Rückkehr nach Killybegs (Sorj Chalandon)

Gastbeitrag von Andreas Kuhn

Der Herbst streut weiße Nebel aus


Wie haben sie dich, Baum, verschnitten.
Wie stehst du fremd und sonderbar!
Wie hast du hundertmal gelitten,
bis nichts in dir als Trotz und Wille war!

Ich bin wie du, mit dem verschnittnen,
gequälten Leben brach ich nicht
und tauche täglich aus durchlittnen
Roheiten neu die Stirn ins Licht.

Was in mir weich und zart gewesen,
hat mir die Welt zu Tod gehöhnt,
doch unzerstörbar ist mein Wesen…..

Hermann Hesse

Dieses Gedicht passt für mich sehr gut zum Leben der Romanfigur Tyrone Meehan, erdacht von Sorj Chalandon, einem Jungen der Mitte der 1920er Jahre in einem kleinem Dorf im Norden der Insel Irland, in Killybegs, in der Region Ulster, geboren wurde. Wenige Jahre zuvor erkämpften sich die Iren für den größten Teil der Insel die Unabhängigkeit. Sechs Grafschaften in der Region Ulster bildeten den Teilstaat Nordirland und einen Teil des Vereinigten Königreichs von Großbritannien.

“Einmal nahm er mich auf dem Rückweg sogar bei der Hand. Und ich – war traurig. Ich wusste, dass diese Hand wieder zur Faust werden würde, die Zärtlichkeit zur Eisenhärte”

Textzitat Sorj Chalandon Rückkehr nach Killybegs

Tyrone hat viele Geschwister. Sein Vater liebt ihn und seine Geschwister so sehr er eben konnte …

“Die Briten überwachten unser Handeln, die IRA unser Engagement, die Priester unser Denken, die Eltern unsere Kindheit und die Fenster unsere Liebe. Wir konnten uns nicht verstecken”…“Die Loyalisten säuberten ihre Straßen. Sie waren Protestanten, Briten und im Krieg. Wir waren Katholiken, Iren und neutral. Feiglinge oder Spione”.

Textzitat Sorj Chalandon Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs von Sorj Chalandon

In diesem Milieu wächst Tyrone heran. Er muss hungern, flüchten, kämpfen. Bereuen und warten wird zum Lebensinhalt. Er findet die Liebe seines Lebens. Seine Frau sagt über Ihn: “Meine Heimat warst du, kleiner Mann.” Mir ist es ein Genuss, wie einfühlsam und mit wie wenigen Worten Chalandon Stimmung erzeugt. Der Roman schildert das Leben von Tyrone aus seiner Sicht, teilweise in der Gegenwart und dann auch als Erinnerungen. So begleiten wir ihn von der Wiege bis zur Bahre. In jedem Kapitel glaubte ich die Farbe grau zu spüren, manchmal mit einem hellen Schimmer. Trostlos ist die Situation. Ich erfahre einiges über die IRA, inbesondere über die Jugendorganisation. Die wahllosen Verhaftungen, die Zustände in den Gefängnissen, Hungerstreiks prägen den Alltag des jungen Mannes.

Gewalt, immer wieder Gewalt. Wie könnte es auch nicht so sein? In einer Zeit, in der jeder Bürger in den Nordirland-Konflikt zwischen die Fronten geraten konnte. Sie nimmt im Roman keine Hauptrolle, wohl aber eine entscheide ein. 

Warum schlägt man in seinem Leben eigentlich den einen oder anderen Weg ein? Ist es die Schuld der Anderen oder ist es doch eine eigene, aus dem Inneren heraus bewusst getroffene Entscheidung. Ist das Leben nur Reaktion, logische Konsequenz meiner Taten? Meehan wurde in eine Welt geboren, die für ihn nur diesen einen Weg bereit hielt. Eine logische Konsequenz und eine Ausweglosigkeit, die der Autor gekonnt in Szene setzt. Ein Roman, der auf autobiographischen Aufzeichnungen basiert und viel über Land und Menschen in Irland verrät.

Mit den Gefährten des Schweigens: Armut, Würde, Tod.” war Tyrone unterwegs, schreibt Chalandon, er war “von Irland erschöpft. Es hat zu viel von mir verlangt, gefordert.”

Mein erster gelesener Roman von Sorj ChalandonAm Tag zuvor” war schon ein Volltreffer. Die Sprache, die in mir sogleich Bilder und ein Gefühl für die handelnden Personen entstehen ließ, wirken bis heute nach und es sind schon Monate her, seit der Lektüre des Buches. Immer noch sehe ich die Bergleute und die Brüder in meiner Phantasie aufsteigen. Entsprechend groß war meine Hoffnung, wieder Menschen kennen zu lernen, die beim Lesen lebendig werden. Und wieder ist es gelungen. Irland ein so schönes Land, die Iren ein so entzweites Volk. In Szenen gemalt, die auch wieder lange in mir nachhallen werden. Eine klare Leseempfehlung!

Éirinn go Brách!« »Irland für immer!«.

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert