Freitag, 29.11.2019
Der Morgen dämmert. Dunkle, schwarze Regenwolken, massiv wie Bergketten, grau und bedrohlich, ziehen über den Himmel. Am Horizont erkenne ich einen Lichtschein. Schwach noch. Der Tag zieht herauf und mit ihm wird die Sonne ihren Lauf nehmen, für uns sichtbar, Licht spenden und Wärme. Wachstum ermöglichen. Neben dem Wasser ist sie es, die uns das Leben erhält. Sie kann aber auch anders, grausam sein. Alles was grün ist und gut verdorren lassen. Diejenigen, die ihr zu nah kommen, verbrennen …
“Unter der glatten Oberfläche des vertrauten wartet etwas anderes darauf die Welt in Stücke zu reißen.”
Textzitat Madeline Miller
Ich bin Circe von Madeline Miller
Circe, Tochter eines Titanen und einer Nymphe. Tochter der Sonne, Tochter des Wassers. Ihr Vater wirkt alles überstrahlend. Ihre Mutter klug, schön und bestimmend. Sie und drei Geschwister gehörten zu Circes Leben, dies ebenso, wie es in ihm von Tanten nur so wimmelte. Sie selbst war neugierig, mutig und war jetzt zum ersten Mal verliebt, ausgerechnet in einen Sterblichen, in einen einfachen Fischer, für den sie bereit war weiter zu gehen, als es ihr erlaubt ist. Weiter zu gehen, als es ihr gut tut und zunächst schöpfte niemand auch nur Verdacht. Schöpfte Verdacht, als sie ihre erste Verwandlung vollzog. Nie schöpfte man im Grunde Verdacht, denn ihr, der Halbgöttin der untersten Klasse, traute man das, traute man nichts zu …
Aufsässig, hochnäsig und minderwertig. Das schleuderte ihr der Vater entgegen und nicht nur das, er verbrannte sie. Verbrannte sie mit seinem rasenden Zorn und sie floh, floh aus dem Palast in den nahen Wald. Dessen Kühle und Schatten ihr Linderung versprachen …
Madeline Miller, geboren 1978 in Boston ist in New York aufgewachsen. Sie studierte Altphilologie und hat in Cambridge Latein und Griechisch unterrichtet. Ich bin Circe ist ihr zweiter Roman und die Frau weiß eindeutig wovon sie da schreibt. Wir fahren mit ihr im Sonnenwagen von Helios, werfen einen Blick auf unsere Erde, die blau und schimmernd unter uns liegt. Bestaunen Flüsse, Berge in ihrer Schönheit und erleben eine Lehrstunde in Geschichte und Mythologie der besonders unterhaltsamen Art.
Ich bin dem Hype in diesen Roman gefolgt, dem Hype und der Neugier wie man es schaffen kann, eine uralte Götterwelt so zu renovieren, das die Geschichte einem förmlich aus den Händen gerissen wird.
Vielleicht ist das so, weil Miller es schafft, das man mit dem von gehässigen, von schönen Geschwistern, ständig hoch genommenen hässlichen Entlein mitfühlt. Man hört ihr klirrendes Lachen, klar wie Wasser, ebenso wie die sie umgebenden Götter, die ständig in Streit geraten und eine neue Ordnung blutend erstreiten.
Vielleicht ist es auch deshalb so, weil wir von Kräutern und Hexenkunst erfahren und davon, wie Circe ihre Gabe und ihre Bestimmung findet. Mehr Zufall als Absicht, die Folgen verheerend. Bis sie lernt ihre Talente zu beherrschen, fürchtet man sie längst und meidet sie …
Die einzig logische Konsequenz lag da in der Verbannung. Eine andere Möglichkeit die kräuterkundige Circe im Zaum zu halten sah man nicht. Ihre Einsamkeit wurde zunächst nur durch ein paar Annehmlichkeiten gemildert, durch ein Haus, das sich selbst reinigte, seine Vorratsspeicher auffüllte. Ein Haus, das umgeben war von einem üppigen Wäldchen mit allerlei Gehölzen, auf einer Insel mit Obstgärten, Weinbergen und zahlreichem Getier. Das Ziel, Circe von Kräutern fernzuhalten verfehlte ihr Los als Verbannte aber eineindeutig. Ihr Durchhaltevermögen und ihre Kreativität hatte man ganz klar unterschätzt. Zu einer mächtigen Hexe bildete sie sich aus. Ihre Gabe die Kunst der Verwandlung, führt sie hier zur Perfektion, wählt sich eine Löwin als Gefährtin … Millers Circe ist eine facettenreiche Figur, der man gerne durch dieses Abenteuer folgt und man erlebt mit, wie aus einem naiven Mädchen eine selbstbestimmte, eine mächtige Frau wird. Liegt hier der Reiz der Geschichte?
Oder doch hier? Die Geburt des Minotaurus! Wieder sind wir live dabei. Ikarus und seine Flugversuche, nicht ohne uns! Täuschung und List? Wir treffen auf Medea, Jason und Das goldene Flies. Blut klebt an ihren Händen. Der Krieg um Troja. Wir erfahren aus erster Hand von Belagerung und Kampf. Von Siegen unter großen Verlusten. Sirenengesang und ein Abschied in kalter Gischt, da sind wir gerade noch so davon gekommen!
Schließlich gilt es ja noch unerwartete Besucher zu empfangen, unter ihnen Hermes der Götterbote, der eine Prophezeiung überbringt. Einen Mann, einen Seefahrer, soll es an unser Ufer spülen … Schicksalhaft soll diese Begegnung werden.
Nein, ich glaube, mir hat die Geschichte am besten gefallen, weil man lernen kann, das der Kampf gegen Monster, die man selbst erschaffen hat, der schwerste ist. Da helfen auch Gift und Zaubertränke nicht, oder der Stachel eines mächtigen Ungetüms. Auch keine Furien, die mit glühender Peitsche aus den Feuern der Hölle aufsteigen.
Dann dieser Hauch des Schicksals, Aufstieg und Fall, Bosheit und Grausamkeit. Die Liebe einer Mutter, Angst und ein Schleier, der sich lüftet, der das Antlitz der Wirklichkeit entblößt. Mit aller Macht und aller Kraft, stemmt sich Circe gegen die Mächtigen. Gegen Athene, die Tochter des Zeus. Welche Wahl wird sie treffen, wenn man sie ihr stellt?
Was hat mich noch begeistert? Ganz eindeutig das märchenhafte Gewand, in das Madeline Miller die griechische Götterwelt hier hüllt. Sie setzt Circe als Ich-Erzählerin ein, die uns alle wichtigen Figuren in diesem Spiel vorstellt. Mit ihr blicken wir auf Götter und auf Menschen, auf Untaten und Ungeheuer. Auf Worte die Feuer fangen, Helden die schwach werden, starke Frauen, erbarmungslose Väter, grausame Mütter und verlorene Töchter. Und Miller sorgt dafür, das wir uns in dieser Mythenwelt gut zurecht finden, sie ist uns Kompass und Wegweiser. Erschafft so eine Geschichte, die aus der Fantasy kommen könnte, wüsste man nicht wo ihre Wurzeln liegen, die tief in einer Sagenwelt verankert ist und die jetzt entstaubt und poliert vor uns liegt, mit Sätzen die glänzend funkeln:
“Jetzt da Medea meine Einsamkeit laut ausgesprochen hatte, baumelte sie klebrig wie Spinnennetze vor meiner Nase und ich entkam ihr nicht … Das alt bekannte Gefühl kehrte zurück, das ich jeden Augenblick meines Lebens eine Närrin gewesen war.”
Textzitat Madeline Miller
Lasst Euch becircen, so wie ich, ein klein wenig, oder auch ein klein wenig mehr. Aber gebt acht auf Euch, vor allem ihr Männer, denn man ist ganz schnell ein Schwein und das meine ich in diesem Fall wörtlich …
Anne Viehl, liest die Hörbuch-Fassung und sie ist mir als Sprecherin eine Hassliebe gewesen. An so mancher Stelle hat sie es für mich übertrieben, war zu deklamierend, zu piepsig und zu aufgeregt, bei den männlichen Stimmen nicht glaubwürdig. Ein Odysseus etwa kommt da für mich nicht richtig rüber. Den Zickenkrieg und das Gezeter der Weiber, sorry Göttinnen, ihre hochtrabende Art hingegen, hat sie sehr gut getroffen. Zornig wettert sie auch als Circes Schwester überzeugend und gekonnt, ich ziehe den Kopf ein und höre mich rufen “haltet ein”. Auch was Circes Verletzlichkeit angeht, da kriegt sie am Ende noch gut die Kurve. Ein Glück für Sätze wie diesen hier …
“Natürlich greift mein Fleisch nach der Erde, denn dort gehört es hin … So fühlt es sich an, wenn man in der Flut schwimmt, wenn man auf dem Antlitz der Erde wandert und spürt wie sie unsere Füße berührt. So fühlt es sich an, wenn man lebt.”
Textzitat Madeline Miller
Liebe Angela, da freue ich mich gleich doppelt! Einmal über Dein Lob, lieben Dank dafür, und darüber, dass ich eine so belesene Bücher-Freundin noch “becircen” kann. Komm gut durch Vorweihnachtszeit. LG von Petra
Hallo Petra, ich habe mir das Buch aus der Bücherei ausgeliehen und habe nicht vor es zu besprechen. Aber Deine begeisterte Rezension hat mich nun auch becirct, es vor allen anderen bereit liegenden Rezensionsexemplaren zu lesen und für mich zu geniessen. Ich hoffe, DU hast einen wunderbaren 1. Advent …
GLG Angela vom Literaturgarten.