Plan B (Volker Kutscher)

Dienstag, 12.03.2019

KURZGESCHICHTE

Der Asphalt glänzt schwarz und feucht. Auf meinem Heimweg rollt sich die Straße vor mir aus wie ein flüssiger Teppich. Wenn es so wie heute den ganzen Tag über nicht richtig hell werden will, sich Nebel und Nieselregen in der Luft festhalten, kann man gut nach empfinden, wie sich im Berlin der 1930iger Jahre die Stimmung angefühlt haben muss, als die Nationalsozialisten langsam aber stetig die Macht übernahmen, ihr Regime aus Willkür, Antisemitismus und Übergriffigkeit etablierten.

Eigentlich ist es Zufall, dass ich diese Kurzgeschichte von Volker Kutscher bei husseligem Wetter gelesen habe, und doch hätte es besser nicht passen können …

Plan B (Volker Kutscher)

Berlin, 1933, eine leer stehende Büroetage, Nähe Potsdamer Platz.

Wenn er sich jetzt selbst so ansah und seine Lage einmal bewertete, kam er nicht umhin festzustellen, ER und ES sahen nicht gut aus. Nein, es sah irgendwie ganz und gar nicht gut aus …

Die Wäscheleine, mit der sie ihn an den wackligen Stuhl gebunden hatten, war eine Sache. Das Messer, das sie ihm durch seinen Handrücken in die Stuhllehne getrieben hatten, tat gar nicht mal so weh, wenn er sich nicht bewegte. Sich nicht zu bewegen hatte er allerdings nicht in der Hand. Zwei Zähne hatte er bereits verloren und aufgehört die Körpertreffer und Beleidigungen zu zählen, die auf ihn niedergingen. Jetzt griffen sie nach dem Stuhl und zerrten ihn zum Fenster, kippten ihn rücklings hinaus, so baumelte er, kopfüber, dreißig Meter über dem Potsdamer Platz. Sah wie  sich unter ihm die Menschen vor Woolworth auf dem Gehsteig drängelten.

Wenn sie ihn jetzt los ließen, würde er den Passanten da unten ganz gehörig den Tag versauen …

Volker Kutscher, der mit seinem Roman Der nasse Fisch die Vorlage für die international erfolgreiche Filmproduktion Babylon Berlin lieferte, schenkt uns mit dieser vierzig seitigen Erzählung eine Sternschnuppe aus seinem Gereon-Rath-Universum, die hoch aufsteigt, hell leuchtet, um dann mit einem Paukenschlag zu verglühen. Er beweist hier, dass sogar mit nur so wenigen Seiten Wendungsreichtum möglich ist, von einem guten Spannungsbogen ganz zu schweigen.

Braune Uniformen, darunter Springerstiefel, ziehen im Stechschritt durch die Straßen, Fahnen mit Hakenkreuzen werden aufgezogen, die Nazis erstarken in Berlin, verschaffen sich raumgreifend Gehör …

Und wir treffen unterdessen (in dieser Kurzgeschichte) in einer leerstehenden Büroetage auf die beiden noch verbliebenen Bosse der zwei großen Ringvereine Concordia und Nordpiraten, die sich jetzt, nachdem die Nazis in Berlin mit Juden, Kommunisten und dem organisierten Verbrechen gnadenlos aufräumten, einen harten Konkurrenzkampf lieferten. Konnte man sich noch bis vor kurzem die Erträge aus Prostitution, Glücksspiel, Alkohol- und Drogenhandel teilen, so setzten jetzt die SA und die Polizei alles daran, diese Geldhähne zuzudrehen. Da blieb nur noch, sich die verbliebenen Vermögenswerte gegenseitig abzunehmen um noch halbwegs einen guten Schnitt zu machen. Man ging dabei nicht gerade zimperlich miteinander um, schließlich hatte man ja einen Ruf zu verlieren.

Unerschrockenheit, Cleverness und Mut sind das einzige was einem den Hals noch retten kann und Partner, die am Ende doch noch loyal zu einem stehen.

Charakterköpfe, hirn- und herzlose Schläger, mutige Frauen und treue Männer. Die Atmosphäre hier ist rund und stimmig, schnell gezeichnet wie bei einer Bleistiftskizze und als Leser ist man so sofort mitten drin statt nur dabei.

Mir hat dieses kleine Intermezzo sehr gut gefallen und ich schweige jetzt auch fein still,. Denn jedes weitere, von mir ausgeplauderte Wort könnte eines zuviel sein …

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