Was ist das, das wir die Chemie nennen, die zwischen Menschen stimmen muss? Was spürt man da? Hormone, Pheromone? Jemand betritt den Raum und wir wissen, das passt oder auch nicht, da ist noch kein einziges Wort gesprochen. Wir reagieren sofort. Plaudern los oder zeigen die kalte Schulter. Was entsteht, entsteht und manchmal verbindet sich, was zusammen gehört, so wie bei dieser Autorin:
Yael van der Wouden, geboren 1987 in Tel Aviv, aufgewachsen in den Niederlanden, die in Utrecht vergleichende Literaturwissenschaft studiert hat, wo sie heute als Dozentin Kreatives Schreiben und ihr eigenes Studienfach lehrt. Vielfach preisausgezeichnet für ihre Essays und Kurzgeschichten, platzierte sie sich mit ihrem Debütroman <The Safekeep>, 2024 auf der Shortlist des renommierten Booker Prize.
Übersetzt hat dieses Debüt Stefanie Ochel für den Gutkind Verlag, herzlichen Dank für das Besprechungsexemplar, und seit dem 30.1.25, damit quasi noch druckfrisch ist er jetzt auch auf Deutsch erhältlich. <In ihrem Haus> titelt er und Nomen est Omen in diesem Fall. Ein Haus steht im Zentrum des Geschehens, ein Haus in dem sich Vergangenheit und Gegenwart treffen. Ein Haus, das verbindet und trennt. Ihr Haus. Das Haus, das erst einmal nur gefühlt das Haus von Isabel ist.
Ein Vorsatzblatt in Delfter Blau und mit Kachelmotiv empfängt mich in Yael van der Woudens Geschichte und während ich mich noch frage, was es damit auf sich hat, verschlägt es mich in die Niederlande und ins Jahr 1961, wo ich gemeinsam mit Isabel, der Hauptfigur, eine Porzellanscherbe, die offenbar zu einem Teller mit blauem Blumenrand gehört, vergraben im Garten unter den Wurzeln einer faulen Kürbispflanze finde:
In ihrem Haus von Yael van der Wouden
War das ein Bruchstück aus dem Lieblingsgeschirr ihrer Mutter, dem guten Geschirr, das nur zu ganz besonderen Anlässen auf den Tisch gekommen war, als diese noch lebte? Eine Vitrine hielt noch immer anfassende Hände von ihm fern, ließ nur Blicke zu. Isabel hielt es wie die einstige Besitzerin, auch wenn ihre Brüder sie damit aufzogen, sie bewahrte und hütete es wie einen Schatz, nur am Geburtstag der Mutter nahm sie es heraus, feierte mit ihm die Erinnerung an sie.
Fünf Teller waren es immer schon gewesen, solange sie sich erinnern konnte. Sonst war das Geschirr vollständig. Sie waren noch Kinder gewesen, als sie hier angekommen waren, kurz nach dem Krieg. Aus Amsterdam hatten sie weg gemusst und es gehasst. Damals. Sie und ihre beiden Brüder. Hendrik und Louis. Alle verängstigt, hungrig und ohne den Vater. Ihr Onkel, Karel, hatte alles organisiert und hier am Land dieses Haus für sie gefunden.
Nach dem Tod der Mutter war sie, Isabel, im Haus geblieben. Als seine Hüterin. Sie war eben die Ordentliche und auch ihr Leben so wohl geordnet. Anders als das der Brüder.
Louis war das Haus versprochen, sollte der Onkel einmal sterben, der aber kam und ging wie es ihm gefiel. War ein Windhund. Ein Charmeur und Lebemann. Kümmerte sich nicht um das Haus, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Duldete Isabel hier, die nicht wusste wohin, auch nicht mit sich.
Besser wäre, sie würde einen Mann finden, da gab es auch einen, aber die Avancen von Johan, der immer zudringlicher wurde, waren ihr zuwider und jetzt, als Louis, wieder einmal auf Abwegen, seine neueste Flamme bei ihr im Haus abstellte, Eva, reagierte sie feindseelig und abweisend.
Als im Haus Dinge verschwinden, hat sie zuerst das Hausmädchen im Verdacht, dann den Gast und die Spannung, die sich jetzt zwischen den Frauen aufbaut ist förmlich mit Händen zu greifen.
Diese Spannung ist es auch, die mich in Yael van der Woudens Debüt vorangetrieben hat. Da schwelt etwas, was mit dieser Scherbe und Isabels Vergangenheit zu tun hat, aber auch gerade jetzt im Umgang mit Eva, da knistert es.
Gegensätze ziehen sich an, sagt man und hier schlagen die gegensätzlichen Pole zweier Magneten bereits Funken, da ist man noch keine hundert Seiten weit gekommen.
Neue Orte, fremde Leute – nichts für sie. Isabel, der Sonderling eckt an. Versteckt sich. Ist am liebsten für sich, fühlt aber gleichzeitig allein gelassen. Als Eva sich förmlich aufdrängt, in ihr Leben eindringt, fährt sie wie ein Igel die Stacheln aus.
Die sich aufbauende Spannung schlägt um. Ein Begehen nimmt sich, was ihm zusteht und das macht es kein Stück leichter. Nicht für Isabel. Nicht für Eva.
Sinnlich und teils explizit erzählt van der Wouden von Isabels sexuellem Erwachen, davon, wie sie zunehmend an Selbstbestimmung gewinnt. Wie sie annimmt, dass sie sich mehr zu Frauen hingezogen fühlt. Das da mehr ist, als ein Verliebtsein. Wie sie betrogen wird, enttäuscht, verraten fühlt.
Tagebucheinträge bringen Licht ins Dunkel. Ihre Begegnung mit Eva war kein Zufall.
"Es brach Isabel das Herz, wenn sie daran dachte, wie ein Mensch einen Raum erschaffen, seine Abwesenheit ihn zerrütten, wie ein Ort einen Menschen vermissen konnte. Wie ein Mensch einfach ..."
Operation „Black Tulip“, das ist der Name der größten Vertreibungsaktion in der Geschichte der Niederlande. Deutsche und Österreichischstämmige, ihre Familienangehörigen, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1946 und 1948 aus den Niederlanden vertrieben. Ihr Besitz und Vermögen, in Summe etwa eine halbe Milliarde Euro, wurde durch die niederländische Regierung beschlagnahmt, das Ganze per Gesetz 1967 legalisiert. Betroffen waren nicht ausschließlich Nazi-Kollaborateure, sondern auch Holocaust Überlebende, die in die Niederlande geflüchtet waren.
Gleiches mit Gleichem vergelten. Vielleicht war das das Ziel. Menschen waren im KZ gestorben, Männer, Väter, deren Familien, die wenn sie lebendig zurückbleiben durften verarmten, verschwanden. Auch van der Woudens Geschichte wurzelt hier. Im Verschwinden.
Am 27. Januar haben wir zum 80. Mal der Befreiung von Ausschwitz gedacht. Die erschütternden Bilder zurückkehrender Menschen im Gazastreifen haben wir am gleichen Tag in den Nachrichten gesehen.
In ihrem Haus erzählt auch davon, von Vertreibung und Verschwinden, mahnt und erinnert. Ist eine Liebesgeschichte, nein eine Geschichte über die Liebe und die Fähigkeit zu lieben, die in jedem von uns angelegt ist. Auch das dürfen wir nicht vergessen. Im Erzählen gegen das Vergessen. Van der Wouden weiß das und Stefanie Ochel erhält für uns als Übersetzerin ihren sanften, traurigen Unterton. Ihre wunderschönen nachdenklichen Sätze.
Dieser Roman jetzt und gerade jetzt, wird das hoffe ich, nein ich bin zuversichtlich, er wird seine Leser:innenherzen im Sturm erobern. Weil er nicht nur für ein gegen das Vergessen steht, sondern auch das kann: Trost stiften, denn Vergebung und Versöhnung sind möglich. Nicht nur im Kleinen. Uns Menschen wurde schließlich beides gegeben: Herz und Verstand.
Schreibe den ersten Kommentar