Dieser Roman wurde ausführlichst gelesen, analysiert und besprochen, gelobt, bejubelt und schließlich mit dem Deutschen Buchpreis 2024 ausgezeichnet. Sogar einen Eklat bei der Preisverleihung hat er heraufbeschworen, ein Autorenkollege fühlte sich ungerecht behandelt, umfasst sein Werk doch ein Vielfaches mehr an Seiten und verbrauchte Jahre an Recherchearbeit. Da hätte ihm der Preis doch zugestanden, seinen Unmut verkündet er lauthals. Die Folge ein Shitstorm. Jede Menge Aufmerksamkeit für ihn und Diskussionen über patriarchalisches Verhalten im Literaturbetrieb.
Es ist, wie es eben ist, denke ich, Jury-Entscheidungen sind was sie sind. Der Meinungsspiegel dieser Gruppe und manchmal trifft ein Text eben einen Nerv bei Entscheidenden. Den Ton unserer Zeit, wie wir miteinander kommunizieren, in Chats und über Kurznachrichtendienste und eine neuzeitliche Betrügerei, hat Martina Hefter für mich, in ihrer Geschichte, mit dem umgangssprachlichen Titel, wie den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen.
Aus ihrem Text haben die Einen den Bezug zu Göttern und Planeten herausgelesen, Andere gesellschaftskritisches, manche bewundern wie sie all das in einen Kontext bringt, der auch noch Sinn macht. Vor dem Hintergrund einer Scheinidentität, die sich die Heldin ihres Romans zulegt, um des Nachts mit Männern im Netz zu flirten, wickelt sie ihre Geschichte ab.
Kurz gefasst ist Juno, ihre Protagonistin, tagsüber Ehefrau und Kümmernde für ihren auf den Rollstuhl angewiesenen Schriftsteller-Ehemann Jupiter, in ihren schlaflosen Nächten sucht sie Ablenkung in Social Media Chaträumen.
Hier kann sie sein, wer sie sein will, kann lästige Alltagsaufgaben abstreifen, sobald das Licht des Tages schwindet in eine andere Haut schlüpfen. Sie findet Gefallen am Love-Scamming. Macht sich kundig darüber. Fasst einen Plan. Will den Spieß umdrehen. Auch lügen und das klappt. Dann lernt sie ihn auf dem Anfrageweg kennen …
Hey guten Morgen, wie geht es dir? von Martina Hefter
Owen Wilson, aus der Ukraine, wohnhaft in Amerika, heißt eigentlich Benu und lebt in Nigeria.
Juno irgendwas über fünfzig, freiberufliche Künstlerin, Tänzerin, macht sich für Benu drei Jahre jünger, gibt sich den Beruf Schauspielerin, ist im Netz unverheiratet, hat keine Kinder, dafür wechselnde Affären und ein ausschweifendes Partyleben.
Aus dem Instagram Chat der beiden wird rasch einer in Whats App, Videotelefonie inklusive …
Wer einen Instagram Account hat kennt sie, die Profile mit zumeist englischem, männlichen Namen und einer angehängten Zahl. Sind Fotos hinterlegt, zeigen sie häufig eine attraktive graumelierte Erscheinung im Arztkittel, vor einer Yacht oder an Meer oder Pool. Traurige Witwer gibt es da, mit noch kleinen Kindern, vermeintliche Traummänner auf der Suche nach Kontakt. Lässt Frau sich darauf ein, kann sie via Direct Message in den Austausch gehen und eher früher als später stellt sich die Frage nach finanzieller Unterstützung. Der Traummann sitzt in der Klemme. Aus Gründen.
In den seltensten Fällen steckt sicherlich ein gutaussehender, gutsituierter Chirurg hinter einem solchen Profil und es gibt einen Begriff für diese Masche: Love-Scamming. Männer geben vor zu sein wer sie nicht sind. Bahnen eine Beziehung an und bitten irgendwann um Geld.
Juno Isabella Flock erhält auch irgendwann Nachrichten von Unbekannt, durchschaut sie und im Fall von Owen Wilson alias Benu, ist beiden von Anfang klar, sie stellt klar, das sie weiß, dass er ein Love-Scammer ist. Ich denke, er glaubt ihr auch keinen Meter weit, aber sie ist ganz verliebt in das Bild, was sie hier von sich zeichnet und in ihre neue Möglichkeit dem Alltag so zu entfliehen.
An ihrer Zimmerdecke kreisen die Planeten. Sie ist oder war mal aus Stuck. Ihr Blick geht gern nach oben. Jupiter, ihr Mann in seinem Pflegebett im Nebenzimmer. In Leipzig. Nie stellt er Fragen. Auch danach nicht warum sie Nachts nicht schläft und was sie tut wenn sie nicht schlafen kann.
Martina Hefter, geboren am 11. Juni 1965 in Pfronten erzählt uns vom Tanzen, vom Ballett, von Tanz-Performances. Drei Romane und fünf Gedichtbände hat sie bislang veröffentlicht, viele ihrer Texte übersetzt sie gemeinsam mit anderen Künstlern szenisch, sie lebt in Leipzig, wo sie auch ihren buchpreisausgezeichneten Roman verortet hat. Ihre Lyrik möchte ich mir noch näher anschauen, mich lockt ihr Titel “In die Wälder gehen, Holz für ein Bett klauen“.
“Die Wirklichkeit war etwas, dass man feststellen konnte,” schreibt sie. Nomen est Omen, denn in ihrer aktuellen Geschichte regieren Lüge und Täuschung, die allerdings werden auch festgestellt.
Jupiter war für die Römer der Beschützer des häuslichen Herdes und des Familienbesitzes. Schutzgott ihres Staates, Wettergott, zuständig für Blitz und Donner, Pendant zum griechischen Göttervater Zeus, verheiratet mit Juno. Dem Inbegriff der Weiblichkeit, Göttin des Himmels, der Geburt, der Ehe und Fürsorge, Gegenstück zur griechischen Hera. Okay. Whatever. Ich suchte nach Gemeinsamkeiten zu ihren Hauptfiguren und fand keine. Vielleicht eine Bildungslücke meinerseits? Die autofiktionalen Elemente, die Hefter einbaut, ihr eigener Partner ist Autor und leidet an MS, sie selbst tanzt und performt, habe ich erkannt. Witzig fand ich, dass in der Hörbuchfassung die Emojis in den Chats konsequent mit vorgelesen werden. Das dieser Text sehr modern daherkommt und stilistisch nicht stumpf chronologisch erzählt, sondern wie durchchoreographiert wirkt, fand ich spannend. Hefters doch irgendwie narzisstische Juno, die ihre langen Beine und definierten Muskeln nicht nur einmal erwähnt, ist mir allerdings und sorry an alle Fans, Schnurz Piepe geblieben. Was sie da mit ihren virtuellen Heiratsschwindlern am Start hat oder eben nicht, das eigentlich auch. Kurze Ausflüge in Junos Kindheit, Streifzüge durch ihre Jugend, ihre Eltern wussten sie nicht zu bändigen, für ein Taschengeld hat sie Schafe gehütet und Haare geschnitten, Kleider genäht, die punkig und cool waren, sie hingegen war nie akzeptiert, immer anders, waren da nicht hilfreich für mich, das Blatt noch zu wenden.
Dann geht es noch um Tatoos, Zahnschmerzen, erschwertes, weil nicht barrierefreies Bahnfahren, Hexen, Teufel, Voodoo, Sugar Mummys, Stern-Konstellationen, Pflegegeld-Anträge, eine ramponierte Altbauwohnung ohne Fahrstuhl, augenrollende Nachbarn, Dokus über Afrika auf YouTube, Rassismus, Kolonialismus, Diskriminierung und Ballett und – das ist ganz schön viel. Vielleicht gab es dafür den Preis, weil das unter einen Deckel zu bringen muss man erstmal schaffen. Mich hat Martina Hefter damit nicht gekriegt, irgendwie fehlte mir die Tiefe der Auseinandersetzung mit ihrem Kernthema. Ich bin da glaube ich auch, ein Stück weit, in meine eigene Erwartungsfalle getappt, als feststand auf ihrer Geschichte klebt das Buchpreis Etikett in diesem Jahr. Das meine eigenen Lieblinge, die Romane von Doris Wirth und Markus Thielemann gegen diesen Titel auf der Strecke geblieben sind, schmerzt jetzt sogar noch ein bisschen mehr.
Fein bin ich hingegen damit, mich für das Hören entschieden zu haben. Die ungekürzte Hörbuchfassung des diesjährigen Buchpreisträgertitels ist Anfang November ’24 im Argon Verlag erschienen. Dem Team ein herzliches Danke für das Besprechungsexemplar. Inka Löwendorf, studierte Schauspielerin und Regisseurin, Gründerin des Heimathafen Neu Kölln, lässt Juno für mich, für alle, die den Roman nicht lesend erleben wollen, lebendig werden.
Eher kühl hält mich Löwendorf stimmlich auf Abstand. So wie Martina Hefter das auch tut. Ihre Juno bleibt immer gefühlt eine Armlänge von mir entfernt. Ist keine Sympathieträgerin für mich, nervte mich mit ihrem Körperkult bisweilen. Ihre Sehnsucht danach allen Zwängen, wenn auch nur kurz einmal zu entkommen, konnte ich hingegen gut nachvollziehen. Wie sie verleugnet, sich eher früher als später damit auseinandersetzen, damit umgehen zu müssen, dass auch der Rest Selbstständigkeit, die sich ihr Mann, den sie im Grunde nicht betrügen will, noch bewahrt hat, verschwinden wird. Aus der Nummer kommt sie nicht raus, offenes Ende Hin oder Her …
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