Schmerzambulanz (Elena Messner)

Das deutsche Gesundheitswesen ist krank. In Rheinland-Pfalz fehlt es an Kinder,- Haus- und anderen Fachärzten. In den Kliniken fehlt es landesweit an Pflegepersonal. Das “platte Land” hat wenig zu bieten und viele der zu übernehmenden Praxen haben einen Investitionsstau. Der demographische Wandel schlägt sich auch in der Berufsgruppe der Ärzte, Pfleger und Schwestern nieder. Vergütungskonzepte sind überaltert und nicht mehr attraktiv. Es gäbe viel zu tun, um umzukehren was sich hier bereits in Gang gesetzt hat. Wer hat den Mut es zu tun? Eine österreichische Autorin legt den Finger genau dahin wo es weh tut. Gut so!

Schmerzambulanz von Elena Messner

Ein Medikament geht auf die Reise. Von China, Asien, Du Apotheke der Welt, nach Europa.

Eine Einlieferung in der Nacht. Eine fast achtzigjährige Frau, steht vor dem Verhungern. Klagt über Schmerzen als stünde sie unter Folter. Eine Ärztin in Ausbildung, die wenig geschlafen hat, genaugenommen eine Stunde, nimmt sie auf. Entscheidet. Es ist nach Mitternacht. Routine greift. Eine Infusion wird gelegt.

Ein Kollaps. Die Putzfrau findet unsere Patientin. Auf dem Boden. Vor der Toilette. Barbara Steindl liegt dort offenbar schon länger. Und jetzt? Intensivstation? Ja, Nein?

“… grüner Kunststoffboden und weiße Plastikgestelle, die Schönheit steriler Routine. Alles war farblich aufeinander abgestimmt: Neben dem Bodengrün gab es graue und graugrüne Farbtupfer, in dieser den Menschen und Dingen gemeinsamen Reglosigkeit, die nur von ständig, aber stumm umherhuschenden Pflegekräften unterbrochen wurde.”

Textzitat Elena Messner Schmerzambulanz

Meinungen prallen aufeinander. Bonuszahlungen vs. Liegezeiten werden diskutiert.

Kurze Kapitel lösen einander in einer besonderen Erzählart ab und erinnern mich an ein Haus in der Nacht mit vielen Fenstern. Ich stehe am Bordstein davor und schaue hinauf. Im Wechsel geht hinter jedem der Fenster das Licht an. Dann wird jeweils eine kleine Bühne bespielt und das Licht erlischt.

Spot an für eine Beziehung, für Sparzwang, Produktivitäten vs. mangelndem Patientenwohl. Spot an für die Grenzen, an die Ärzte und Heilende stoßen. Es geht um Forschung, uneingelöste Versprechen, Nebenwirkungen, Hoffnung, Wut und Trauer.

Allmählich klärt sich, was Frau Steindl, unsere des nächstens eingelieferte Patientin, zu Fall gebracht haben könnte. Besser man schweigt Angehörigen gegenüber. Die kommen und gehen, Sorge im Blick, Groschenromane unter dem Arm. Sie war doch nicht krank, die Mutter. Hatte sich schon erholt. Wieder zugenommen?! Warum mauern hier alle?

Wohltuend anders, mit Sprenkeln österreichischer Dialektik garniert, fragmentarisch, fortwährend Puzzleteile einsammelnd, hat Elena Messner mich mit ihrer Geschichte abgeholt. Vorangetrieben. Wie wird das hier enden? Zwischen Licht und Schatten taste ich mich vor, verstehe Judit Kasparek, die Hauptfigur, stationsführende Ärztin, Internistin mit Leib und Seele immer besser. Tom Trattner, ihren Oberarzt nicht.

Kann nachempfinden was sie umtreibt, bin bei ihr, auch inhaltlich, wenn sie verzweifelt versucht Mitstreiter:innen für die gerechte Sache zu finden. Wieviel sich doch eingerichtet haben. Im Missstand, in der Ignoranz, in ihrer Komfortzone.

Neonlichtleben und Sterben. Alles scheint vor die Hunde zu gehen. Ist dieser Leerstand in ihrer Klinik gewollt oder vorübergehend? Wird optimiert oder geschlossen? Personalleasing sorgt dafür, dass sich niemand mehr verbunden fühlt. Das es niemanden mehr kümmert was hier geschieht. Man nicht mehr aufeinander schaut. Nicht mehr weiss, auf wen noch Verlass ist. Derweil werben Leiharbeitsfirmen weiter mit attraktiven Löhnen, bezahlten Überstunden, dass man nicht bleiben muss, wenn es nicht passt, sorgen dafür, dass mehr und mehr Zugehörigkeit verloren geht.

Der Kalender zählt hoch und die Zeit vergeht, auch am Tag vierzig von insgesamt dreiundvierzig, die wir als Leser:innen miterleben. Immer noch Kollaps, behandelnde Ärzte halten die Medikation und die Entwicklung der kollabierten Patientin fest. Die keine gute ist und im einberufenen Ethikkonsil, indem niemand angeklagt ist, wo man nach Entscheidungshilfen sucht, dominiert der Selbstschutz die Aussagen der Befragten.

Nüchtern, mit einer Sachlichkeit, die bei mir Dringlichkeit erzeugt, erzählt Messner. Von Zuständen, die wir alle so nicht haben wollen, da bin ich mir sicher. Wir verschließen nur die Ohren vor ihnen, wenn wir davon hören. Spüren wir sie, ist es schon zu spät. Ein wichtiger Roman, über ein Thema das meist nur mit der Kneifzange angefasst wird. Das hier ist nicht die Schwarzwaldklinik. Hier wird nicht romantisiert.

Deshalb, und wegen der gebotenen Realitätsnähe, wünsche ich dieser Geschichte viele Leser:innen.
Es geht um viel. Um nichts Geringeres als die Menschlichkeit. In einem System, dass sich fortschrittlich nennt und wir müssen uns fragen, ob wir überhaupt noch wissen wie das geht. Menschlich handeln.

“Dir ist schon klar, wenn der Mensch im Mittelpunkt stehen soll, ist das Personal vierundzwanzig Stunden am Tag das ganze Jahr über gefordert, und dann bedenke bitte: Das Personal ist auch Mensch.”

Textzitat Elena Messner Schmerzambulanz

Menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Pflege, eine dem Menschen zugewandte, am Menschen ausgerichtete medizinische Versorgung. Alles eine Frage Würde. Der Haltung. Zu Krankheit. Zu Gesundheit. Zum Umgang mit beidem. Der Mensch nur ein Bündel an Plänen? Elena Messner, stellt mir Fragen, auf die sie mir keine Antworten gibt, entlässt mich mehr als nachdenklich aus ihrer Geschichte, von der ich mir wünsche, dass sie viel Fiktion enthält. Ganz hinten in meinem Kopf, dort wo der Zweifel sitzt, sagt etwas, so ist das aber nicht. 

Elena Messner, geboren 1983 in Klagenfurt, Autorin, Herausgeberin und Literaturwissenschaftlerin, veröffentlichte 2014 ihren Debütroman Das lange Echo, 2022 wurde sie mit dem Theodor Körner Preis für Schmerzambulanz ausgezeichnet. Die Jury attestierte ihr “literarisch brilliant eines der brennendsten gesellschaftlichen Themen, die Misere des durchökonomisierten Spitalwesens in den entwickelten kapitalistischen Ländern aufzugreifen“. Für mich ein Thema, über das man viel zu selten, bis nie in der Gegenwartsliteratur liest. Umso herausragender, und das nicht nur des gewählten Themas wegen, fand ich Messners Auseinandersetzung mit der Frage, wie ist es möglich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten das Patientenwohl im Blick zu behalten. Dem Wiener Verlag edition atelier verdanken wir diese literarisch aufwühlende Perle und ich darf mich für das Besprechungsexemplar bedanken.

Bilder zogen durch mein inneres Kino, von Krankenhausnächten, durchwacht und vor Sorge ganz elend. Wie dankbar ich war, für ein verständnisvolles Wort. Für Freundlichkeit.

Messner gönnt mir derweil keine Atempuase, sie verdichtet ihre Handlung in ihrem Mikrokosmos Klinik, verstrickt mich in Machtkämpfe, in innere Kämpfe. Wer dabei und warum ins Abseits gerät oder gestellt wird, erschreckt mich. Gegen Ende dann beweist sich einmal mehr, die mit dem dicken Bizeps gewinnen offenbar jedes Armdrücken.

Die Geschichte besticht durch einen klaren, präzisen Erzählstil. Mit der Trennschärfe eines Skalpells, filetiert sie die Schuldgefühle ihrer Figuren. Es brauchte einen Moment, bis ich mich einlassen konnte auf ihre manchmal kantigen Sätze. Ihren ungeschönten Blick auf Tatsachen, vor denen man am liebsten den Blick abwenden würde. Mit raschen Blickwechseln wühlt sie mich auf.

Wie war das noch? <Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin:nen respektieren. Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.> Der hippokratische Eid, wird er überhaupt noch geschworen, von Ärzt:innen dieser Tage? Steht er nicht längst im Schatten von Wirtschaftlichkeit und Effizienz? Haben wir das so gewollt?

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