Vor rund siebzehn Jahren, in der Amtszeit Wowereit, entstand unter der Mitwirkung des damaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin eine Vorlage, auf die der Verkauf von 65.000 städtischen Wohnungen zum Schnäppchenpreis an ein Konsortium von internationalen Fondgesellschaften folgte. Bereits wenige Wochen nach diesem Verkauf und der Privatisierung wurden für zahlreiche dieser Wohnungen die Mieten um bis zu 20% erhöht. 2015, elf Jahre später, versuchte der Berliner Senat mit der sogenannten Mietpreisbremse, auch “Berliner Mietendeckel” genannt, einer Entwicklung und einer stark zunehmenden Zahl von Mietaktivisten Einhalt zu gebieten, die nicht mehr einzubremsen zu sein scheint.
So könnte man meinen, denn das Bundesverfassungsgericht erklärte, am 15. April diesen Jahres, die beschlossene Berliner Mietpreisdeckelung für nichtig mit Verweis auf das Grundgesetz und ein vom Senat geschlossener Deal droht damit jetzt ebenfalls zu platzen. 20.000 Wohnungen, zu einem Preis von 2 Milliarden, wollte das Land Berlin einem Konzern abkaufen, inklusive dem Versprechen, dass bis 2026 die Mieten danach nicht steigen würden. Was jetzt an einem seidenen Faden hängt, respektive an einer Fusion, die den größten europäischen Immobilienkonzern gebären soll und deren Scheitern man in Fachkreisen seit dem 23.7.2021 für mehr als wahrscheinlich hält. Der Branchenprimus Vonovia aus Bochum hat alle Kartellamtshürden übersprungen und den Aktionären der Deutsche Wohnen aus Berlin ein Angebot gemacht, von dem man dachte, ein Ablehnen sei undenkbar. Denkbar ist es offenbar aber doch, und zwar für zwei große Hedgefonds, die jetzt das Zünglein an der Waage sind.
Ein Tauziehen hat begonnen, beide Konzernvorstände betonen ihr soziales Gewissen und wollen nach eigener Aussage Berlin “befreien”. Wie das gehen kann, solche Versprechen einzulösen, die sich nicht mit einer neu gewonnenen Übermacht steigernd auf den Mietspiegel auswirken und den eigenen Aktionären trotzdem weiterhin ordentliche Dividenden auszuschütten, davon habe ich als Nicht-Volkswirtin keine Ahnung, aber eine Befürchtung, das am schwächeren Ende des Seils doch die Mieter stehen werden, sowie Olli Leber, der Held einer Geschichte aus der Feder von Eva Ladipo, die einen überaus treffenden Titel für ihre Geschichte gewählt hat und die sie im Hotspot aller Mieterbewegungen ansiedelt, in Berlin:
Räuber von Eva Ladipo
Alles beginnt mit einer Beerdigung, Ollis Papa ist tot und auf dem Friedhof wird überdeutlich wo sein Platz und der seiner Mutter ist. Wer in einer Sozialwohnung lebt, der hat offenbar auch hier nur ein Recht auf eine Nische und auf eine Beisetzung im Eilverfahren …
Ollis Weg kreuzt alsbald die Hausfrau und Mutter Amelie, der ihr Mann gerade Hörner aufgesetzt hat und die mit sich und mit dem was jetzt zu tun ist hadert. Sie recherchiert für eine Story über die “ursprünglichen” Mieter in ihrem Kiez. Apropos Ursprung, als Journalistin war sie vor Jahren an einer Story um einen Berliner Finanzsenator dran, hatte ihn aber nicht dingfest machen können und diese offene Rechnung verlangt immer noch nach einem doppelten Buchhalterstrich. Es gab keine Zufälle und das Zusammentreffen mit Olli Leber und der Tatsache, dass das Haus in dem er mit seiner Mutter am Rande des Prenzlauer Bergs lebt verkauft und luxussaniert werden soll, konnte auch keiner sein, denn alle ausgestreckten Finger zeigen wieder auf “Ihren” Ex-Senator.
Mit ihrer Erfahrung aus einem abgebrochenen Jura-Studium, will sie Olli helfen den Kaufvertrag zu lesen und zu verstehen, den er sich nicht ganz legal beschafft hat. Das sie ihn auch wird retten müssen, weil er an einem Punkt anlangt, an dem er nur noch eskalieren kann, weiß sie da noch nicht …
Eva Ladipo, geboren 1974, studierte in Cambridge Politische Wissenschaften und wurde promovierte mit einer Arbeit über das russische Steuersystem. Als Journalistin begann sie ihr Berufsleben bei der Frankfurter Allgemeinen, arbeitete zuletzt für die Financial Times und Die Welt. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 2015. So lese ich es im Klappentext von Räuber und bin beeindruckt und verblüfft, als ich eines Feierabends eine E-Mail von ihr in MEINEM Briefkasten finde. Es beginnt ein sehr netter Schriftwechsel und kurze Zeit später haben ihre Räuber meinen Lesestapel geentert. Lieben Dank, Eva, für das Vertrauen!
Ein Sturm zieht über Berlin und einen Ex-Finanzsenator zu Fall bringen ist keine leichte Übung. Denn moderne Raubritter tragen heutzutage Sakko, Krawatte und Scheckheft und kommen gänzlich ohne Gewissen aus.
Juristerei und Vorkaufsrechte. Das Tal der Ahnungslosen liegt hinter ihm. Dank Amelie hat Olli jetzt den Durchblick. Aber was bringt ihm das?
Wie kann er antreten gegen einen ehemaligen linken Politiker, der rechte Politik gemacht hat und sich jetzt als Privatier und Unternehmer in Sachen Luxusimmobilien eine goldene Nase verdient, gleich einige Exfrauen angehäuft hat und der für die Lieblingstochter gerade die Hochzeit des Jahres organisiert. Wütende Stimmen und Grobheit stören sein Bild nur wie Nadelstiche.
Ab wann ist der Punkt erreicht an dem man sich nicht mehr alles gefallen lässt? Was kann man als kleines Rädchen im großen Getriebe unternehmen? Die Berliner Mieterbewegung ist eine der aktivsten in Deutschland und sie hat leider allen Grund dazu. In der Bundeshauptstadt kommen noch jede Woche auf eine freie Bestandswohnung rund 158 Interessenten, auf eine Neubauwohnung immerhin noch 29. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp in der Bundeshauptstadt.
Ich wohne auf dem Land, schon lange. Vor Corona wollte hier kaum noch jemand ein leerstehendes Haus übernehmen, die Preise verfielen, auch Dank Umzingelung durch immer mehr Windkraftanlagen und einen nahen Flughafen inklusive Nachtflugerlaubnis. Während Corona zogen die Preise selbst bei uns massiv an und der erwachsene Sohn meiner Freundin sucht seit Monaten nach einer bezahlbaren Wohnung.
“Wie geht bezahlbares Wohnen“, ist auch Ladipos Kernthema. In Sachen Sozialkritik, Blickrichtung Gentrifizierung, die in unseren Großstädten immer weiter fortschreitet, bin ich bei ihr. Die von ihr gezeichnete Drei-Klassengesellschaft spiegelt unsere Gegenwart in einem Licht, in dem man sie nicht gerne sieht. Aber. Keine einzige ihrer Figuren mochte ich tatsächlich, was für mich letztlich dann auch der Fallstrick für ein rundum positives Leseerlebnis gewesen ist.
Richtiggehend zu kämpfen hatte ich mit ihrem Romanpersonal. Kam nicht ran an Amelie, die sich in ihrer eher linksliberalen Buble, die sie im Grunde hasst, und als Hausfrau festgelegt und gefangen fühlt, und die sich ausgerechnet in einen Vertreter der Arbeiterklasse, der aussehen muss wie der Typ aus der Cola-Werbung verliebt. Beide eint ein Feindbild, das des korrupten Spekulanten, der seinen Reichtum dekadent nach außen trägt.
Ja, sie sind lebensecht, diese Figuren, auch ein wenig augenzwinkernd gestaltet vielleicht, wirken nicht wie reine Tinte- und Federgestalten, über weite Strecken aber nervten sie mich halt einfach. Besonders Amelie. Betrogene Ehefrau, gutaussehend (auch noch nach zwei Schwangerschaften), non-stop-stillende, sich übermüdet aufopfernde Mutter ohne festen Job, die alles will, ausbrechen, Erfolg und eine glückliche Familie. Die für den Kampf gegen Ungerechtigkeit steht, die sie allerdings selbst definiert: Die unterprivilegierten Underdogs wie Olli muss man retten. Dann Olli, der mich an Rocky Balboa erinnert hat (und dieses Bild kämpfte vor meinem inneren Auge mit dem Typ aus dem Cola-Werbespot), boxt er sich doch in seiner knapp bemessenen Freizeit in einer schrabbeligen Berliner Boxbude den Frust aus dem Leib. Bier scheint sein Grundnahrungsmittel zu sein. Pflichtbewußt schuftet er Tag und Nacht, kommt aber auf keinen grünen Zweig und ist hier das Wandelnde unter den nicht wenigen Klischees.
Den Ex-Senator Falk Hagen hatte ich mir in die Rubrik Bösewicht gebucht, wollte ihn so gerne hassen, wie es sich für die bösen Buben in einer Geschichte gehört und dann geht das nicht. So Schickimicki, selbstverliebt und aalglatt wie er daherkommt perlt alles an ihm ab, sogar mein Zorn.
Diese Schubladeneinordnungen hatten für mich etwas zu karikatives und, ohne zu spoilern, mit dem Ende der Geschichte habe ich mir schwer getan. Summa Summarum hatte ich mir ein journalistisches Feuerwerk an Fakten in Sachen Mietaktivismus und Immobilienspekulation erwartet, weniger Oberfläche, auch wenn sie dieses Thema zugänglicher macht. Gefunden habe ich auf 540 Seiten eine dialogreiche Milieuestudie aus unterschiedlichen Berliner Wohnstuben nebst Liebesgeschichte, die mich zwar sprachlich modern und intelligent unterhalten, aber inhaltlich leider nicht komplett hat abholen können.
Stadtgeplagte Mieter werden sich in der Geschichte vielleicht eher wiederfinden als Landeier, wie ich eines bin. Auch wer Unterleuten von Juli Zeh mochte, ist hier richtig. Wer gut und kurzweilig unterhalten werden will ebenfalls. Wer einen Text gern flüssig weg liest auch, denn Eva hat ihren ausgesprochen unterhaltsam und szenisch angelegt, man könnte direkt mit ihm und dem passenden Cast, die Dreharbeiten für eine Erfolgsserie beginnen. Der verbale Schlagabtausch steht schon. Reichlich Material für Gedankenblasen und innere Monologe hat es ebenfalls. Also wer weiß, vielleicht klopft ja der Streamingdienst mit dem großen “N” noch an …
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