Samstag, 28.10.2017
Unser Spaziergang ist beinahe zu Ende. Wir haben das Pferd quasi von hinten aufgezäumt. Sind am Ausgang des Park Güell in Barcelona zu unserer Wanderung aufgebrochen. Immer wieder haben wir einen wunderbaren Rundumblick genossen, jetzt nehmen wir Platz auf den sonnenwarmen Fliesen der vielleicht schönsten Ruhebank der Welt. “Der Schlangenbank” gestaltet von Antoni Gaudí. Überall findet man in Barcelona steinerne Zeugen seines kreativen Schaffens, unfassbar visionär und modern, damals wie heute, unglaublich märchenhaft. An den “Krieg der Sterne” denkt man wahrscheinlich zuletzt, wenn man über Gaudí spricht und doch hat er den Regisseur George Lucas inspiriert. Nämlich mit den Schornsteinen die er auf seine Casa Milà gezaubert hat. Die auf die Abzüge gestülpten Hauben standen Pate für die Helme der Stormtroopers.
Auf den ersten Blick verzaubert Gaudís Verspieltheit, erst auf den zweiten Blick entdeckt man seine Liebe zur Natur, die ihm Vorbild für viele Gestaltungselemente gewesen ist und nicht nur das. Das Dach seiner großartigen unvollendeten Basilika, seiner Sagrada Familia, stützt ein ganzer Wald aus steinernen Bäumen. Das Licht hier ist magisch! Immer noch wird an ihr gebaut, 2026 zu Gaudís hunderstem Todestag soll die Sagrada Familia vollendet sein. Hier, in ihrer Krypta, ist ihr Architekt auch begraben.
Wie auf den dritten Blick bemerkt man als Laie Gaudís Genialität als Baumeister. Auf meisterhafte Art und Weise verbindet er das Praktische, das Nützliche mit dem Anmutigen, das und eine Formensprache die fasziniert, kann man in den Wohnhäusern bestaunen die er entworfen hat. Man nehme nur die kiemenartigen Durchlüftungsmechanismen auf den Wäschetrockenböden der Casa Batlló, seines “Knochenhauses”. Unverwechselbar ist seine Handschrift, dafür und wie prägend seine Kunst für das Stadtbild von Barcelona bis heute ist, verehre ich ihn. Kein Wunder also, das ich mit diesen Bildern im Kopf in den neuen Robert Langdon Roman gestartet bin, kaum hatte ich auf dem Cover die Sagrada Familia erkannt und im Klappentext Barcelona gelesen.
Origin (Dan Brown)
Textzitat: “Wir müssen bereit sein, uns von dem Leben zu lösen das wir geplant haben, um das Leben führen zu können, das uns erwartet”. Joseph Campell
Bilbao. Mit wehenden Frackschössen war Robert Langdon auf das Guggenheim Museum zugeeilt. Eine kryptische Einladung von einem seiner ehemaligen Studenten, Edmond Kirsch, hatte ihn hergeführt. Obwohl kein Freund moderner Kunst und Architektur musste Langdon dem eindrucksvollen Bauwerk dann doch seinen Respekt zollen. Wie er vor ihm aus der Dunkelheit auftauchte, dieser riesige Baukörper, von Flammensäulen umzuckt, beinahe geisterhaft schwebend, auf einer dünnen Nebelschicht, die sich jetzt langsam verzog. Eine japanische Künstlerin hatte die Intitialen des Architekten F.O.G. aufgegriffen und mit ihrer Nebelskulptur das Gebäude mit einem ätherisch schönen Effekt in Szene gesetzt. Gespannt was im Inneren auf ihn wartete, verschluckte der Eingang des Museums, schwarz und weit geöffnet unseren zügig voran schreitenden Professor …
Als das Event endlich startete wurden alle dreihundert Besucher aus den lichten Ausstellungsräumen, durch einen dunklen Tunnel, auf eine Wiese geleitet. Allen händigte man eine Decke mit einem eingenähten Kissen aus. Ein schier endloser Sternenhimmel überspannte die Fläche, auf der jetzt alle Platz nahmen. Langdon brauchte eine Weile, bis ihm aufging, das er hier gar nicht im Freien war, sogar der Duft nach frischem Gras war eine perfekte Illusion. Auf dem Rücken liegend staunte er kurze Zeit später nicht schlecht, denn er sah sich am Himmel selbst dozieren?!
Edmond Kirsch benutzte die Aufzeichnung einer seiner Vorlesungen um seine heutige Präsentation zu untermauern. Auf die drängensten Fragen der Menschheit wollte Kirsch heute Abend eine Antwort geben, so zumindest war es jetzt eben aus den Lautsprechern zu vernehmen. “Woher kommen wir?” und “Wohin gehen wir?” …
Erstmal sollte es diese Antwort aber dann doch nicht geben, denn ein Schluß hallte durch die atemlose Stille im Auditorium und der Redner und Gastgeber Edmond Kirsch sank tödlich getroffen in sich zusammen …
Textzitat: “Gott ist tot, Gott bleibt tot und wir haben ihn getötet. Wir die Mörder aller Mörder”. Friedrich Nietzsche.
Dan Brown – Sänger, Liedermacher, Englischlehrer, Schriftsteller – beeindruckende Stationen eines kreativen Geistes. Als Sohn eines Mathematikprofessors und einer Kirchenmusikerin lernte er, so kann man es bei Wikipedia nachlesen, das Religion und Wissenschaft keine Gegensätze darstellen. Mit dem Da Vinci Code landete er einen Welterfolg, der aufgrund seiner gewagten Thesen insbesondere von der katholischen Kirche scharf kritisiert wurde. Auch in dieser Geschichte agiert sein Harvard-Professor für Symbologie Robert Langdon.
Meine Pros und Contras:
Wenn es einer schafft, dass ich sofort, unmittelbar und dringend meine Koffer packen und los ziehen will, dann ist es Dan Brown. Diesmal hat er das Guggenheim Museum in Bilbao und das Kloster Montserrat auf meiner Reise-Wunsch-Liste ganz nach oben katapultiert. Bildhaft, ja anmutig kann er Schauplätze zeichen, Sehnsüchte nach ihnen wecken. In Origin bleibt er sich diesbezüglich treu. Von den Shakespeare Gardens, von denen es weltweit 33 geben soll, habe ich in Origin erstmals gehört. Ob es den in Barcelona wirklich gibt? Ich krieg das noch raus, so ganz kann man Dan Brown nie trauen, kann man sich nie sicher sein, wo er seine dichterische Freiheit auch mal zu Lasten realer Schauplätze auslebt. Man erfährt in Origin auch, das es eine Hitliste des National Geographic gibt, die die zwanzig gefährlichsten Treppen der Welt aufzeigt und das die Wendeltreppe der Sagrada Familia hier auf Platz drei rangiert. Als seine Leser sind wir in der Sagrada sogar Nachts unterwegs …
Vermisst habe ich seine sonst leidenschaftlich und geschickt verwobenen, atemlos spannenden Verschwörungstheorien. Robert Langdon, den ich als Figur sehr mag, weil er leicht verschroben eher als Anti-Held daher kommt, agiert in diesem fünften Band eher als Nebenfigur, wirkt wie von einer künstlichen Intelligenz ferngesteuert. Schade, obwohl es im Gesamt-Kontext dann doch auch wieder Sinn macht. Bei seinen anderen Figuren bleibt Brown sehr an der Oberfläche, seine Dialoge geraten bisweilen sogar platt und er bedient das Klischee – eine schöne, kluge Frau braucht jeder Held um selbst gut auszusehen. Was auch immer hier ihre Aufgabe war, sie hört auf den Namen Ambra, in der sicher anstehenden Verfilmung wird sie gut besetzt eine Top-Figur machen. Das war böse jetzt, ich weiß ;-).
Die Antwort auf die groß angekündigten Fragen “Woher kommen wir?” – “Wohin gehen wir” – gibt er uns auf nachvollziehbare und für mich nicht aus der Luft gegriffene Art und Weise. Dabei treffen Gotteskrieger auf IT-Nerds und künstliche Intelligenz. Todkranke Könige, taktierende Bischöfe, die rechten Krallen der Franco-Ära die bis ins heutige Spanien hinein greifen. Seinen Spannungsbogen opfert er dafür (für mich leider) der Wissenschaft, und das obwohl er den Haupthandlungsstrang auf eine einzige Nacht verdichtet. Das Zeitmomentum kann diesem Band in Sachen Spannung nicht wirklich helfen. Sehr viele Details, sehr viel zitierte Quellen. Gut, Quantenphysik ist auch nicht gerade mein Lieblingsthema, daran mag es vielleicht auch gelegen haben, das mich diese Mischung aus darwinistischen Theorien und Zukunftsvisionen a la Westworld nicht so richtig abholen konnte. Inwieweit sich Theorien unter Zuhilfennahme von Super-Computern beweisen lassen, kann ich nicht beurteilen. Mein Kopf ist dafür eindeutig zu klein.
Der Vorgänger Inferno hatte mich richtig gepackt, auch bei Illuminati war ich voll dabei. Sogar auf sich anschließender eigener Spurensuche mit einem Führer in Rom. Das war Klasse, zu sehen wie sehr Dan Brown sich in die Örtlichkeiten hineindenkt. Meine Erwartungs-Messlatte lag also hoch, vielleicht bin ich auch deshalb nach beenden dieses Teils dann eher enttäuscht.
Hörbuch–Fassung: Sehr gut gefallen hat mir die musikalische Untermalung. Häufig inszeniert Lübbe Audio auf diese Art eingelesene Bücher. Die Musik an den Kapitelanfängen wechselt hier mit der Stimmung im Roman, ragt dabei nie in den Text. Ein toller Effekt.
Wolfgang Pampel, erfahrener Hörbuch-Interpret und Synchronstimme, u.a. für Harrison Ford ist eine Idealbesetzung für die Langdon Romane. Das ich immer “Indiana Jones” vor mir sehe, wenn ich seine Stimme höre, daran ist er allein Schuld, im aller positivsten Sinne. In Origin gibt er wieder Vollgas, haucht gar der künstlichen, körperlosen Intelligenz “Winston” Charakter und Persönlichkeit ein. Klasse!
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