Im Land der Wölfe (Elsa Koester)

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Mehr als zwei Drittel aller Bürgermeister:innen und Lokalpolitiker:innen sind regelmäßig Anfeindungen ausgesetzt. Häufig kommen Attacken aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum, in der Folge ziehen sich immer wieder Amts- und Mandatsträger zurück,  berichtete Ende Januar diesen Jahres die ARD Sendung Monitor. 

Irr- und Aberglaube, das vielfach genutzte Sinnbild des Wolfes für alles, vor dem wir uns fürchten ist noch immer intakt. Jetzt wo er zurück ist in unseren Wäldern, kommt vieles hoch was wir ihm angedichtet haben. Warum das Bild des Wolfes nicht verwenden für den Rechtsruck, den wir in unserer politischen Landschaft verspüren? Ganz und gar nichts Mythisches deutet Elsa Koester mit ihrem aktuellen Roman an, wenn sie auf den Wolf verweist, sie bleibt real und schaut empathisch auf das, was in ihrer Hauptfigur geschieht, die sich an einer Weggabelung sieht …

"jedenfalls bin ich jetzt hier, das solltest du wissen, damit es überhaupt jemand weiß. 
ich bin in grenzlitz, rand von sachsen,
rand der republik, ende der welt. gute nacht."

Textzitat Elsa Koester - Im Land der Wölfe

Im Land der Wölfe von Elsa Koester

Schreibt eine Schwester an ihren Bruder, nachdem ein Streit sie getrennt hat.

Schon die ersten Sätze dieser Autorin sagen mir, da will nicht jemand literarisch gefallen, hier tönt ein ganz eigener Sound. Frisch, frech, halb Textnachricht, halb Text oder E-Mailwechsel, hat mich Elsa Koester sprachlich gleich zu Beginn ihrer Geschichte überrumpelt.

Man hält Kontakt. Aber nicht mit Briefen. Dauert zu lange bis Antwort kommt. Es muss gleich Ping machen und dann Pong. Seine Bälle muss man immer in der Luft halten, so ist das hier. Sie fliegen, hin und her, die Worte, wie auch die Gedanken von Ariane, die keiner mehr so nennt, nur noch Nana. Die hier ist im Osten wegen Katja Stötzel, was sie nicht müde wird zu betonen.

In die Katja hat sie sich vielleicht verliebt oder in ihre Frisur. Weil die sitzt und weil ihre Augen so klug blitzen, aber in jedem Fall, weil die als Politikerin für den Kohleausstieg Gesetze gebrochen hat. Sich bei einer Demo hat wegtragen lassen. Passiv aggressiver Widerstand. So wichtig ist ihr das als Grüne, als Zukunftsgrüne, bei ihrem Kampf gegen den Klimawandel und die Blauen. Beim Wettrennen um das Bürgermeisteramt in Grenzlitz, dabei will Nana sie jetzt unterstützen. Als Coach und schon im Ertgespräch zieht sie ihr den Zahn. Den, das sie hier keinen Heimvorteil hat, auch wenn sie aus einem Dorf hier ums Eck kommt. Von der Oma einen Hof geerbt hat, mit sechs Schafen. Weil sie eben auch einen Wessi geheiratet hat und mit ihm lebt. Studieren war in Leipzig und der Welt, die sie jetzt offenbar herholen will. Ob die Grenzlitzer das auch wollen? Fragt sie provokant. So, oder Nö, Nuh oder Noh. Wie man hier ständig sagt. So einfach wie Katja denkt wird das nicht. Mit dem Sieg.

Dafür sorgt nicht zuletzt der politische Gegner. Der muskelbepackt und so daherkommt, dass Nana ins Grübeln gerät und nein, das hat sie jetzt nicht gemacht? Sich mit diesem Typen eingelassen! Falk Schloßer heißt der, seines Zeichens Social Media Assistent, des Blauen Kandidaten Paul Witte und dann das. Nicht falsch, sondern von den Falschen. Wird Nana verstanden …

Elsa Koester, geboren 1984 in Berlin, deutsch-französische Schriftstellerin, politische Journalistin und Aktivstin, arbeitet als stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung “Der Freitag”. Ihr Romandebüt »Couscous mit Zimt« legte sie 2020 mit der Frankfurter Verlagsanstalt vor. »Im Land der Wölfe« ist am 21.08.2024 ebenfalls in diesem Verlag erschienen. Ich darf mich für das Besprechungsexemplar bedanken, in das ich ohne ihr Debüt zu kennen gestartet bin. Beinahe sofort hat diese Geschichte mich eingesogen. Verstehen wollte ich, gespürt habe ich, wie schnell es gehen kann, das man die Seite wechselt, sprichwörtlich mit den Wölfen heult, ihnen wie das Rotkäppchen auf den Leim geht. Mitmacht ohne es aktiv zu wollen.

Sehr cool, sehr stilsicher und der Zeit den Puls gefühlt, hat die Autorin mit diesem Roman. Ihre Figuren sind on fire für ihre Ideen und Überzeugungen. Intolerant bis zum Anschlag und hassenswert die Gegenseite. Könnte stereotyp und schwarz weiß rüber kommen, tut es aber nicht. Als nahbar und echt habe ich ihr Personal empfunden. Eine leichte Lakonie bricht die inhaltliche Härte, schmunzeln über das eine oder andere Klischee ist erlaubt. Wichtiges Thema, toller Text.

Ihre Sätze, klingen nicht abwegig. Vielfach Leider. Dann etwa wenn es um die Idee geht, das Zuckerfest auf dem Marktplatz zu feiern. Eher wie Gedankenwirbel, aufzählend, sich windend. Kommas wimmeln in ihnen. Unterdrückte Wut. Wahlkampfstrategien. Wie verkauft sich die eigene Idee, die eigene Kandidatin am Besten? Parteiinterne Quereelen. Kompetenzgerangel und Kleingeisterei. In einer Kleinstadt.

Rotkäppchens Wald und sirrende Stille. Ein Kuckuck ruft heraus. Baumhäuser nebst Komposttoilette (alles Öko) und eine Rauszeit. Am Limes. Der Schein trügt. Zwanzig Prozent der Bäume sind schon tot. Zu warm, zu trocken, der Borkenkäfer.

Will die Partei jetzt geschlossen das die Katja gewinnt oder das die Katja gewinnt? Auch der Kurt? Nana stellt Fragen. Sich und den anderen. Ideologien werden abgeglichen. Partner ausgelotet und verworfen.

Aus Görlitz, an der ostdeutschen Grenze zu Polen gelegen, wird im Roman die Stadt Grenzlitz. Elsa Koester verlegt ihr, das Erleben, einer erstarkendrn AfD in Görlitz hierher und verbindet es mit einem Wahlkampf. Was ihre Geschichte zu einer politischen macht, aber nicht nur. Sie schaut insbesondere auf die handelnden Figuren, im Besonderen auf Nana, ihre Coachin, das Berliner Großstadtgewächs, das eigentlich auch aus einer Kleinstadt stammt, und der irgendwie sowohl die Verbindung zum kleinstädtischen, als auch zu sich selbst abhanden gekommen ist. Sie hat verlernt ihr Inneres fließen zu lassen, was man auch daran merkt, dass sie keine Kleider mehr trägt, sondern sich mit Hosenbund und Gürtel teilen und strukturieren muss, um sich wohlzufühlen. Klingt schräg, fand ich auch und darüber hinaus kommt sie ganz schön ins Schlingern, was ihre Überzeugungen und ihren eigenen Lebensentwurf anbelangt.

Koester erzählt mit leichter Hand, ihr Text liest sich rasch weg und man, also ich verlasse ihn mit einem Lächeln im Mundwinkel und einer Träne im Knopfloch. Das Lächeln trage ich seit Seite eins, es ist ihrem Humor geschuldet, der mir sehr lag. Ihre Seitenhiebe auf typisch grüne Tugenden, Ideale, Projekte, Veganer und anderes was dieser Tage en voque ist haben mir Spaß gemacht. Sorry not sorry. Die Tränen kommen mir, wenn ich Koesters Gedanken an eine blaugeprägte politische Landschaft weiter verfolge, am liebsten würde ich sie als fiktiv abtun, geht aber nicht, weil ist schon real. Darüber kann auch das liebenswerte Augenzwinkern nicht hinwegtäuschen mit dem sie ihr Personal und ihre Szenen zeichnet. Dieses Wechselbad der Gefühle macht für mich ihren aktuellen Roman lesenswert und ich empfehle ihn gerne allen, die frischen Wind in der Gegenwartsliteratur suchen und auch denen, die sich Fragen stellen:

Vermag die Politik noch die Menschen zu erreichen? Wie lange glauben wir daran, dass es schon nicht so schlimm kommt? Vor Kurzem erst habe ich Paul Lynchs Roman Das Lied des Propheten beendet, ein Hörbuch-Highlight für mich in diesem Jahr, und mich genau das gefragt. Habe auf mich selbst geschaut, wie zögerlich ich manchmal bin und nicht wahrhaben will, dass sich nicht mehr kitten lässt, was da am Boden liegt. Stoffe wie diese treiben mich aktuell um. Besorgt ich bin, wenn ich mich in unserer Gesellschaft umschaue, auf das was ich in nächster Nähe in meinem Alltag erlebe, auf die tagesaktuellen Nachrichten.

Es braucht denke ich solch starke Bilder, eine starke Sprache. Koester wird persönlich und erzählt auch davon, wie sich Vergangenheit mit Zukunft verbindet und das es keine Zukunft ohne Vergangenheit gibt. Von Geschwistern die eine gemeinsame haben. Eine Vergangenheit. Eine nicht immer rosige. Eine mit Rissen und die jetzt einen Bruch vor sich haben. Den sie gemeinsam überwinden müssen.

Koesters Ende ist offen wie das Leben selbst. Gerne habe ich ihren Gedankenfaden aufgenommen und ich wünsche Nana, das sie ihren Weg findet. Go for it!

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