Rechtswalzer (Franzobel)

Donnerstag, 06.06.2019

Als die Zellentür hinter mir, mit einem Quietschen ins Schloß fiel, wurde mir die Brust eng. Durch die Gitterstäbe spähte ich auf den langen Flur hinaus. Von der Galerie über mir waren schallende Schritte zu hören und lautes ärgerliches Rufen. Dann ein gruseliges Knirschen, Einschluss! Alle Zellentüren wurden verriegelt und wir konnten nicht mehr hinaus. Eine Ganzkörper-Gänsehaut und ja, Angst in dieser klaustrophobischen Enge breiteten sich in mir aus. Das Gefühl der Erleichterung das ich spürte, als der Führer unserer Gruppe auf Alcatraz vor über zwanzig Jahren, den Befehl gab, die Türen wieder zu öffnen, habe ich bis heute nicht vergessen.

Auf der mittlerweile verlassenen Gefängnisinsel in der Bucht von San Franzisko hatten sie dereinst Al Capone weggeschlossen, jetzt gingen wir hier spazieren. Jeder Stein, jedes Stück des noch vorhandenen Stacheldrahtes, schien Geschichte zu atmen. Ein vergessenes, zerfallendes, ein aus der Zeit gefallenes Eiland …

Und was hat das jetzt mit diesem Titel und mit Walzer zu tun fragt ihr mich? Das kann nur er schlüssig beantworten, hören wir doch mal nach bei Franzobel, der Walzer übrigens links und rechts rum kann, vermute ich mal, sowie er hier das Parkett erobert …

Rechtswalzer (Franzobel)

Wien 2024.

“Schlimm – schlimmer – Malte Dinger”! (Textzitat)

Ein Spaziergang im Park bei strahlend schönem Spätsommerwetter und der Fund eines Smartphones auf dem Sockel eines Denkmals waren der Anfang vom Ende von Malte Dingers normalem Leben. Er Gin-Erfinder mit eigenem Laden, stolzer Vater, hatte gerade seinen Junior in der Schule abgeliefert.

Natürlich hob er das Handy auf, wer hätte das nicht getan, da läutete es prompt, sein Klingelton spielte “Das Lied vom Tod”.  Er hatte den Anruf tatsächlich annehmen können, das Display war nicht gesperrt. Als er auf den grünen Hörer gedrückt hatte, meldete sich eine Männerstimme mit der Botschaft “Du bis raus, du hast ausgeschissen”. Na, Bravo!

Wie auch immer, das konnte ja nur ein Scherz sein, schließlich war es ja nicht sein Handy, und so steckte er es kopfschüttelnd und gut gelaunt ein. Seine Hochstimmung hielt an, bis zu seiner U-Bahn-Fahrt nach Hause. Da erwischten sie ihn beim Schwarzfahren. Einhundertunddrei Euro sollte der Spaß kosten. Er war stocksauer, denn seine Frau Elvira hatte sich gestern nicht nur seine Monatskarte ausgeliehen und sie offenbar nicht mehr zurück gesteckt, er griff auch im Geldscheinfach des Portemonnaies ins Leere. Die Situation eskalierte, nicht nur weil er nicht bezahlen konnte, sondern weil er auch noch einen falschen Namen angab und einem herbeigerufenen Polizist mit dem Ellbogen im aus dem Nichts entstandenen Handgemenge einen Schneidezahn ausschlug. Richtig dumm war dann, dass er auch noch ein Päckchen Marihuana in seiner Hosentasche hatte …

Widerstand gegen die Staatsgewalt, Betrug,  Schwarzfahren, so landete Malte in Untersuchungshaft und wurde zur Marionette, nur wer zog da an den Fäden?

Franzobel, österreichischer Erfolgs-Autor hatte mich 2017 mit seinem Roman Das Floss der Medusa bereits begeistert, mit dem er sich auf die Short-List des Deutschen Buchpreises geschrieben hatte. Sein neuer Krimi-Roman Rechtswalzer ist im Januar 2019 erschienen und ich war richtig gespannt wie er dieses Thema geht.

Diesmal macht er mit uns keinen Ausflug in die Vergangenheit, sondern in die nahe Zukunft, das aber weit entfernt von einer Dystopie. In Wien hat in seinem Roman die Limes-Partei, eine Partei mit nationalsozialistischer und klar anti-islamistischer Ausrichtung die Regierung übernommen. Vokabeln wie Volksschädling sind wieder salonfähig. So einer ist seine Hauptfigur Malte, dazu hört er noch auf einen jüdisch klingendem Namen, was per se schon schlimm genug ist, dann erwischt man ihn auch noch beim Schwarzfahren. Konsequent sperrt man ihn weg, stempelt ihn als renitent ab, und er erlebt im Gefängnis sein blaues Wunder und wir mit ihm.

Franzobels Humor ist knochentrocken und bissig, seine Figuren zeichnet er beinahe wie Karikaturen. Mit reichlich Seitenhieben hackt er auf dem ein oder anderen Klischee herum. Ich mag seinen Ton einfach und die von ihm beschriebenen Szenen aus dem Gefängnisalltag sind so anschaulich und wirken so real das mich fröstelt. So oft wie ich hier auflachte, hatte ich auch wieder einen Kloß im Hals. Diese Gefühls-Achterbahn-Fahrt mochte ich besonders. Die Eigendynamik, den Drive den er Malte Dingers Geschichte gibt – oh Mann, wenn man nur einmal nicht selbst so zwischen die Mühlräder der Justiz gerät!

Eingesperrt zwischen Päderasten und Beschützern, Hofgang und Stacheldraht. Hilflos, wehrlos, wie ein Fisch an der Angel. Bestechung, Kumpanei, Drohungen, es siegt das Recht des Stärken. Holzköpfe und Bimmelbirnen haben hier das Sagen. Verlorene Gerichts-Schlachten, Propaganda und schwarze Listen.

Während ein eisiger Winter in seinem Wien einzieht, erhält die Polizei mehr und mehr Rechte, man durfte wieder durchgreifen. Alle Grenzen will man schließen, die Verfassung ändern, Minarette werden gesprengt. Protestnoten aus der Türkei und aus so einigen arabischen Staaten nimmt niemand zur Kenntnis.

Es ist beeindruckend wie beiläufig Franzobel in seine spannende, kurzweilig erzählte Kriminalgeschichte den extremen Rechtsruck des Landes einbindet. Beinahe zwangsläufig reiht sich Ereignis an Geschehnis, so nachvollziehbar und wahrscheinlich, das es mir Angst macht. Eine wirklich erstklassige Kombination aus Unterhaltung und Sozialkritik ist ihm hier gelungen. Österreich auf dem Weg in eine Diktatur? Die Limes-Partei stimmt hier Glaubensbekenntnisse an, die machen mich rasend. George Orwell grüßt freundlich herüber!

Ein geschickt verwobener Plot ist Franzobel hier gelungen, wie er im Dreivierteltakt die losen Enden zusammenhäkelt ist Klasse, tragisch-komisch gewürzt. Seinen Kommissar Groschen stellt er dabei auf die Mitte der Tanzfläche und die Akteure dieses Stückes drehen sich um ihn herum bis ihn schwindelt. Ihm fällt die Aufgabe zu, aus dem Takt zu dem sie tanzen eine Melodie herauszulesen, bisweilen wird ihm schwummrig und er verliert den Faden. Sie machen es ihm nicht leicht, mal rechts herum, mal links herum. Dann betreten aus den Schatten heraus Figuren die Bühne, die man besser hinter dem Vorhang gelassen hätte …

I shot the sheriff. Unser Kommissar wird bedroht, nicht nur durch Reggae-Songs die man ihm zustellt, sondern durch eine Regierung die sich formiert, ihr Netz immer enger knüpft, auf Wendehälse und Karrieristen abstellt, und beides ist er so gar nicht …

Von schwarzen Schafen und verlorenen Schafen, von Star-Anwälten mit einem Ego groß wie Haus. Griesgrämige Kommissare deren Frauen mit Scheidung drohen treffen auf Gangster, Gauner und Normalbürger die den Überblick verlieren. Der Mörder kommt immer zum Tatort zurück. In diesem Fall hoffentlich nicht. Zwischen Hinterhof-Oasen und Zweckbauten finden sich Mordopfer in grotesker Haltung, nackt und verschnürt wie ein Paket, abgebrüht im wahrsten Sinne des Wortes, so werden Küchen zu Folterkammern.

High-Society Familien, bauschige Ballkleider, High-Heels, Brillianten, Dekadenz und Heuchelei. Wien im Walzerrausch, im Blitzlicht-Gewitter, im Selfie-Fieber, unter Promi-Alarm – der Opernball, eine Institution zu allen Zeiten, er bildet die Kulisse für den Show-Down, ein wahres Propaganda-Spektakel. Aber nicht nur die Regierigen sind hier anzutreffen.

Wie schnell man doch aus seinem eigenen Leben ausgesperrt werden konnte und ja, Rache musste Mann kalt servieren …

“Es gibt nur für uns oder gegen uns”. (Textzitat)

Von Burgschauspieler Robert Reinagl bin ich restlos begeistert! Herrlich sonor, wohl tönend und getragen interpretiert er Franzobels Text. Bei den ersten Tönen von ihm habe ich mich schon entspannt zurückgelehnt und hingebungsvoll gelauscht. Ohne ihn und seinen Vortrag hätte mir diese Geschichte nur halb so gut gefallen. Mal charmant und mit reichlich Wiener Schmäh, mal à la Hans Moser, mal feixend, mal zischend wirbelt er mich durch diesen Roman, mich der gar keinen Walzer tanzen kann! Nicht immer habe ich jedes einzelne mit Dialekt besprenkelte Wort verstanden, aber so what! Das wie er es sagt, ist einfach nur großartig. Der Burgschauspieler liefert hier ein Hörerlebnis ab, das ganz eindeutig dafür spricht diese Geschichte lieber zu hören als zu lesen! Bravo!

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