Männer mit Erfahrung (Castle Freeman)

Mittwoch, 06.11.2019

Leseherz, was willst Du mehr! Jetzt im Spät-Herbst träume ich von einem Frühstück vor dem Dienst im Freien, draußen auf der Terrasse. Davon, dass der Kaffee in meiner Tasse vor mir dampft, das mich die Sonne in der Nase kitzelt. In der Nachbarschaft hat eines der Hühner wieder einen hysterischen Gackeranfall und dann lese ich diesen ersten Satz!

Ich fühle mich, wie mit dem Katapult hinein geschossen in diese Geschichte. Fühle mich, als würde ich auf einer Veranda im Schaukelstuhl sitzen und dieses ungleiche Trio dort vor mir aufmarschieren sehen. Die Seiten huschen nur so dahin, förmlich inhaliert habe ich diesen schmalen, kleinen, feinen Roman, der vor Wortwitz strotzt, dessen Handlung mich gespannt vor sich her getrieben hat. Seine Figuren, mit ihren Ecken und Kanten, der in einem Showdown, in der Sägemehlwüste eines stillgelegten Holzfällerlagers, hoch oben in den Bergen endet.

Also, neuer Lieblings-Autor voraus? Da schauen wir doch mal weiter:

“Hochsommer: Die langen Tage beginnen mit hellem, sich rasch auflösendem Dunst und enden nie. Die Stunden strecken sich, dehnen sich und nehmen alles auf. was man in sie hineinsteckt; sie nehmen alles, was man hat: Geschäftigkeit, Untätigkeit, gute Ideen, schlechte Ideen, Gespräche, Liebe, Ärger, Lügen jeder Art – alles.” (Textzitat)

Unerschrocken sind sie, diese Männer mit Erfahrung aus der Feder von Castle Freeman. Wortkarg, trickreich und kreativ nehmen sie sich Lillians “Problem” an. Ohne viele Fragen zu stellen und es zeigt sich einmal mehr, dass es nicht selten diejenigen sind, denen man es nicht zutraut, der eine schwer betagt, der andere hünenhaft, aber eher zurückgeblieben, die wegweisendes bewegen können. Aber immer der Reihe nach …

Was ihn aufgeweckt hatte, wusste Fred Fitzgerald nicht mehr. Als er die Augen aufschlug, saß ein Schatten auf seiner Bettkante. Ein Schatten der zu sprechen begann, der damit auch seine Frau aufweckte, der ihm den Griff zum Lichtschalter verwehrte, der den Teddy seiner kleinen Tochter in den Händen hielt. Kalt und eindringlich machte dieser Schatten klar, dass das Aufsuchen des Sheriffs in besagter Angelegenheit alles andere als hilfreich und keine gute Idee sei …

Ihre enthauptete Katze Annabelle und ein Obstmesser hatte Lillian unter dem Arm, als sie das Büro von Sheriff Wingate betrat. Es war früh am Morgen und sie hatte die Nacht zuvor in ihrem Auto auf dem Parkplatz vor dem Sheriff Büro verbracht. Sie hatte diese Drohung, die nur von Blackwell kommen konnte, der sie seit Wochen verfolgte, sehr wohl verstanden. Was sie allerdings nicht verstand war, warum der Sheriff nichts unternehmen wollte. Ungläubig starrte sie ihn jetzt an, angesichts der Gelassenheit mit der dieser auf die Situation reagierte. Dem Gesetz nach, könne er erst dann etwas unternehmen, wenn ihr etwas passiert sei. Es bliebe ihr ja immer noch die Möglichkeit weg zu ziehen, was er ihr auch empfehlen würde, betrachte man den Charakter desjenigen, mit dem sie sich da angelegt habe mal genauer. Doch Lillian dachte nicht einmal daran klein bei zugeben und mit einem kryptischen Hinweis des Sheriffs auf einen gewissen Scott, den sie in der alten Stuhlfabrik antreffen könne und der ihr eventuell zu helfen wisse, verließ sie wütend aber entschlossenen Schrittes das Büro …

Castle Freeman, hat mit dieser Geschichte bei mir voll ins Schwarze getroffen. Fünf Romane hat der in Texas geborene Autor bislang geschrieben. Er lebt mit seiner Frau in Vermont auf dem Land, wo er auch diese Geschichte stattfinden, und seine Männer mit Erfahrung auf eine mutige junge Frau treffen lässt, die nicht vor hat sich unterkriegen zu lassen.

Damit hatte ich nicht gerechnet: Seine Sprache ist schlicht genial. Zuerst hatte ich stirnrunzelnd auf den Buchrücken geschaut und gelesen, Freeman schreibe wie die Coen-Brüder, lakonisch, ironisch – und sehr blutig.

Blutig und ich, das passt nicht, da hätte ich das Büchlein fast schon wieder weg gelegt, zum Glück habe ich das nicht getan. Was wäre mir da für ein Lesegenuss entgangen, und das mit dem blutig hält sich in engen Grenzen, ok es fliegen ein paar Kugeln schon auch …

Die Geschichte entführt uns in das Herz der amerikanischen Holzwirtschaft. In die Wälder von Vermont, die durchzogen sind von klaren Bächen, Biberseen und Schluchten. Hier entstehen aber auch sie, die Wunden der Natur, geschlagen durch großflächige Rodungen.

“Die größeren Firmen errichteten im Wald ein Lager und transportieren ihre Sägen dorthin, um das Holz an Ort und Stelle zu schneiden. Wenn diese Lager dann abgebrochen und aufgelöst wurden, blieben braune und gelbe Hügel zurück, Strände, Sägemehldünen, auf denen nichts mehr wuchs. Diese Wüsten – manche waren jahrzehntealt und mehrere Morgen groß – lagen wie Inseln sonnenversengter Unfruchtbarkeit und Ödnis inmitten des riesigen grünen Waldes”. (Textzitat)

Hier oben, in die sogenannten “Lost Towns” waren im Laufe der Jahre zahlreiche Holzfäller, Jäger, Camper und Wanderer aufgebrochen. Viele von Ihnen wurden nie wieder gesehen. In kleinen Weilern leben die Menschen abgeschieden und auf sich gestellt. So entstehen Gemeinschaften der besonderen Art. Wenn den Hütern des Gesetzes da die Hände gebunden sind, dann nimmt man das Recht eben in die eigenen. An Waffen fehlt es ja nicht. Im Ergebnis zeigt sich, dass man jedem Problem beikommen kann, wenn man zusammenhält.

Ein Clique von Männern gibt hier, ganz nach dem Motto, selbst ist der Mann, pragmatisch und sehr sympatisch Rat zur Tat. Ihr Treffpunkt eine stillgelegte Stuhlfabrik. Unter diesen Männern habe ich mich dann auch besonders wohl gefühlt. Dieser Debattierclub wirft wunderbar die Bälle zwischen sich hin und her. Hier wird das Leben diskutiert und man sollte es nicht meinen, die kriegen einfach alles mit!

Sehr pointiert und ausgesprochen putzig finde ich auch, wie sich diese alten Haudegen, beim Erzählen gegenseitig ihre Sätze beenden. Ihren Gesprächen folgt man neugierig und so, als säße man mit einer Dose Bier in der Hand neben ihnen, auf einem der wackligen Stühle. Man wendet den Kopf, schaut von einem zum anderen und staunt nicht schlecht über das, was da so nach und nach an’s Licht kommt, als schäle man die Haut von einer Orange. Diese Dialoge sind Weltklasse, und auch die von Lillian, im Schlagabtausch mit ihren beiden Helfern.

Also dann, jippie ja yeah –  haut rein. Ich wünsche Euch so viel Spaß wie mir beim Entdecken der Freeman-Welt! Zwei weitere Romane von ihm habe ich schon auf meinen Zettel genommen.

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