Samstag, 10.03.2018
Also, ich wär’ dann soweit. Lange habe ich überlegt, ob ich für diesen Anlaß auch das Richtige eingepackt habe. Ich habe Reisefieber. Drei Tage soll die Fahrt mit dem Luftschiff “Berlin” quer über den Atlantik von Berlin nach New York dauern. In dem Kino in meinem Kopf waren bei dem Gedanken an diese “Zeppelin-Fahrt” sofort die Lichter angegangen. Schwerlos, geräuschlos schwebend, dort oben, wo die Freiheit laut Reinhard Mey grenzenlos sein muss. Die Haustür fällt hinter mir in’s Schloß. Die Zeit drängt. “Über den Wolken” von Mey, vor mich hin summend eile ich zum Flugplatz. Gedanklich richte ich mich schon in meiner Kabine ein. Wasche mir in meinem Belle Epoque-Waschbecken vor dem Essen die Hände, lege meinen Schmuck an, richte meine Frisur. Was ist mit Euch, seid Ihr dabei?
Luftschiff (Stefan aus dem Siepen)
An sechs langen Tauen ist die Berlin fest gemacht, ihr Namensschriftzug, mit Buchstaben so hoch wie ein Haus, schimmert durch den leichten Nieselregen. Auf dem Rollfeld wird noch Gepäck verladen, dass ein Traktor schnaubend herbei bringt. Viele Passagiere fehlen nicht mehr, einige wenige Nachzügler bahnen sich noch ihren Weg durch die Schaulustigen, die sich wie bei jedem Start versammelt habenen um mit weißen Taschentüchern hinter der Berlin herzuwinken. Oberregierungsrat Neise ist unter den letzten die an Bord gehen werden. Er darf endlich in die ersehnten Ferien aufbrechen. Amerika wartet auf ihn. Seinem monotonen, gleichförmigen Alltag eine Weile entfliehen, das ist der Plan. Was wäre dazu besser geeignet, als eine Reise mit dem Zeppelin? Dieses luxuriöse Luftschiff, dass so mondän wie das Grandhotel und so schnell wie ein Expresszug war, hatte seine Begeisterung schnell geweckt. Gediegen, mit einem Hauch Extravaganz, eingerichtet nach dem Vorbild der großen Luxusliner, so die Werbung – das klang doch verheißungsvoll. Die Reisedauer nicht zu vergessen, in nur drei Tagen von Berlin nach New York!
Textzitat S. 30: “Draußen war es schwarzer Abend geworden. Die Wolken flanierten noch immer vorüber, verbargen sich aber als Schemen in der Dunkelheit und wirkten dadurch umso neugieriger. Das Salonleben spiegelte sich mit makelloser Schärfe in den Scheiben, sodass der Eindruck entstand, auch im Himmel werde geplaudert, Karten gespielt und musiziert. Von der Decke hingen kugelförmige Lampen aus Milchglas, die eine dreifache Existenz führten: Sie verbreiteten im Salon ihr festliches Licht, spiegelten sich in den Fenstern und zogen als Monde durch die Nacht.” …
Er fühlte sich krank, ihn schwindelte, sein Magen war unruhig und in seinem Kopf fuhren die Gedanken Karusell. Die Landung hätte vor nunmehr vier Stunden sein sollen. Diese Verspätung schien aber außer ihm keinen der anderen Fahrgäste zu beunruhigen. Auch als weitere Stunden verstrichen und wie immer das Abendessen serviert wurde, blieben alle ruhig, gingen nach der allabendlichen Unterhaltung auf ihre Kabinen und zu Bett. Er hatte schon alles eingepackt, war bereit zur Landung gewesen, umständlich zerrte er jetzt Pyjama und Zahnbürste aus dem Koffer, putzte nachdenklich seine Zähne. In der Nacht schreckte er auf aus einem unruhigen Schlaf …
Textzitat S. 83: “Der Flur vor den Kabinen war unheimlich. Die Deckenlampen, die während der Nachtstunden herabgedreht wurden, verbreiteten ein schwächliches Licht, das nicht heller leuchtete als ein paar Teefunzeln, die bald verflackern würden. Die Stille war auch hier vollkommen. Beim Gehen trat er fest mit dem Fuß auf, ließ die Sohlen über den Boden schleifen, um sich gegen die bedrängende Lautlosigkeit zu wehren. Warum hörte er die Motoren nicht?” …
Stefan aus dem Siepen arbeitet für das Auswärtige Amt in Berlin und hat schon einige Romane veröffentlicht. Dieses ist mein erster von ihm. Seine geschliffene Sprache, die hier wunderbar den Ton der zwanziger Jahre trifft, ist beeindruckend. Diese Rede die er führt, unglaublich! Seine Worte erschuffen vor meinen Augen eine Opulenz die Staunen macht. Er beschreibt die Ausstattung des Zeppelins Berlin so liebevoll und detailliert, dass ich mich selbst als Fahrgast an Bord wähnte. Das Ablegemanöver spektakulär, die Mahlzeiten köstlich, der Kabinenservice excellent und in nur drei!! Tagen war man in New York. Was für eine katapultartige Geschwindigkeit! Man legt bei bedecktem Himmel in Berlin ab, mitten in der Nacht reissen dann pünktlich über Paris die Wolken auf und man drückt sich mit den Fahrgästen gemeinsam die Nase am Fenster platt, bestaunt die Lichter der Großstadt aus der Vogelperspektive. Herrlich!
Ein kleiner feiner Roman, der mich sehr gut unterhalten hat und mich schnell den Entschluß hat fassen lassen, das dies nicht die letzte Geschichte ist, die ich von aus dem Siepen lesen möchte!
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