Haben Eltern Lieblingskinder? Vielleicht. Falls nicht, warum gelingen dann Bindungen innerhalb einer Familie so unterschiedlich? Warum trennen sich manche so unversöhnlich und andere finden immer wieder einen Weg? Ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe zu akzeptieren. Sich zu verzeihen. Wenn es rappelt. Noch mal von vorne zu beginnen. Sind die Eltern wirklich das Bindeglied zwischen Geschwistern? In dieser Geschichte wohl eher nicht. Ob es da überhaupt irgendeine Art Kitt gibt frage ich mich.
Nochmal von vorne von Dana von Suffrin
Ein Krankenhausflur. Warten auf das was passiert. Still. Auf einem Stuhl. Rosas Vater ist tot und sie alleine hier. Ihre ältere Schwester irgendwo in Afrika, ihre Mutter bereits vor längerem verstorben. Eine Schwester meint es gut. Bietet Unterstützung an. Aber der Krankenhausseelsorger hat die falsche Konfession. Katholisch. Das würde nicht helfen.
Ein Tag wie jeder andere. Für viele andere, die sie unterwegs trifft. Niemand sieht ihr an, dass sie einen Totenschein in der Tasche hat und ihre Schwester ist immer noch nicht zu erreichen. Wie gewohnt. Wie auch immer.
Uns erzählt Rosa, icherzählend, von ihr, der Schwester, Nadja und ihrer jüdischen Familie. Das Ende muss man vom Anfang an erzählen, schreibt Dana von Suffrin und fängt noch mal von vorne an. Stellt uns Rosas Mutter vor, eine Katholikin, Ex-Studentin, ihr frühes WG-Leben und wie sie sich schließlich in einen Israeli, in seine Finger, seinen Akzent verliebte. Erzählt, wie alles kam, wie es kommen musste. Vielleicht.
Vor Studienbeginn, in den 70ziger Jahren, hatte Rosas Mutter in einem Kibutz Freiwilligenhilfsdienst geleistet und war ein halbes Jahr in Israel gewesen. Erinnerte diese Zeit als glückliche. Dann, schrieb sie bei ihrer Prüfung vierzig Seiten und fiel trotzdem durch und ihr Mann ihr förmlich vor die Füße. Der war gestolpert. Über ein gestelltes Bein.
Tinte und Recyclingpapier, das sich vollsaugt, als wolle es die Worte verschlucken. Sprachlich löst Dana von Suffrin wunderbar leicht und schon auch mit einer gehörigen Portion bissigem Humor, jede Situation.
Es geht noch weiter zurück in der Zeit, nach 1944, zu Rosas und Nadjas Großvater und Mutter und zu dem Tag, an dem ihre Eltern begannen sich zu hassen. Es war der Tag, an dem ihr Onkel zu Besuch kommen sollte und nicht ankam. Der jüngerer Bruder ihres Vaters.
Spott und vermeintliche Überlegenheit treffen auf einen Paranoiker. Urlaub in Israel und Besuche bei der Großmutter. Im Altersheim. Strandtage in Tel Aviv, die friedlich beginnen um im Chaos enden. Weil Nadja mit einem Jungen in der Umkleide erwischt wird. Rosa ist an diesem Vormittag fast 12 Jahre alt und Nadia 14. Kein leichtes Alter. Meint der Onkel noch. Bevor alle durchdrehen.
Streitereien sind allgegenwärtig in dieser Familie. Niemand kann sich mit keinem an einen Tisch setzen, ohne das es losgeht. Und zwar so richtig. Die Eltern von Rosa vertragen sich nicht und auch Nadja und Rosa, die beiden Schwestern, die keine Bindung zueinander aufrechterhalten können, tun es nicht.
Die Scheidung der Eltern. Unvermeidlich. Die Mutter wird Yogalehrerin und geht nach Thailand. Wo sie verschwindet. Vermutlich ertrinkt. Sie beerdigen eine leere Kiste. Als auch der Vater verstirbt kommt vieles hoch und Rosa rekapituliert.
Dana von Suffrin, geboren 1985 in München, auch dort aufgewachsen, die studierte Politikwissenschaftlerin, promovierte über den deutschen Botaniker Otto Warburg und veröffentlichte 2019 ihren Debütroman Otto, der ebenfalls von einer dysfunktionalen jüdischen Familie handelt. Die Jury des Deutschen Buchpreises setzte 2024 Noch mal von vorne auf die Longlist.
Gehässigkeit muss wohl das Band zwischen Rosa und Nadja gewesen sein, schreibt Dana von Suffrin und dann kommen Beispiele und man lacht. Wider Willen. Wenn sie erzählt von Romanzen und Bettelstudenten, die am Ende in einem Palast wohnen. Von diesen beiden Schwestern, die irgendwie schon aneinander hängen und erst zusammenfinden als sie erwachsen und Waisen sind.
Im Grunde Trauriges humorvoll erzählen, das kann sie par excellence. So ist dann auch Noch mal von vorne sprachlich ein Roman den ich deswegen und auch seiner Erzählart wegen, sehr gerne mochte, inhaltlich aber hat er mich nicht wirklich abholen können. Sein Gezanke und der Unfrieden innerhalb dieser Familie haben mich ganz zappelig gemacht. Warum muss man sich permanent so beharken? Die Gründe dafür blieben für mich final im Dunklen, jeder ist eben so wie er ist und zusammen geht das nicht gut. Punkt. Okay. Mir war das dann zu wenig. Auch vermisste ich die Tiefe bei den Figuren, im Grunde lernte ich nur Rosa als Erzählerin kennen, wie Schatten blieben der Rest ihrer Familie für mich am Bühnenrand stehen. Das Licht fällt zumeist auf die Mutter, die an der sich gefühlt alle reiben, am Häufigsten der Vater, dem eine unbestimmte Angst das Herz vergiftete. Die Großeltern, die in Rumänien Verfolgung litten, der Großvater, der mehrfach verhaftet und misshandelt wurde, bevor ihm und seiner Frau die Ausreise gelang, die beiden flakern wie Irrlichter auf.
Manchmal wäre es mir lieber gewesen, ich hätte etwas länger bei der jeweiligen Figur verweilen dürfen, um nicht nur Schlaglichter aus ihren Leben zu sehen. Nur Fragmente erzählen davon, warum diese Familie so ist, wie sie ist. Summa Summarum war mir das das zu wenig. Zu wenig um zu verstehen, warum einem die Gelassenheit im Umgang miteinander so derart abgeht und man sich immer zu so beharken muss. Das diese Geschichte zu einer werden lassen, von der mir nach dem Lesen weniger geblieben ist als ich erwartet hatte.
Herrlich augenzwinkernd wird Dana von Suffrins Text von Xenia Tilling gelesen. Drum gibt es von mir ein eindeutiges 1:0 zu Gunsten der sehr gelungenen Hörbuch-Fassung.
Schreibe den ersten Kommentar