Hierher kommen sie, die Träumer, die Enthusiasten. Die, mit Talent und die ohne. Die, die vom Glanz berührt werden, berühmt werden wollen. Hier wohnen sie. Die, die es geschafft haben, die Reichen und die Schönen. In den Hügeln von Hollywood. Hier schlägt das Herz der Filmindustrie. Hier werden Träume produziert und Neider großgezogen …
Versprechen die man sich selbst gibt sollte man halten. So hatte ich mir versprochen im neuen Jahr wieder häufiger mal einen Krimi zu lesen. Dabei bin ich gerne an Schauplätzen unterwegs, die nicht gerade vor der Haustür liegt, und wenn einer weiß wovon er da schreibt, wenn es einen ordentlichen Plot-Twist hat, dann passt das. Toughe Ermittlerinnen begleite ich besonders gerne und tough ist Renée Ballard, und das hier ist ihr erster Fall. Willkommen zur …
Late Show (Michael Connelly)
Heute Nacht war es anders. Heute Nacht war ihnen ein Attentat dazwischen gekommen. Ballard und Jenkins hatten eben noch eine alte Dame, die das Opfer eines Kreditkartendiebstahls geworden war verarztet, als die Meldung eines Amoklaufs hereinkam. Fünf Tote hatte es in einem noblen Nachtclub in Hollywood gegeben. Alle verfügbaren Einheiten wurden zum Tatort beordert, für den Rest der Nacht spielte hier die Musik …
Der letzte Satz eines Opfers gibt Rätsel auf, mit entweichender Kraft spricht er/sie, ein biologisch männlicher Transgender, von einem “auf dem Kopf stehenden Haus”. Brutal zusammengeschlagen, mit Schlagringen traktiert, liegt Renées erster Fall im künstlichen Koma.
Ein in Nachtblau getauchtes Cover, ein blutroter Seitenschnitt. Im Inneren auf den ersten Blick, auf die ersten Kapitel, ein klassisch amerikanischer Krimi, in bester LAPD Manier. Sein Personal, die Hauptfiguren, Detective Renée Ballard und ihr Partner Jenkins, sind Teil der Nachtschicht, der Late Show wie man sie hier nennt, bei der Los Angeles Police. Sie sind wie das Notaufnahme-Personal einer Klinik, die schnelle Eingreiftruppe, die alle Fälle einer Nacht aufnimmt, protokolliert und an die entsprechenden Dezernate weiter reicht, ohne selbst einen der Fälle, die sie aufgenommen haben abzuschließen. Renée ist das zu wenig, sie will etwas bewegen und mischt sich ein, geht ein Risiko ein, mit ihren Allein- Ermittlungen ohne zu ahnen, dass sie dabei auf des Messers Schneide balanciert.
Renée ist eine Heldin mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn, sie hängt sich nicht der Karriere wegen in die Arbeit, sie steht auf der Seite der Opfer. Mit aller Konsequenz. Das Verfassen von Protokollen geht ihr leicht von der Hand. An der University of Hawaii hat sie Journalismus studiert und zunächst als Reporterin gearbeitet. Aber nicht lange, als eine von vielen Polizeireportern der Los Angeles Times hatte sie, im Gerichtssaal bei der Berichterstattung über einen Fall, der sie sehr anpackte, ihre Meinung geändert. Sie wollte nicht mehr nur Schreiben, sie wollte etwas tun.
Das Surfen hat sie von ihrem Vater auf Hawaii gelernt, ihre Nachtschichten beendet sie des Muskelaufbaus wegen mit einer Runde Board-Paddeling am Venice Beach, nicht aus Eitelkeit, sondern rein pragmatisch motiviert. Musste sie sich doch zu Beginn ihre Dienstzeit beim LAPD gegen einen Angreifer zur Wehr setzen und das war ganz schön knapp, Stiletto-Absatz gegen Auge sozusagen. Jetzt brauchte sie Muskeln im Job und warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden …
Michael Connelly, geboren 1956 in Philadelphia, lebt heute in Florida. Sein schriftstellerisches Wirken begann journalistisch. 1986 erschrieb er sich mit zwei Kollegen für eine Reportage über ein großes Flugzeugunglück in Fort Lauderdale eine Nomierung für den Pulitzer Preis. Für die Los Angeles Times schrieb er Kriminalreportagen und für seinen ersten Kriminalroman, der 1992 erschien erhielt er den Edgar Award. Zwei seiner weiteren Romane wurden mit Clint Eastwood und Matthew McConaughy in den Hauptrollen verfilmt und die Fernsehserie “Bosch” basiert auf den Fällen eines seiner Ermittler.
Genauso fühlt sich auch Late Show an, als wäre man mittendrin statt nur dabei in einer amerikanischen Krimiserie. Connelly weiß wovon er schreibt, das merkt man in jeder Szene. Die ihm allesamt sehr authentisch gelingen. Die Heldin unprätentiös und hat das Potential für eine Serie, so manches bleibt um sie noch im Dunkeln. Connelly beschreibt seine Tatorte ebenso detailliert wie er in seinen Zeugenbefragungen akribisch ist. Lässt einen so seiner sympathischen Ermittlerin über die Schulter schauen, als seien wir ihr Partner. Seine Szenen sind alle präzise zugeschnitten und filmreif, es fehlt nicht an Intrigen und eine Frau im Polizeidienst ist halt allein unter Kollegen. Schön, das Connelly ihr etwas zutraut und er mutet ihr auch einiges zu.
Korruption unter Cops, das klingt nicht neu und auch nicht nach einer Überraschung. Mobbing im Dienst, besonders gegen Frauen in der Einheit auch nicht. Michael Connelly bedient also Themen die im Krimi nicht neu sind, er gibt sich auch keine Mühe sie als neu zu verkleiden, er bleibt schön klassisch, ermittelt forensisch und chronologisch, ohne Schnick Schnack und Rückblenden.
Ein Zelt am Strand, für ein Nickerchen nach der Nachtschicht, ein Zimmer im Bungalow der Großmutter. Renée gibt ihr Haus als ihren festen Wohnsitz an, kroch hier unter und sie war hier willkommen. Ihre Grandma kochte auch einfach zu gut, hatte eine Waschmaschine und einen Trockner in der Garage und die besten Surfspots lagen ebenfalls nur einen Steinwurf entfernt. Ihre Mutter hatte sie hier “geparkt”, da war sie gerade mal vierzehn, ihren Vater hatte eine Welle geschluckt und nicht wieder hergegeben.
Ken Chastain, Cop, Renées Ex-Partner und amtliches A********, ist tot. Erschossen. In seinem Wagen, zu Hause in seiner Garage hatten sie ihn gefunden. Das änderte alles. Renée hatte einen Verdacht, dem geht sie nach, beherzt und nicht ahnend dass sich längst jemand auch an ihre Fersen geheftet hat und als man ihr einen schwarzen Plastikbeutel über den Kopf stülpt wird es brenzlig, aber so richtig …
Szenisch wie ein Blockbuster, akribisch wie eine ganze Buchhaltung, sich Befragung um Befragung vortastend und ganz schön clever, ist dieser Krimi von einem Roman.
Ich lerne was die Miranda-Belehrung ist und was die Lybarger-Ermahnung. Sitze im Kopf der Hawaiianerin Ballard, denke mit ihr, kombiniere mit ihr, ziehe meine Schlüsse.
Wie es sich anfühlte einem Menschen das Leben zu nehmen, das wusste Renée jetzt und das es im Dienst, zu ihrer Verteidigung, als Opfer, nicht als Polizistin passiert war machte es nicht leichter, tat auch nichts zur Sache. Hatte da etwas in ihr geschlafen, etwas Dunkles, etwas das immer schon bereit gewesen war zu töten …?
“Mann” zweifelt an dieser Frau, die eigenen Kollegen, Vorgesetzte. Sie versuchen ihr einen Strick zu drehen und die Schlinge zieht sich tatsächlich immer enger zu. Wen hat sie sich da zum Feind gemacht? Wer muss sich selbst schützen und ist bereit dazu eine Kollegin zu hängen?
Die Presse macht Druck, wie Fliegen umschwärmen sie den Tatort an dem Renée vom Opfer zur Täterin wurde.
Connelly baut seinen Roman geschickt auf, er packt gleich mehrere Fälle hinein, die aufgeklärt werden wollen und diesen Krimi zu besprechen ohne zu spoilern ist nahezu unmöglich. Langsam zieht die Spannung an, im letzten Drittel spitzt sich der Fall nach einer geschickten Wendung zu und ich komme kaum noch hinterher.
Mit Connellys Heldin habe ich gerne ermittelt, den Kopf eingezogen und aus der Deckung kämpft, habe mich mit ihr ihrem inneren Gerichtshof gestellt. Sie ist glaubwürdig als Figur, durch und durch integer, klug und versteht es sich gegen alle Widerstände in diesem Männer-Dschungel zu behaupten. Das riecht nach einer Fortsetzung und der Text fühlt sich auch am Ende nicht an wie der letzte Vorhang. The Late Show must go one …
Kampa kann auch Krimis. Aber, Hallo! Neben der Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk findet man hier eben auch einen Herrn Connelly. Sein Late Show ist eine Neuerscheinung aus dem Corona-Frühjahr 2020, hatte daher weniger Präsenz auf den Büchertischen und ich halte sie sehr gerne für alle noch einmal ins Licht, die gut gemachte Krimiunterhaltung suchen. Würde mich nicht wundern, wenn wir Renée einmal bei einem namhaften Streaming-Dienst begegnen würden. Also ich wär dabei …
Mein Dank geht den Kampa Verlag und Politycki & Partner für dieses Besprechungsexemplar.
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