Donnerstag, 11.01.2018
Was für ein Zirkus!
Kennt Ihr das? Eine Ballustrade mit einem Zirkusbanner mitten im Industriegebiet, schon habe ich den Kopf voller Bilder. Was wäre wenn? Wenn man einfach aufbrechen könnte? Jetzt gleich, durchbrennen mit dem Zirkus.
Vielleicht Arabien? In ein Märchen aus Tausend und einer Nacht. Wenn man doch nur nicht so feige wäre … Arabisch kann man nicht und tief im Osten herrschen Tod, Terror, Krieg und Verderben. Sich die Welt malen wie man sie aus Erzählungen kennt. Einmal nur ausblenden dürfen, was nicht sein soll, sein darf …
Vielleicht bin ich genau deshalb an dieser Geschichte hängengeblieben, die bereits 2008 als Hörbuch erschien. Zum Glück! So konnte ich Bedenkenträger, bequem zu Hause vom Sofa aus, Valentin den Zirkusdirektor und Pia die Postbotin kennenlernen und den abgebranten Zirkus Samani wieder spielen sehen. Aber immer der Reihe nach …
Reise zwischen Nacht und Morgen (Rafik Schami)
Alles fing mit einem Brief an, einem Brief von Nabil, seinem Freund aus Kindertagen. Valentin Samani, mittlerweile in den Sechzigern und pleite, traute seinen Augen nicht, als er das las. Nabil war krank, todkrank und er bot ihm Geld, viel Geld, wenn er ihn und seinen Zirkus doch nur noch einmal würde spielen sehen können, bei ihm zu Hause, in Arabien.
Valentin zögerte nur kurz, dann rief er seinen alten Freund an. Denn die Zeit drängte, das war ihm bald klar, denn die Lebenskörner rieselten schnell durch Nabils Sanduhr. Soviel gab es noch zu tun, bevor er aufbrechen konnte, eine logistische Meisterleistung war da nötig. Unerwartete Hilfe erhielt er indes von Pia, seiner neuen Postbotin. Sie um einiges jünger als unser Valentin, steckte voller Tagendrang und machte ihm Mut. Sie sah hinter seiner abgewetzten Kleidung noch den Glanz früherer Tage und den Wagemut eines Mannes, der immer unterwegs, eine ganz besondere Gabe hatte – denen die beladen waren, Freude zu bringen.
Nabil erwartete indes seinen alten Freund voller Ungeduld, er wußte ja nicht, das von Valentins einst so umjubeltem Zirkus nur noch ein paar unbezahlte Artisten und entkräftete Tiere übrig geblieben waren. Endlich war es soweit, von Mainz bis Triest in Lastwagen, dann nach Ulania mit einem alten Frachtschiff – das Abenteuer konnte beginnen …
Rafik Schami, geboren 1946 in Damaskus. In Deutschland lebt er seit 1971, mittlerweile in München, wurde mehrfach preisausgezeichntet, unter anderem mit dem Hermann-Hesse-Preis. Er hat in Deutschland studiert und promoviert, aber nicht Literatur sondern Chemie, und er zählt mittlerweile zu den meistverkauften deutschsprachigen Autoren. Seine “Formel” für eine erfolgreiche Geschichte: ein märchenhafter Erzählton, herrlich entspannt und kurzweilig. Ihm könnte Aladin die Wunderlampe gehalten haben. So üppig, leicht blumig und mit dem Blick auf das Positive geht er diesen Stoff an. Läßt er eine Figuren alle Hürden nehmen, ihr Schicksal meistern. Uns läßt er Zirkusluft schnuppern und dabei sein, wenn zwei alte Freunde sich wieder finden. Er läßt uns erleben, dass wahre Liebe kein Alter kennt und so oft viel mehr möglich ist als es scheint. Durch jede Satzritze strahlt hier die Hoffnung. Das ich Schami nach einer Empfehlung erst so spät für mich entdeckt habe, ist kaum zu glauben – das Gute daran, so habe viele schöne Geschichten von ihm noch vor mir …
In der Hörbuch-Fassung, liest Schami selbst den Prolog und übergibt dann das Staffelholz an Markus Hoffmann. Dieser übernimmt souverän und führt ohne Stolperer und anmutig durch diese Geschichte. Hoffmann hat für zwei seiner Lesungen goldene Schallplatten bekommen, ist nicht nur Hörbuch- sondern auch Rundfunksprecher und paßt wunderbar zu Schamis Ton. Eine runde Sache!
Schreibe den ersten Kommentar