Es muss etwas mehr als ein Jahr her sein, da lief mir in der Nacht auf dem Heimweg vom Spätdienst eine Gruppe Rehe vor mein Auto. Erschrocken stieg ich auf die Bremse und erwischte das letzte, das kleinste Tier. So dachte ich. Auf der menschenleeren Landstraße die auf diesem Abschnitt durch den Wald führt und linker Hand eine Lichtung hat, stieg ich aus dem Auto. Bang vor Erwartung was ich da vor meinem Reifen finden würde. Nichts. Das Tier war fort und ich lauschte in die Dunkelheit, meinte ein Fiepen, ein Wimmern zu hören. Mir war hundeelend. Zuerst rief ich die Polizei an, dann meinen Mann. Gemeinsam und mit Taschenlampen bewaffnet suchten wir den Waldrand ab. Fanden das Tier nicht. Die netten Polizisten übernahmen, kontaktierten den zuständigen Förster. Ich schlief die ganze Nacht nicht und noch immer, wenn ich an dieser Stelle vorbei muss, habe ich eine Gänsehaut. In dieser Geschichte alles was folgt ebenfalls mit einem Wildunfall …
Hier draussen von Martina Behm
Mitten in der Nacht, auf dem Heimweg von Hamburg nach Fehrdorf hat Ingo einen Zusammenstoß. Mit einer weißen Dammhirschkuh, die lag danach auf seiner Motorhaube, lebte noch und der herbeigerufene Jäger, starr vor Schreck, wollte sie nicht allein erschießen.
Denn, wer einen seltenen weißen Damhirsch tötet, der muss selbst sterben. Im Lauf des nächsten Jahres. So sagt man das hier. So war das.
Die beiden Männer beschließen gemeinsam den Schuß auszulösen und ab da, ab jetzt, übernahm das Schicksal die Regie. So ist das.
Weiche Knie und Jägeraberglaube. Landleben wider Willen oder aus Überzeugung?
Legehennen, aggressive Hähne und Hippie Frauen. Die hoffentlich Rat wissen und Seminare geben, die vormachen, wie man Hühner schlachtet.
Eheleute, die die Liebe verloren haben. Zueinander. Die Geduld miteinander. Milchviehhaltung, Schweinemast und ein Scheibenwischerhandel nebst Onlineshop, der ist pleite. Der Blick zurück soll helfen zu klären. Was unklar ist. Seit dem Umzug zwischen Lara und Ingo und überhaupt.
Eine Alleinlage ist eben nicht nur romantisch, sondern kann auch Angst machen. Dann, wenn man allein ist, in einem großen Haus. Einbruchserien bei Nachbarn und in Nachbarorten sind da wenig hilfreich. Ein Hund muss her. Der von Lara und Ingo heißt Cookie und ein neues Problem tut sich auf, wenn Lara mit ihr am Abend noch mal raus muss. Weil es ist ihr Hund und schlecht erzogen. Sagt Ingo. Der, der nie da ist und sich an nichts im Haus beteiligt was zu tun anfällt. Der nicht einmal den Müll rausbringt.
Mit diesem Ingo möchte man nicht verheiratet sein. So ein Patriarch! Man sollte doch meinen die seien inzwischen ausgestorben?! Wann war es anders geworden zwischen ihnen beiden? War es das je gewesen? Anders. Doch.
Gleich nach den Kindern hatte es angefangen, daran erinnert sich Lara. Das Anders werden. Verstanden hatten sie sich einmal. Blind und auf allen Ebenen. Gesehen hatten sie einander. Klar und deutlich und gerne. Jetzt richtete sie sich nur noch nach ihm. Vor allem seit sie hier draußen wohnten und er, der unentbehrliche Chef, täglich nach Hamburg rein pendelte.
Chat Gruppe Osterfeuer-Orga. Sich einbringen. Um dazuzugehören. Das Abseits der Zugezogenen verlassen. So der Plan. Der von Lara. Am einfachsten geht das über die Kinder. Oder?
Martina Behm, studierte Volkswirtschaftslehre, ist ausgebildete Journalistin und international bekannt als Strickdesignerin, lese ich auf der Seite ihres Verlages (DTV). Sie lebt in Schleswig-Holstein, ist Mutter zweier Teenager und ›Hier draussen‹ ist ihr Debütroman. Kaum zu glauben, so lässig und authentisch wie er daherkommt. So, dass ich mich am Ende auch nach einer Möglichkeit umgeschaut habe, in diesem Dorf und hier draussen unterzukommen.
Wo man “Moin” sagt zu jeder Tageszeit. Lieber den Angel- oder Jagdschein macht statt einen Meditationskurs.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen, eine Geschichte, eine Vergangenheit im Gepäck, auch hier draussen und davon erzählt Martina Behm. So, dass ich abschalten und den inneren Film vor mir ablaufen lassen kann, weil aus ihren Sätzen ganz automatisch Bilder werden.
Waldmäuse in der Falle, Baby-Bier und ein Scheunenfest. Das traurig endet bevor es beginnt. Mit Traditionen bricht man nicht. Hier draußen schon gar nicht.
Was bisweilen amüsant klingt bedeutet Zwang und Stress und auch ein Bauer kann einen Burnout haben. Sich Sorgen machen, wie man rumkommt, mit so einem Hof, dafür gibt es Gründe genug. Auch solche, die vor der eigenen Ehefrau verborgen bleiben, die ihrerseits ständig im Tun und Machen ist.
Jeder kennt jeden. Meint man. Irgendwie. Martina Behm fängt perfekt Stimmung und Geschehen ein. Ihre Figuren haben Fleisch an den Knochen und verdienen das Etikett “lebensecht”. Mit herrlich pointiertem Ton, die Dialoge nordisch klar und wortkarg, erzählt sie uns im Kern von einem Ehepaar, das beschließt Hamburg, die Stadt, hinter sich zu lassen und sich dem Landleben zuzuwenden. Ein Paar, das nach dem Unfall mit dem Hirsch mehr zu hinterfragen hat als vorher schon. War es im Grunde nur einer von ihnen gewesen, der diesen Schritt ins Landleben hatte gehen wollen? Was hatten sie noch gemeinsam? Nach dem Kennenlernen und im Zusammenbleiben.
Immer wieder springe ich hinein in ein Gestern. In das einzelner Romanfiguren, die miteinander verbunden werden. In eine Zeit, in der sie noch jung waren Uwe, Sönke, Maggie, Jutta, Armin und die Anderen. Erfahre mehr von ihren Lebensplänen, Träumen, Neuseeland und vom Ankommen in einer neuen Lebenswirklichkeit, nach Schule und Ausbildung. Ihre Wege waren vorgezeichnet? Vielleicht auch das.
Die Figuren, die diesen Roman bevölkern, haben mich, den Dörte Hansen Fan, an ihre Geschichten denken lassen und kurzweilig und aller bestens unterhalten. Wiedererkannt habe ich mich, ein Stück Heimat in Behms Text gefunden.
Das durch ihr Personal, das ist so gestrickt, dass man mitfühlen kann, manchmal aufschreckt, Gedanken teilt und nicht nur im Außen verbleibt. Diesen Roman hatte ich unterschätzt. Wie bei Isabel Bogdan, die sich auch stets anschleicht, ist er mehr als unterhaltend, auf eine ganz unverschämt unauffällige Art und Weise. Ich glaube genau deshalb habe ich ihn besonders gern gemocht. Merci, Martina Behm für dieses Erzählen. Von Tag und Alltag, von Kleinem und Großem, von Freundschaft, die dort entstehen kann, wo man sie am Wenigsten erwartet.
Gut und gerne hätte ich noch mehr Zeit hier draussen verbracht. Weil, wenn es hier noch nicht so ist, wie man es sich wünscht, dann sieht man mal. Weil es eben kommt wie es kommt. So ist das. Der neue Tag sorgt für sich und wir sorgen uns umeinander. Das wäre schön.
Nicht nur hier draussen. In Fehrdorf.
Julia Nachtmann hat ungeheuer empathisch die sehr gelungene Hörbuchfassung von Behms Roman eingelesen, die ich deshalb ebenfalls sehr gerne empfehle. Rund vierzehn Stunden lang ist man mit ihr im Hamburger Umland unterwegs. Nicht nur den Landeiern unter uns wird das gefallen. Aber auch. Trust me.
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