Partnerschaften und solche die erst zart aufkeimen. DIE wilde Jagd, und eine Partei, deren Ziele in mir Zorn aufwallen lassen.
Wir dürfen nicht vergessen. Das Geschichte dazu da ist um aus ihr zu lernen. Um Fehler die gemacht wurden nicht zu wiederholen.
“Endlich sind wir wieder in Deutschland … Ja, noch ist Berlin echt eher Syrien oder Israel, aber das kriegt der Staat schon wieder hin …”
Textzitat Laura Lichtblau Schwarzpulver S. 161
Wir dürfen nicht vergessen. Gerade diskutiert unsere Regierung ob man das Wort “Rasse” nicht aus dem Grundgesetz streichen soll. Was für die einen Haarspalterei ist, ist für die anderen eine Notwendigkeit. Ein Zeichen gilt es zu setzen.
Lichtblau gibt uns mit diesem Roman einen Wink mit dem Zaunpfahl. Wir dürfen nicht vergessen. Nicht vergessen, das wirtschaftliche Unwucht und eine Ungleichverteilung von Wohlstand immer auch das Erstarken rechtsnationaler und auch rechtsradikaler Stimmen bedeutet. Lichtblaus Roman schreckt auf, eine solche Zukunft kann man doch nicht wollen?!
“Sie mögen keine Anglizismen, kein fremdländisches Essen, keine Menschen die glücklich sind, sie mögen keinen Hip.Hop, keine Konzerte auf der Straße, keine Menschen, die aus anderen Ländern stammen, keine Familien ohne Kinder, keine Männer mit Lipgloss, keine Frauen mit Glatze, sie mögen keine Frauen, die erfolgreicher als Männer sind, und haben sogar verboten, dass Frauen ein bestimmtes Gewicht überschreiten, weil sie sich somit dem Begehren der Männer böswillig entziehen und so die Volksgesundheit und dessen Fortbestand gefährden.”
Textzitat Laura Lichtblau Schwarzpulver S. 110
Wer Geschichten in solche Sätze einhüllen kann. Der verdient alleine dafür schon Beachtung. Sätze, die poetisch, die aber auch zugleich wohl dosiert pointiert sind. Die sich so leicht anfühlen, als seien sie der Autorin wie Licht aus ihrer Feder oder aus den Tasten geflossen. Ihre Figuren lässt sie abwechselnd erzählen. Damit wir uns in deren Gedankengängen nicht verirren, steht der Name des Erzählenden am Anfang eines jeden Kapitels. Der Satzanfang eines Jeden Kapitels dient als Überschrift, ist bedeutungsvoll unterstrichen. Dabei hat es noch viel mehr schöne Sätze, die unterstrichen gehören.
Und Wortschöpfungen kann sie wie keine zweite, die Frau Lichtblau. Von “Kopfohrwürmern” und “Satzohrwürmern” habe ich hier zum ersten Mal gehört. Pardon, gelesen. Sprachlich hat sie mich einen kurzen Moment lang an Raphaela Edelbauer erinnert, die mir mit ihrem Roman “Das flüssige Land” ein letztjähriges Jahres-Highlight beschwert hatte. Kurz nur, habe ich verglichen, dann habe ich mich kopfüber in Lichtblaus Erzählton ergeben. Er ist ist so wunderbar und ist dann doch so ganz anders als Edelbauers, aber nicht minder besonders. Weswegen ich sie alleine dafür feiern möchte. Sie findet Vergleiche, die man so noch nicht gelesen hat, setzt Metaphern ein, die sie selbst erfunden haben muss. Was für eine Unerhörtheit! Was für eine grandiose Stimme!
“Wir haben viele Rituale, die stapeln sich langsam so hoch wie die Pfandflaschen unter der Spüle, und keiner bringt sie weg.”
Textzitat Schwarzpulver Laura Lichtblau
Wir dürfen nicht vergessen, daran erinnert uns diese Autorin auf eine beeindruckende Weise. Sie findet dafür eine Sprache, die alles andere als gewöhnlich ist. Sie ist eigen, eigenwillig, auch mal anstrengend, auch weil sie meinem Hirnkästchen keine Ruhe gönnt. Weil sie seine Rädchen permanent beim Lesen am Rattern hält.
DIE Munition des kommenden Leseherbstes sei er, dieser Roman. Vielleicht ist er das. Dystopisch. Vielleicht ist er das auch. Auf mich hat er gewirkt wie ein Kunstprojekt, nicht nur weil seine Sätze kunstfertig konstruiert sind. Für mich war er wie eine Skulptur, die sich trotz ihrer Körperlichkeit und Präsenz nicht auf den ersten Blick preisgibt, um die man herumwandern, in der jeder für sich etwas eigenes entdecken kann. Ich wünsche ihm, das sich viele mit ihm auf diese Gedankenreise wagen.
Wir dürfen nicht vergessen. Das jeder Friede zerbrechlich ist und schützenswert. Wiegen wir uns besser nicht in Sicherheit. Lehnen wir uns nicht bequem zurück. Lasst uns achtsam bleiben. Damit Kräfte deren Ziel es ist Unfrieden zu säen nicht die Oberhand gewinnen …
Mein Dank geht an den C.H. Beck Verlag für dieses Rezensionsexemplar.
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