Das Game (Joseph Incardona)

Sie heißen Deutschland sucht den Superstar, The Bigest Loser, Germanys next Topmodel, The Voice of Germany, Das Supertalent oder Das Dschungelcamp. Shows die zur besten Sendezeit, Menschen wie du und ich, oder auch gefallene Stars in Szene setzen. Pushen. Verhöhnen auch. Wir schämen uns fremd und schauen doch hin. Diese Konzepte, sie funktionieren vielfach auf dem Grundsatz der Schadenfreude und des Voyeurismus. In dieser Geschichte heißt ein neues Showkonzept einfach nur Das Game und die gestellte Aufgabe klingt lösbar, weswegen es reichlich Bewerber gibt …

Das Game von Joseph Incardona

Ein Wildschwein. War aus dem Nichts aufgetaucht. Im Grunde hatte sie nur den Aufprall gehört und gespürt, da schlitterte sie auch schon mitsamt ihrer Hähnchenbraterei auf Rädern in den Straßengraben. Gerade noch so konnte sie sich aus dem Fahrzeug retten, bevor es und die vom Tag über gebliebenen Brathähnchen Feuer fingen.

Der Unfallverursacher, eine Bache, lebte noch. Was fürchterlich war. Zu allem Übel auch noch das. Auf der Kippe hatte ihre Existenz schon vor diesem Unfall gestanden, der Totalschaden ihres Verkaufswagens war jetzt aber der Dolchstoß und sie musste zusehen, wie sie sich und Léo, ihren Sohn, dreizehn, jetzt durchbrachte. Die Versicherungssumme, auf sie setzte sie jetzt alle Hoffnung.

Der eintreffenden Polizeit verweigert sie einen Alkoholtest. Die Versicherung allerdings besteht auf einem Drogentest und der Joint, den sie zum Feierabend hin geraucht hatte, was nicht hilfreich ist, ist leider noch Tage nach dem Unfall nachweisbar. Für die Versicherung sagt ihr Blut die Wahrheit und man verweigert mit Verweis auf das Kleingedruckte eine Ausgleichszahlung.

Sie ist ruiniert und als Léo begeistert eine Idee liefert, kann sie sich nicht überwinden. Aufmerksamkeit erregt gerade aller Orten der Kandidatenaufruf einer neuer Fernsehshow, die schlicht nur <Game> heißt und ganz in der Nähe stattfinden soll. Dem Sieger winkt ein Preisgeld in Höhe von 50.000€ und sie könnte doch als Teilnehmerin aus der Region einen Zuschauerbonus haben.

Die Aufgabe, die es zu bewältigen klang simpel. Es wird ein Auto zur Verfügung gestellt, das muss man mit einer Hand anfassen und darf es ab da nicht mehr loslassen. Wer am längsten durchhält gewinnt. Dieses Auto. Et voilà!

Anna weigert sich standhaft. Léo inistiert und bewirbt sich, ohne ihr Wissen, für seine Mutter. Die kommt tatsächlich in die engere Auswahl, wird angeschrieben, lehnt ab. Empört sich.

Als ihr Sohn dann allerdings ihren Hanfanbau (den für den Eigenverbrauch) entert und an seiner Schule damit zu handeln beginnt, eher aus Notwehr denn aus Geldgier, damit auffliegt und auch noch der Selbstmord eines Bekannten und Geschäftspartners bekannt wird, sagt sie schließlich zu.

Sie will das Pech, das seit dem tödlichen Surfunfall ihres Mannes an ihr klebt abschütteln. Endgültig. Vielleicht wieder zurück nach Kalifornien. Wenn sie denn gewinnen sollte.

Joseph Incardona, geboren 1969 in Lausanne, Schriftsteller und Drehbuchautor lebt heute in Genf. Neben Romanen veröffentlicht er Kurzgeschichten, Theaterstücke und Comics, 2014 führte er zusammen mit Cyril Bron Regie bei Milky Way. Inside the buisiness gewesen zu sein hat ihm sicherlich dabei geholfen, so über eine Fernsehshow und unsere Mediengesellschaft zu schreiben. Er tut das auf französisch, den Übersetzungsauftrag hat Lydia Dimitrow angenommen und sie bringt die Schärfe und Ironie dieses Textes auch im Deutschen zum Strahlen.

Erschienen und noch druckfrisch ist der Titel im Lenos Verlag, der auch diesmal wieder ein hübsches kleines Hardcover gestaltet hat. Mein Dank geht raus für dieses schmucke Besprechungsexemplar aus der Reihe Polar. Elf Auszeichnungen zähle ich, hat Incardona für diese Geschichte eingestrichen, die im Original Les Corps solides heißt und den Ausflug der ehemals wagemutigen Surfsportlerin Anna, die einst auf acht Meter hohe Wellen ritt und heute in Angst und Sorgen lebt, in die Welt des schönen Scheins beschreibt.

Im ersten Drittel des Romans dachte ich noch, okay, wo kommen jetzt diese vielen Auszeichnungen her? Das fühlt sich für mich noch nach keinem must read an, da wendet sich das Blatt als Anna für die Teinahme an der Show zusagt.

Incardona spielt mit ihren Hoffnungen, zieht die Spannungsschraube an und verhandelt geschickt die unterschiedlichsten Themen ohne seine Geschichte damit zu überladen. Mobbing in der Schule, Übergriffigkeit, Gewalt und Drogen, den Umgang der Medien mit den Kandidat:innen. Den Umgang untereinander in gnadenlosem Konkurrenzdenken.

Das tut er bissig, zynisch, teils karikativ überzeichnend und insbesondere in Bezug auf die Medienschaffenden, deren Sponsoren und Einflussnehmer, politisch Verantwortliche, die nach einer neuen Perle für ihre Krone suchen. Ihr teils erpresserisches Gebahren, aber auch unser Konsumverhalten nimmt er in den Blick. Er schaut darauf, wie sehr wir uns von Werbung und der ganz großen Show manipulieren lassen. Wie unreflektiert wir vieles aufnehmen. Manchmal, ohne es zu bemerken, was wir da zu sehen meinen als unsere Meinung übernehmen. Er spielt mit dem Schein, dem Zusammenschnitt. Dem was wir sehen, annehmen und glauben sollen.

Kaum hat das Spiel begonnen wird klar wie unmenschlich es ist. Zwanzig Kandidaten müssen schlafen ohne zumindest eine Hand von diesem Van zu nehmen. Es gibt drei Verpflegungspausen, in denen ein Helfer für kurze Zeit die Bühne betreten darf. Fällt dieser aus, fällt auch die Verpflegung weg. Diese Pausen sind die einzige Zeit, in der Flüssigkeit aufgenommen werden darf und auch die Pinkelpausen sind streng limitiert und werden bestimmt,. Die Folge Krampfanfälle, Dehydration, Koma, der Notarzt kommt gleich mehrfach und man macht doch weiter. Nimmt die Gesundheit der Teilnehmer weniger wichtig als die Tatsache, dass die Sendung jetzt schon, in ihrer Halbzeit, mehr Zuschauer bindet als das seinerzeit das WM-Finale schaffte.

Sympathien und Antipathien des Publikums teilen sich auf. Während die Kandidaten erbittert konkurrieren, sich beschimpfen und ebenfalls manipulieren. Man geht an seine Grenzen und darüber hinaus. The show must go on.

Léo kämpft derweil seinen eigenen Kampf. Erhält eine Nachricht, die einen Schatten, aber auch Licht wirft auf die Beziehung zwischen dem Vater und der Mutter, auf den Tod des Vaters. Er prügelt sich, wird geprügelt, steht seiner Mutter bei. Kommt nicht mehr klar.

Das Spannungsbarometer steigt, Emotionen stauen sich auf, es fühlt sich nach einer Bombe an, jederzeit hochgehen kann. Anna beginnt mehr und mehr umzuschauen, wie sich Publikum und Moderator verhalten. Wie sich die Spieler für diesen Preis erniedrigen, demütigen lassen. Joseph Incardona, zeigt auf das in uns allen ein Monster schläft und weckt in seiner Geschichte mehr als eines auf.

Das Ende der Show naht, die Veranstalter werden ungeduldig, zu lange, ganze sieben Tage schon haben die Teilnehmer ausgehalten, die letzten drei. Unter ihnen soll es sich jetzt entscheiden.

Dieses Ende ist es, mit dem ich dann gehadert habe. Es ergibt Sinn, aber es wirkt auch wie eine Vollbremsung und schleudert mich förmlich aus dem Text. Hätte ich mir einen anderen Ausgang gewünscht? Ich glaube schon. Passt er in den Kontext? Tatsächlich ja. Das nenne ich mal ein Dilemma. Eines das clever ist, wenn vom Autor beabsichtigt. Falls nicht, dann auch.

Verfasst von:

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert