Freinacht (Thomas Lang)

*Rezensionsexemplar*

Samstag, 24.08.2019

Wir alle sind mittlerweile mehr oder weniger aktiv in sozialen Netzwerken, haben dieses Medium zumeist als festen Bestandteil in unser Lebens integriert. Wir “posten” Lebensereignisse, teilen Urlaubserinnerungen mit wildfremden Menschen, werden so zur öffentlichen Person.

Schreiben als Projekt im Internet? Ist das nicht eher etwas für das stille Autorenkämmerlein? Als Vorgabe und zur Ideensammlung dient dabei einzig eine Meldung aus der Tagespresse, ein Ereignis das zur Schadsoftware im eigenen Leben wird, das einen von innen auffrisst? Ich war angefixt, von dieser Idee, die Thomas Lang 2016 zu verwirklichen begann. Der Roman, der so entstanden ist, wurde erst vor einigen Tagen veröffentlicht und ihn habe ich heute mitgebracht. Meine Erwartungsmesslatte rückte ganz schön weit nach oben sag ich Euch, als ich las WAS das Ereignis gewesen war, das Lang da ausgegraben hat …

Freinacht von Thomas Lang

Es war die Walpurgisnacht oder auch Freinacht, die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, die Nacht in der Feuer brennen, Hexen fliegen und Rauch und Schabernack in der Luft liegen. Sie glaubten sich frei in jener Nacht, wollten Spaß haben, keinen Streß, ahnten nicht als die Feier begann, das sie bald die Gefangenen ihrer eigenen Geschichte sein würden.

In dieser Nacht würde Elle sechzehn werden. Anders als die anderen, ihre spießigen Mitschüler und die gestylten Mädels, wollte sie feiern, abgelegen sollte die Party-Location sein. Nicht irgendwo, sondern hier auf dem alten Bahngelände, welches durch einen kleinen Fichtenwald vom Ort getrennt war. In einem der zerfallenen Schuppen, mit Bier und Wodka und fünfundzwanzig Freunden. So viele hatte sie zumindest eingeladen.

Deutlich zeigte man ihr dann allerdings wo ihr Platz in der Schulgemeinschaft war, nach und nach hatten alle abgesagt, oder waren schlicht und ergreifend gar nicht erschienen. Am Ende waren jede Menge Frust und die Clique übrig geblieben. Als da wären: Junis, ihr bester Freund, Dennis genannt “Hell”, Kleinganove, und der dreizehnjährige Valentin, Bauernsohn, der Dennis folgte wie ein Hündchen. Sie nannten ihn Kälbchen.

Anders wurde es dann auch, nicht nur wegen der Absagen, ganz anders, als sie die Leiche fanden. Ein Mann zweifelsohne und nicht erst seit gestern tot. Wer ihm den ersten Fußtritt versetzte, daran erinnerte sich am Ende keiner mehr und im Grunde war es auch egal. Nicht egal war, das einer das Handy nahm und filmte und das diese Leichenprügelei dann im Netz landete, die Bilder in der Schule hergezeigt wurden. Mit ihnen allen darauf, unlöschbar, untrennbar von jetzt an mit ihrer aller Leben verbunden.

Es brach ein Sturm los, nicht nur in Vierweg, vorbei war es mit Beschaulichkeit und Idylle, was übrig blieb waren Ekel, Albträume und Scham. Alle wussten jetzt und hatten gesehen, wie sie auf den Toten eingetreten und eingeschlagen, ihm ein Bein abgetrennt hatten. Auch sie, Ellen, hatte auf den Schädel von Frank, so hieß der Tote eingedroschen. In dieser Nacht auf dem Bahngelände, wo alles so cool hätte werden sollen, im Wodkadunst, falls das eine Entschuldigung sein konnte …

Thomas Lang, geboren 1967 lebt als freier Schriftsteller in München, neben seinen Romanveröffentlichungen schreibt er Fachartikel für Computerzeitschriten. Zuletzt erschien von ihm “Immer nach Hause”, über den jungen Hermann Hesse.

Nichts ist leicht hier. Das Leben von Elle nicht, deren Eltern geschieden sind und deren jüngere Schwester beim Vater lebt. Das Leben der anderen nicht, die nicht wissen wohin mit sich, die schwanken zwischen dem Erwachsenwerden und dem Erwachsensein.

“Es kam keine Antwort mehr. Das Schweigen, wie die Stimme vorher, steckte halb in ihr, halb herrschte es außerhalb.” (Textzitat)

Fehler sind da um gemacht zu werden, mag sein, aber ein solcher hebt die Welt aus den Angeln. Da ist nichts mehr mit Wiedergutmachen.

Hier findet man einen Themenkern der alles möglich gemacht hätte, dabei lässt der Autor aber dann für mich zuviel liegen, bleibt zu sehr an der Oberfläche, ist zu vorhersehbar. Auch auf dem Weg zu Prozess und Urteil fehlte es mir an Grundspannung. Er wirft unzählige Fragen auf, und sie bleiben allesamt unbeantwortet. Wenn das die Idee war, uns Leser in die Suche nach Antworten, oder ins Nachdenken zu bringen, dann ist das durchaus ein Ansatz. Einer der bei mir aber nicht funktioniert hat, weil mir seine Protagonisten im Grunde gleichgültig geblieben sind. Das ihm auch Schüler dabei geholfen haben, im Rahmen seines Internetprojektes seine Figuren auszuarbeiten, konnte die Distanz, die ich zu ihnen empfunden habe leider nicht auflösen.

Man braucht um hinein zukommen in diese Geschichte, ich zumindest hatte da Anlaufschwierigkeiten. Vielleicht auch, weil Lang mich sprachlich nicht abholen konnte. Das dauernde “möpen” der “Phones” seiner Kids nervte mich irgendwann.

Gelungen hingegen fand ich die Grundstimmung des Romans, alles zerfällt. Unaufhaltsam, unausweichlich und unumkehrbar.

So leicht kann man diesen Stoff auch erstmal in keine Schublade stecken, vielleicht war das für mich auch Teil des Problems. Was will er sein? Spiegel unserer Gesellschaft, Drama oder Krimi? Wo will er mit mir hin?

Vernachlässigung und fehlende Werte. Ein buchstäblich zu nehmender schlechter Einfluss, Alkohol als legalste aller Drogen in Kinderhänden. Pardon, in den Händen Heranwachsender, die ihren Eltern längst entglitten sind. Jugendliche die auf der Suche nach DEM Kick sind.

Lang versucht dabei besonders Ellen hinter die Stirn zu schauen, ihre Gedankenwelt zu entwirren. Wie im Schock ist sie nach dieser Nacht. Kann nicht mehr essen, nicht mehr schlafen und die Mutter denkt es sei ein Virus. Ja, das ist wohl der Virus an dem die Moral zugrunde geht. Bind ist sie, die Mutter, mit sich selbst beschäftigt, das bringt mich fast zur Raserei.

Die Presse ist alarmiert und zahlreiche Experten werden auf den Plan gerufen, die vom Happy Slapping reden, davon wie Kinder Kinder quälen, Videos von Prügelszenen drehen, die sie bei you tube online stellen und sich dann über die wachsende Zahl an Klicks freuen.

Es wird gegraben in Social Media Profilen, jeder Kommentar in die Richtung gedeutet in die er gehört. Völlig verroht, das mussten sie sein. Alle sagten das schließlich. Psychologen, Reporter, die Öffentlichkeit halt. 

Die Anklage lautet am Ende auf “Störung der Totenruhe”. Ich schlage das Buch zu. Zu sagen es hätte mir gefallen wäre nicht richtig. Zu sagen es hätte mir nicht gefallen auch nicht. Es ist unbequem, es rückt die Frage danach, wozu ein gruppendynamischer Prozess in der Lage ist in den Vordergrund, thematisiert alkoholisierte Enthemmtheit, Verräter und Perspektivlosigkeit.

Was für mich persönlich am gruseligsten war, ist die Tatsache, das diese Tat den Leichnam eines Menschen getroffen hat, der allein stand in der Welt. Der in den Tot gegangen war, leise und selbstbestimmt und den über Wochen niemand vermisst hat. Den man dann schändet und lange, viel zu lange unternimmt niemand etwas, auch dann nicht, als die Bilder auf den Handys der Täter in der Schule die Runde machten.

Wie viel davon wirklich passiert, was fiktiv überhöht ist, kann ich nicht beurteilen und ich will es auch nicht. Will nicht daran glauben, dass wir mittlerweile in einer Gesellschaft leben, die erst einmal wegschaut …

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