MITTE von Volker Kutscher

Wollte man Wärme brauchte man Kohlen. Wollte man Strom brauchte man Groschen und der Zähler ratterte unbarmherzig. Die 1930iger Jahre in Deutschland waren kein Ponyhof und einer, der diese Zeit und auch schon zuvor die Goldenen Zwanziger in Berlin genau unter die Lupe genommen und uns mit seiner Figur des Gereon Rath einen Anti-Helden besonderer Machart geschenkt hat, ist zurück mit einer neuen illustrierten Kurzgeschichte. Diesmal treffen wir uns nicht in MOABIT sondern in der MITTE und sie, Kutschers Illustratoren-Partnerin zielt ebenfalls genau da hin und trifft. Trifft mit ihren Zeichnungen mitten ins Herz der Erzählung und das meine:

MITTE von Volker Kutscher (illustriert von Kat Menschik)

Berlin, im Winter 1936. Ein Briefwechsel.
Den Kästner soll man nicht mehr lesen und auch den braven Soldaten Schwejk nicht. Zu kaufen gibt es die nur noch unter dem Ladentisch. In so ‘ne Zeiten lebn ma jetzt. Fritz hat mit Charly wieder Korrespondenz und zum Glück ist sie immer noch gut vernetzt, weil er sich sicher ist, er ist einem Mörder in die Arme gelaufen und er kennt ihn auch. Begegnet sind sie sich zuletzt bei den Olympischen. Den Spielen. Im Wald, als der Herr Doktor dort am Seil hing. Selbstmord hieß es seinerzeit. Ganz unglücklich das Ganze. Zur falschen Zeit am falschen Ort, das scheint irgendwie Fritzens Profession zu sein, denn grad steckt er wieder bis über beide Ohren im Schlamassel, noch immer auf der Flucht, noch immer untergetaucht …

Zwei Tonnen Kohle haben Fritzens Kollegen unter sich begraben, aber nicht erschlagen, so gnädig waren sie ihm nicht gewesen. Erstickt am Staub, is’ er, sagt die Polizei und Fritz ist fertig mit der Welt. Unter diesem Berg, in dem Keller hätte er liegen können. Hätte er da liegen sollen? War er doch bis eben dort noch mit am Schippen gewesen. Dann gegangen um ein Bier zu holen gegen den Staub in ihren Kehlen …

Volker Kutscher, geboren am 26. Dezember 1962 in Lindlar, deutscher Schriftsteller und Journalist lebt in Köln. Seit 1995 veröffentlicht er Kriminalromane, zuletzt Olympia, Band 8 seiner Reihe um Kommissar Rath. Sein “Gereon-Rath-Universum” hat so viele Fans, dass man meinen könnte es gibt niemanden mehr, der seine durch und durch authentischen Krimis noch nicht gelesen oder zumindest die Erfolgsserie Babylon Berlin, die auf seinen beiden ersten Bänden Der nasse Fisch und Der stumme Tod basiert, nicht gesehen hat.

Die Zeit zwischen zwei Romanbänden überbrückt Kutscher für seine Leser*innen gerne mal mit einem Appetithappen, einer Erzählung, pickt sich dafür eine oder mehrere Figuren aus seinen Krimis, dieser schließt an Olympia an, ihn zu kennen ist von Vorteil und der Galliani Verlag hat seine Kurzgeschichte auch diesmal, wie zuvor schon MOABIT, als wunderschön illustrierte Ausgabe verlegt. So entstehen Sammlerstücke, die jedem Buchliebhaber ans Herz wachsen. Kutscher-Fan oder nicht. Diesmal hat sich Kutscher eine besondere Erzählform ausgedacht, seine Geschichte MITTE besteht aus Briefen eines einzigen Absenders. Er nennt sich jetzt Fritz Hutzke, hat eine neue Identität angenommen, ist untergetaucht.

Kutschers Kurz-Krimi MITTE ist durch due Briefform geschickt geplottet, wie von hinten durch die Brust erschossen streut er Hinweise und rollt seine Geschichte ab, oder auf, je nachdem, wie auch immer. Fritz schreibt sich mit Charly und Hannah im Wechsel, wir aber kriegen nur seine Briefe zu lesen, die Antworten oder Nicht-Antworten der Damen flicht Kutscher in Fritzens Zeilen mit ein. Sehr clever und unterhaltsam ist das, und so als hielte er immer noch etwas in der Hinterhand. Was auch stimmt. Die Bombe platzt am dicken Ende, wieder in Form zweier Briefe, die wie auf einer uralten Schreibmaschine getippt eingebunden sind. Toller Druck und Satz, sogar die Typen sind leicht verwischt, das Farbband wie verblichen. So endet die Geschichte wie sie enden muss, mit einem Paukenschlag und sie hat es wieder getan: Kat Menschik bebilderte schon die Kutscher-Erzählung MOABIT und ihre Zeichnungen lösen bei mir immer dieses “Muss-Haben-Gefühl” aus.

MOABIT hatte ich mir als Hörbuch ausgesucht, und auch diese Fassung mit gleich drei Sprechern hatte bei mir voll ins Schwarze getroffen, wer mag findet nach Klick auf das nachfolgend eingebundene Cover meine Besprechung dazu. Wenn ich jetzt allerdings wiederholt durch die schöne Ausgabe von MITTE blättere, über den Seitenschnitt streiche, muss ich  MOABIT wohl auch noch als Print haben:

Kat Menschik, geboren am 06. April 1968 in Luckenwalde, arbeitet als freie Illustratorin u.a. für die FAS.

Farbenfroh und mal im Stil eines Comic, mal wie ein Pop-Art-Gemälde sind ihre Zeichnungen ausgestaltet und dafür liebe ich sie. Für die Illustration von Volker Kutschers aktueller Erzählung hat sie tief in ihre Farbtöpfe gegriffen und damit erneut ein kleines Schmückstück erschaffen, schaut mal:

Die Schrift des Textes ist diesmal in violett gehalten, genauso wie das Vorsatzblatt, der Seitenschnitt dazu in neonorange, das nenn’ ich Mut zur Farbe. Der Einband in Halbleinen mit Prägung. Was für eine herrliche Haptik! Inkl. diesem Band umfasst die Reihe Lieblingsbücher von Menschik bei Galiani Berlin jetzt elf Bände und ich konstatieren: Ich hab sie noch nicht alle …

Mein Dank geht an Galiani Berlin für dieses wunderschöne Besprechungsexemplar und wer mag, der schaut auf meinem Instagram-Account vorbei, dort verlose ich ein Exemplar. Viel Glück!

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