Körper aus Licht (Jennifer Down)

Nachricht für Holly. Eine Facebook-Nachricht. Sie kommt aus Australien. Das erkennt sie am Profilbild des Absenders sofort. Wir schreiben das Jahr 2018 und diese Nachricht führt seine Empfängerin nach 1973 bis 1998 und dorthin, nach Australien zurück. In ein Leben vor ihrem Leben.

Körper aus Licht von Jennifer Down

Es ist die Nachricht eines Mannes und sie trifft Holly bis ins Mark. Dachte sie doch, sie sei ihrem alten Leben entkommen. Jetzt suchte dieser Mann nach ihr. War noch in dem Glauben, sie könne einer Ähnlichkeit wegen die Schwester einer Verschwundenen sein.

Langsam und in Teilschritten, wie bei einer Hypnose laufen wir ab jetzt mit Holly rückwärts. Stolpern durch zumeist schmerzhaftes Erinnern.

Ihre Mutter starb, da war sie zwei und Holly hieß noch Maggie. Ihr Vater, drogenabhängig, wird verhaftet und sie landet erst bei Verwandten, dann im Heim und in Langzeitpflege. Das erste Mal, sie war vier Jahre alt, vergeht sich ein Onkel an ihr.

Jennifer Down, geboren 1990, studierte Kunst, professionelles Schreiben und Lektorat. Die in Naarm/Melbourne lebende Down hat als Herausgeberin und Übersetzerin gearbeitet und schrieb sich als Autorin 2014 mit ihrem Debütroman Our Magic Hour auf die Shortlist des Victorian Premier’s Literary Award. Für Körper aus Licht (Bodies of Light aus dem Jahr 2021), ihren zweiten Roman, wurde sie 2022 mit dem Miles Franklin Literary Award ausgezeichnet, dem größten Literaturpreis Australiens.

Körper aus Licht ist in der deutschen Übersetzung von Claudia Voit bei Ullstein erschienen und die ungekürzte Hörbuchfassung dazu bei Hörbuch Hamburg. Es liest die Schauspielerin Jodie Ahlborn aufwühlende fünfzehn Stunden und dreiundfünfzig Minuten lang. Man folgt ihr atemlos und versucht nicht zu verzweifeln, angesichts dessen was ihr die Heldin dieser Geschichte in den Mund legt.

In einer Wohngruppe war es der Tennislehrer der dafür sorgte, dass die bösen Mädchen den Mund hielten, es sind die bei denen er sich bedient, von denen er sich bedienen lässt. Denen er droht. Denen er weh tut. Die aus Scham schweigen. Die sich sicher waren, dass niemand ihnen glauben würde.

Damals hieß sie Maggie, begegnete so vielen Männern, die sie als Freiwild betrachteten

Herumgereicht von Pflegefamilie zu Wohngruppe, von Wohngruppe ins Heim, kommt sie mit fünfzehn Jahren bei Judith an, die alleine lebt und die es gut mit ihr meint. Ein Job im Kino und zum ersten Mal Freundinnen, verliebt sie sich in einen Elektriker, der ist dreiunddreißig und ihrer bald überdrüssig.

Dann ein Unfall, im Drogenrausch. Der Absturz einer Freundin. Ein Kurzschluß und nach einer kurzen Zeit des Glücks erneutes Unglück. Pflegemutter Judith erleidet einen Schlaganfall. Sie kann sich nicht mehr kümmern, der Kontakt reisst ab.

Brombeermarmelade und Lyrik, ein Job in einer Bibliothek, einer als Kellnerin, halten Sie über Wasser. Sie fängt ein Studium an, hört wieder auf. Besorgt ihre Akte. Liest sie. Erleidet einen Nervenzusammenbruch. Landet in der Psychatrie. Ihre WG-Freundin komplementiert sie hinaus. Zu viel. Zu schwierig. Zu beschwert. Der Umgang mit ihr. Alles. Sie fängt sich und wieder einmal neu an. Mit neunzehn. Verliebt sich erneut. In Damien. Der ist einer von den Guten. Sie ist sich sicher.

Sie heiratet ihn. Ist glücklich. Erwartet ein Kind. Mit einundzwanzig. Verliert dieses Kind. Da ist es zwölf Wochen alt. Verliert sich. Entfremdet sich. Rauft sich wieder mit ihm zusammen. Eine Auszeit später ist sie erneut schwanger.

Ein Leben auf Talfahrt. Kaum meint man, jetzt wird alles gut, reisst Jennifer Down das nächste Loch auf, in das ihre Protagonistin stürzt. Erzählt mit teils drastischer Sprache, in dramatischen Bildern, mit der großen Pauke, dann wieder sanft, traurig und nachdenklich, liefert uns ein Wechselbad der Gefühle. So einiges müssen wir aushalten als Lesende. So wie ihre Protagonistin, die sie nicht schont.

Dieser Roman kann einem nicht gefallen im herkömmlichen Sinn, weil nicht schön ist was er erzählt. Er kann überfordern, triggern und oder beeindruckenden angesichts des Leidensdrucks der hier in nur eine einzige Geschichte verpackt wird. Allen Tiefschlägen zum Trotz entwickelt sich diese junge Frau zum Stehauffräulein, bis hin zu einer Flucht in eine neue Identität. Allerdings spürt Mann sie auch hier auf. Da will die Leserin, die ich bin, sich am liebsten Augen und Ohren zuhalten. Aufhören auch. Weil es mir zuviel wird. Zuviel Elend. Zuviel Tiefschläge. Zuviel Gemeinheit.

Mit acht Monaten starb auch ihr zweites Kind. Sie wird ein drittes Mal schwanger, verblutet bei der Niederkunft um ein Haar. Nach der Geburt von Emily. Dann stirbt auch sie mit nur sechs Monaten und man nimmt Ermittlungen auf. Wegen Kindsmord. Drei Babys waren tot ohne wirklich erkennbaren medizinischen Grund.

Ihre Ehe zerbricht. Ihr Mann beginnt zu trinken und Maggie zieht aus. Der Zweifel, sie könne am Tod der Kinder schuld sein bleibt. Auf dem Kalender steht das Jahr 1998. Man klagt sie an. Sie landet in Isolationshaft. Jemand stellt Kaution.

Sie flieht und taucht ab. Findet Trost in der Literatur. Will vergessen. Nichts fühlen. In Neuseeland bei schlafenden Riesen. Für den Anfang. Dann eine neue Beziehung. Mit einem amerikanischen Studenten. Sein “Komm mit”. Nach Amerika. Vielleicht mochte sie ihn ja tatsächlich genug um bei ihm zu bleiben, in jedem Fall war das ein neuer Flucht- und Ausstiegsplan.

Es folgt eine neue Abhängigkeit. Diesmal die von Oxi und eine Trennung.

Rückwärts entwirrt Jennifer Down ein Leben und diese ihre Erzählart, die Konstruktion der Geschichte hat mir am Besten gefallen.

Sich nicht zu Erinnern, ist nicht das Gleiche, wie zu Vergessen, schreibt Jennifer Down. Wie recht sie hat, denke ich und schaue am Ende dieser Geschichte auf das Leben einer Frau, dass aus soviel Talfahrten besteht, dass man sich nachhaltig wundert, wie es ihr gelungen ist, dabei immer wieder aufzustehen.

Dieser Roman ist keiner, der leicht zu ertragen ist, aber einer der sich lohnt. Drum entscheidet Euch bewusst für ihn, wenn ihr es tut. Denn leicht wird dieses Lesen nicht.

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