Sonntag, 05.04.2020
Man kann es nicht riechen, schmecken, sehen, hören oder fühlen. Ein weiterer Grund für alle von uns, die wir furchtsam sind, sich zu sorgen hat die Weltbühne betreten. Sie gaben ihm einen Namen und uns einen Feind: SARS-CoV-2 oder COVID-19. Dieses Virus, gegen das wir seit Wochen wie gegen Windmühlen kämpfen, hat unser Leben verändert und das ist nicht nur ein Spruch. Die Frage nach der Wahl der Waffen treibt uns noch immer um. Die schärfste unter ihnen ist bislang wohl die Umsicht, obwohl das lange noch nicht alle eingesehen haben.
Bleibt zu hoffen, das an unserer Seite genug Mitstreiter bleiben, denn es wird weiterhin Verbündete brauchen, und Durchhaltevermögen. Ich wünsche mir einen “Sancho Pansa” an meiner, an unserer Seite. Der unerschrocken und mutig ist, und der die Zuversicht, die Geduld nicht verliert, gleich wie irre wir uns auch anstellen mögen …
Wie komme ich eigentlich dazu, diesen Zusammenhang herzustellen? Ich weiß es auch nicht, nicht jede Assoziation die ich habe ist faktisch erklärbar, aber wie Don Quichotte im Kampf gegen Windmühlen, habe ich mich tatsächlich in den letzten Wochen häufig gefühlt, im Dienst, auf der Straße, mit meiner Angst, meinen Sorgen und mir deshalb gleich zwei Titel, die sich mit diesem tragischen Helden der Literatur beschäftigen von meinem Hör- und Lese-Stapel gegriffen. Also auf zu einer Premiere und einem Vergleich in meiner Bücher-Apotheke, wie ich ihn so noch nicht gewagt habe und auf zu den Abenteuern von Don Quichotte in neuem und klassischem Gewand:
Salman Rushdie, geboren 1947 in Bombay, würde man wahrscheinlich mit allem in Zusammenhang bringen, aber nicht unbedingt mit diesem Stoff von Cervantes und doch hat er ihn adaptiert. Gut, die Queen hat Rushdie 2007 zum Ritter geschlagen, insofern ist er also qualifiziert um über einen Ritter zu schreiben, will ich meinen. Der seine ist siebzig, er nennt ihn Ismael Smile, schon sein Name ist freundlich, er ist/ war Handelsvertreter für Pharmazie und seine Angebetete nicht Dulzinea, sondern Salma R. ein Fernsehstar mit indischen Wurzeln. Die gute ist schön, präsent, aber wohl nicht übermäßig begabt, dafür medikamentenabhängig und bipolar. Was ihre Follower beides nicht wissen. Smile schickt ihr Liebesbriefe, unterschreibt sie “mit einem Lächeln”, in ihr New Yorker Penthouse. Das Fentanylspray seiner Firma erweist sich als Schlüssel zu ihrem Herzen und er durchquert in einem alten Chevrolet, mitsamt erdachtem Sohn namens Sancho auf dem Beifahrersitz, die USA, Pardon die sieben Täler seines “Quests”, auf dem Weg zu ihr. Dies in einer Zeit, in der alles möglich ist, sich die Zeitrechnung in v.G. und n.G. bemisst (vor und nach Google), in der das Smartphone den Mob beherrscht und Shitstorms die Windmühlen sind gegen die wir anzurennen versuchen.
Sein Roman Quichotte ist abstrahiert, überzeichnet, anekdotisch und für mich, sorry dafür, beinahe unlesbar. Zwei Handlungsebenen hat er um ein und dieselbe Figur gestrickt, denn den guten Don gibt es einmal “live on the road” und einmal erdacht von einem Schriftsteller namens Bruder. Ich bin verwirrt. Bedauernd und enttäuscht, das gebe ich zu, weil ich den alten Narren von Cervantes so mag, und mich gefreut hatte auf dieses neue Gewand in das Rushdie ihn gehüllt hat. So lasse ich diese moderne Inszenierung jetzt hinter mir. Für mich ist sie zu detailreich, zu “pulp-fiktionesk”. Da bleibe ich dann doch lieber klassisch und bei einem Gegenentwurf, denn gemocht habe ich auch bei Rushdie die Sprache von Quichotte alias Smile, die auch bei ihm in den Briefen an Salma klingt, als stamme sein Verfasser tatsächlich aus dem 18. Jahrhundert und sei bei uns zu Gast.
Das von mir ausgesuchte Gegenstück habe ich erlauscht, es entstammt dem Tonstudio von Markus Hahn, und viel zu schnell ist er vorbei, dieser Spaß. Er schlägt zu Buch mit köstlichen 108 Minuten.
Die Hörspiel- und Hörtheater-Produktionen von Hahn, sind für mich zu einer lieb gewordenen und hoch geschätzten Abwechslung geworden. Wie kein anderer nimmt er sich mit seinem Team und exzellenten Sprechern Stoffen an, an die man sich sonst vielleicht nicht ran trauen würde, und die so von ihm neu gewandet für mich immer ein Fest sind. Gleich ob Shakespeare-Gestalt, True-Crime-Giftmörderin, oder jetzt eben Don Quichotte – Berührungsängste kennt Hahn nicht. Er managt sie alle, das mit Bravour und so dermaßen unterhaltsam, das ich sie Euch wärmstens empfehlen möchte.
Jetzt also nur bei ihm Die wirklich wahren Abenteuer des Don Quichotte, gelesen u.a. von Lutz Mackensy und Tim Sander. Mackensy ein Multitalent für Bösewichte und humorvolle Charaktere, er verlieh seine Stimme schon an Rowan Atkinson (Mr. Bean), Pearce Brosnan, Alan Rickman oder auch an Al Pacino oder Alan Rickman. Wer den Spiderman kennt, der kennt auch ihn Tim Sander synchronisierte u.a. Tobey McQuire und Serienfans kennen seine Stimme aus American Gods. Beide übernehmen die Hauptrollen in diesem vielstimmigen Chor bestens aufgelegter Sprecher, in dem Markus Hahn der Dirigent ist und das ganz meisterhaft! Dies gilt ein-eindeutig für alle Beteiligten. Mein Trommelfell kriegt da Gänsehaut, ehrlich!
Es geht um das wahre Leben und natürlich um einen “echten” Drachen. Auf ins Spanien des 16. Jahrhunderts. “Lasst Eure Sorgen fahren, denn sie sind die Fürze Eurer Seele.” So eröffnet der Autor Miguel des Cervantes höchst selbst, als Erzähler diese Geschichte, und stellt von Anfang an klar, hier ist ein augenzwinkernder Ton erlaubt.
“Heute und Jetzt ist Jetzt und Heute. Euer Jetzt, und das Heute von Sancho Pansa und Don Quichotte, dem Ritter der traurigen Gestalt.”
Zitat Markus Hahn
Einführender Minnegesang – und ich schmunzle, meine Zehen wippen dazu im Takt. Unser Sancho kommt kurz darauf in arge Bedrängnis, Gläubiger stellen ihn und rücken ihm auf’s Fell, sein Herr der Don hat es wohl nicht so mit dem Bezahlen und es gibt offenbar kaum jemanden dem er kein Geld schuldet. “Geld bringt immer Sorgen, ob Du es hast oder nicht.” Ein wahres Wort, gelassen ausgesprochen, von unserem Sancho. Die Börse seines Dons ist leer, seit drei Jahren schon fehlt ihm der Lohn und doch kann er sich nicht lösen von seinem Herrn.
Lange Messer an zarten Hälsen, ein Streit über ein Maultier, das der eine schlachten und der andere achten will. Ein Überfall und Gauner, die die Situation falsch einschätzen, die Truhen in diesem Haus sind leer, bis auf den Grund. Dies ist eine meiner Lieblingsszenen! Ich sehe sie vor mir, Stuhlbeine, Besteck und einen Nachttopf als Waffen nutzend. Ein Stimmengewirr, dazwischen Eselsgeschrei. Wie hier Bilder in meinem Kopf entstehen, das ist Hörtheater-Zauberei!
Der gute Sancho hat die Schläge auf sein Haupt indes nicht ganz ohne Folgen weggesteckt, Hahn meint, er habe nicht mehr alle Flügel an der Mühle. Denn er ist es, der seinen Don ermutigt und anfeuert in rostiger Rüstung und auf seiner klapprigen Rosinante eine Reise, oder, na ja, um der Wahrheit die Ehre zu ergeben, es ist eher die Flucht nach vorne.
Man hört die Mägen knurren, die Basen schwatzen, die Mägde schimpfen, Schafe blöken, Klingen klirren. Steht vor riesenhaften Müllern, Soldaten, Zauberern und Schuften. Den unterschiedlichsten Spießgesellen kann man hier begegnen …
… und diese Sätze, diese Verse, sie haben es in sich!, sie sind reich an Humor und wohl formuliert wird ihnen nicht wirklich gerecht. Mit spitzer Feder und geschwungener Schrift sind sie nachgezeichnet. An Lebensweisheiten mangelt es nicht. Aber ganz so historisch geht es dann doch nicht zu. Die eingesprenkelten Gesangsstrophen haben schon auch einmal einen Berliner Dialekt und es geht in ihnen um Bio-Schwein und Schnitzel. Babiere denen man ihren Harnisch entreißen will sprechen Sächsisch. Das klingt kurios findet Ihr? Ich fand das grandios und hab’ nicht nur einmal laut gelacht. Sagt, hab ich den Drachen schon erwähnt? Wow! In meinen Ohren dröhnt er, in meinem Bauch tönt er …
Was hat mir dieses Stück gut getan! In dieser Zeit, die gespickt ist mit schlechten Nachrichten und nur noch ein einziges Thema zu kennen scheint. Alles andere verblasst im Schatten dieser allgegenwärtigen Corona-Krise. Zeit also, für Seelenfutter und sagt man nicht auch, Lachen sei gesund? Lasst Euch mitnehmen auf eine Reise hoch zu Roß, auf eine gereimte Zeitreise voller Ungereimtheiten und wohltuendem Humor. Hervorragend ausgepegelt und produziert. Lasst Euch an die Hand nehmen, von diesen Gesellen, dieser Stimmung und entführen in eine andere, eine abenteuerliche, eine hellere Zeit …
Dorthin wo aus Drachen Prinzessinnen werden, aus Dienern Freunde, und wo eine große List fraglos eine Falle ist …
“Die Liebe schaut durch eine Brille, die aus Kupfer Gold macht, aus Armut Reichtum und aus Tränen Perlen.”
Textzitat Markus Hahn
Ja, und ist da nicht ganz wunderbar, wie zeitlos und aktuell dieses Werk auch heute noch ist. LG
Die “Lebensweisheiten” sind übrigens alle von Cervantes… Er ist ein wahrer Pfuhl an Sprüchen, aber seine Werke sind ja auch entsprechend dick… 🙂