Frankfurter Buchmesse 2024 – für Daheimgebliebene

Stell dir vor es ist Buchmesse in Frankfurt und Frau, Bücherfan und Leseratte Petra kann nicht hin. Die Gesundheit spielt nicht mit. Tja. Ist bitter, aber erst einmal nicht veränderbar. Zwei Tage Urlaub waren geplant und bis zuletzt, hatte ich mir offen gelassen, ob ich einen Besuch in Frankfurt nicht doch noch in Angriff annehmen kann. Heute früh, Messemittwoch, ist meine Entscheidung final. Vor Ort geht nicht.

Ist es trotzdem möglich diese beiden Tage, die in meinem Kalender für Buch & Messe reserviert waren, mit ein bisschen Messegefühl zu füllen? Was geht da Online, noch nach Corona, wie ist das Angebot gestaltet, dass sich über einen Livestream erleben lässt? Wo habe ich bei Social Media und den Verlagen Mitschnitte, kann ich mal in Messestände reinkiepern? Für alle daheimgebliebenen Bücherwürmer, kommt mit, begleitet mich gerne auf meinem etwas anderen Messebummel in diesem Jahr.

Ich starte traditional am Rand der Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat in mein Buchmesse-Erleben der 76. Frankfurter Buchmesse, der größten weltweit also nicht auf einem der Sitzwürfel im Forum in Frankfurt, quasi in touch mit Autor:innen und Moderator:innen, sondern zu Hause in meiner Küche mit einem Interview mit Martina Hefter der frisch gekürten Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2024 und ihren Roman Hey, guten Morgen, wie geht es dir?.

Was für ein Thema des Morgens, in aller Früh, die Frankfurter Buchmesse erscheint mir noch etwas verschlafen, an diesem Mittwoch, vor den Rednern an der Bühne im Forum der Messe hat es noch etliche freie Plätze: Dinge verschwinden, aber nicht alles was nicht mehr da, empfinden wir als Verlust. Sagt Andreas Reckwitz und unternimmt in seinem Buch Verlust einen Erklärungsversuch. Er betrachtet wie die Moderne uns mit ihrer permanenten Vorwärtsbewegung so treibt, dass sie mit einer beständigen Kurve der Veränderung nicht nur Verbesserung, sondern eben auch automatisch Verluste im Gepäck hat. Wie gehen wir gesellschaftlich mit diesen Verlusterfahrungen um? Alles wird wieder gut, das ist nur eine Krise, “wordings” die Verluste unsichtbar machen. Denken wir an die Sprache der Pandemie, “das ist das neue Normal”. Wir beschweigen was wir verlieren und vermissen deshalb umso mehr? Werden nostalgisch.

Als hätte sich jemand etwas bei der Reihenfolge der Interviewpartner gedacht, meint die nächste Moderatorin und stellt Eric Wrede vor, Podcaster, Ex-Musiker und jetzt Bestatter. Aus Gesprächen mit seinen Kunden ist ein Buch entstanden, es heißt Auf Leben und Tod und ich finde ihn als Mensch und Person aus dem Stand schlicht großartig. Wenn er sagt, in seinem Job ist ihm wichtig, Trauer zu ermöglichen, Raum zu geben, schlucke ich und hänge trotzdem an seinen Lippen, seinen Sätzen, die so ungeheuer hoffnungsvoll sind. Es geht um die Verantwortung den eigenen Nachlass zeitig zu regeln, denen, die man liebt, damit Zeit zum Traurern zu schenken, damit sie sich nicht im Fall der Fälle um profanes kümmern und sorgen zu müssen. Er arbeitet mit einem Palliativmediziner zusammen, den ich gerne an meine Seite wüsste, wenn ich denn müsste.

Zwischen Vergangenheit und Zukunft bewegt sich auch das Gastland der Frankfurter, in diesem Jahr und nach 36 Jahren erneut, Italien. Ein Beitrag in der ARD Mediathek nimmt mich mit auf einen Spaziergang durch den Pavillion der Italiener. Ich bin beeindruckt, wie man es geschafft hat, eine Piazza nebst Säulengang, Gemälde, alte Schriften und ein Gefühl des historischen Italien mit modernen gesellschaftlichen Themen, nicht nur gestalterisch, sondern auch thematisch zu verbinden.

Verwurzelt in der Zukunft, so lautet das wunderbare und beinahe philosophische Motto der Italiener und die Idee, die Rolle der Frau, Unterschiede zwischen ihrem Norden und ihrem Süden mitzubringen gefällt mir. Einige italienische Literaten habe ich aus meinem Regal noch ungelesen herausbefördert und auf meinem Nachtisch liegt eine Neuerscheinung bereit, dazu gerne an anderer Stelle mehr. Nein, es ist (noch) nicht das meistgelesene Buch in Italien, Die Villa der Architektin aus der Feder von Melania G. Mazzucco. Ein historischer Roman über das Rom des 17. Jahrhunderts und die erste Architektin und Malerin und Plautilla Bricci. Das notiere ich mir ebenfalls. Ihr auch?

Das diesjährige Gastland hat zum Auftakt der Messe bereits einen politischen Eklat geliefert, der sich auch in der Eröffnungsfeier der Messe niederschlug. Als der italienische Kulturministers Alessandro Giuli mit seiner Rede beginnen wollte, gab es Zwischenrufe und Saalverlassen. Hintergrund, der italienische Sonderbeauftragte Mauro Mazza hatte eine Liste von rund 100 Autoren als Entsandte veröffentlicht auf der prominente Namen fehlten. Man spricht von Zensur, warum sonst ist ausgerechnet u.a. DER mafiakritische Autor Roberto Saviano nicht eingeladen worden? Eine Korrektur der Autorenliste konnte keine Versöhnung erreichen, andere Literaten erklärten sich solidarisch und wollten jetzt ebenfalls nicht anreisen. Es wird munter spekuliert, ob gar ein Privatkrieg zwischen Frau Meloni und Saviano der Grund für seine Nichtnomminierung sein könnte. Wie auch immer, sein Verlag hat ihn jetzt eingeladen und er wird in Frankfurt sein, mit seinem Roman Falcone. Man darf gespannt sein, wie man in den offenen Diskussionsrunden auf den Messebühnen damit umgehen wird. Wenige Zeit später am heutigen Messemittwoch wird die römische Autorin Francesca Melandri sehr deutlich werden, was sie von der derzeitigen italienischen Regierung hält und wo sie auch in ihrem Land die Demokratie auf tönernen Füßen stehend erlebt. Die Buchmesse in Frankfurt ist eben immer auch eine politische.

Wie fühlt es sich an, wenn das Bühnenprogramm und die dort nacheinander platznehmenden Gäste meinen Messeindruck bestimmen? Gleich zu Beginn wird mir deutlich, dass ich mich dadurch, dass ich an diesen Bühnen bleibe, mit Themen, Büchern und Autor:innen beschäftige, die ich mir selbst nicht gepickt hätte. Das diese Messe damit unbedingt dafür steht, literarische Horizonte zu erweitern, wird auch zu Hause deutlich.

Virtuell wechsle ich immer mal den Platz und wandere zur 30-Minuten-WG in die Halle 3, dort läuft ein Livestream der Zeitschrift Stern und Penguin Random House mit. Treffe dort Karla Paul und Katrin Burseg im Gespräch über den Roman Tage mit Milena, den ich noch nicht kenne und ich bleibe.

Zurück auf der Hauptbühne und bei Francesca Melandri, Alle außer mir lautet ihr Bestsellertitel aus dem Jahr 2018, heute hat die politisch engagierte Autorin ihren aktuellen Roman dabei Kalte Füße. Ein persönliches Buch, meint ihre Interviewpartnerin, in dem es um Fragen geht, die sie ihrem verstorbenen Vater stellt. Fragen, die sie ihm zu Lebzeiten nicht gestellt hat. Es geht um sein Kriegserleben und darum, wie wenig man davon im Grund weiß was Großeltern, Eltern in zurückliegenden Kriegen erleben mussten, erlebt haben. Als sehr kritisch und leidenschaftlich erlebe ich Melandri, auch wenn sie davon spricht, wo sie Literatur im politischen Diskurs an ihre Grenzen stoßen sieht. Da haben wir’s. Von ihr möchte ich jetzt auch etwas lesen.

Welche Geschichten erzählen wir uns wie? Darüber sprachen auch wenige Stunden zuvor Charlotte Gneuß (Gittersee) und André Kubiczek (Nostalgia) im Podcast Der zweite Gedanke. Gneuß die im letzten Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand und im gleichen Jahr mit dem Aspekte Literaturpreis ausgezeichnet worden ist und Kubiczek, der in diesem Jahr longlistnomminiert war, finden beide eine jeweils eigene Erzählart für das Leben in der ehemaligen DDR und ich denke, beide sollte ich mir wohl doch noch erlesen.

Sheroes – engagierte Frauen in der Literatur schreiben und weisen über sich hinaus in die Zukunft. Im konkreten Fall die von mir verehrte Elke Heidenreich und Eva Demski, die ich hier kennenlerne. Beide blicken zurück und begeistern mich mit ihrer so gegenwärtigen Haltung und ihrer humorvollen Art. Auch das sie so rigoros gegen das Gendern wettern macht mir Freude. Ihr Disput ist so erfrischend und Elke Heidenreich in Bestform. Herrlich!!!

Meinen Donnerstag eröffnet Isabel Bogdan im Gespräch über ihren aktuellen Roman Wohnverwandschaften. So eloquent, wie sie mit Sprache umgeht, so sympathisch wie sie sich für das Wortbewahren stark macht. So verrät sie beispielsweise, dass sie in jeder Geschichte das Wort “anderthalb” unterbringt, damit wir es nicht verlieren. Großartig! Ist notiert.

Yuval Noah Harari folgt im Gespräch mit Thea Dorn, beeindruckend und viel zu kurz dieses Gespräch. Lucy Fricke mit ihrem druckfrisch erschienen Das Fest. Die Schauspielerin Caroline Peters hat ihr Debüt dabei und liest aus Ein anderes Leben.

Es warten heute noch: Arno Geiger, Nora Bossong, Elif Shafak, Marica Bodrožić, Antonio Scurati, Anna Katharina Hahn – mein 17.Oktober ist nicht minder reich mit Eindrücken gefüllt und seinen Online-Tag kann man als Lyrik-Fan mit Poetry Slam bei Arte beschließen.

Frankfurt selbst zeigt sich vor Ort kreativ wie eh und je, lässt den ersten “Reise-Influencer” Johann Wolfgang von Goethe in einem Escape Room vor der Paulskirche feiern (Kennt Ihr das Land wo die Zitronen blühn?), eine Hommage an das Buchmesse-Gastland? 

Wie fällt jetzt mein Fazit aus? Taugt meine digitale Reise nach Frankfurt als Ersatz für einen Live-Besuch? Was fehlt, sind ganz klar die Begegnungen, die geplanten und die unverhofften. Der Austausch, das Summen von vielen Stimmen in den Hallen und auch das Gedränge. Ein bisschen. Weil all das mir immer zeigt, dass das Buch noch lebt, für viele noch wichtig ist, egal wie oft schon tot gesagt. 

Was mir nicht fehlte: Die Warteschlangen vor dem Klo. Die Staus bei An- und Abreise. Völlig überteuerte Hotelraten.

Für mich ist die Frankfurter Buchmesse, Online erlebt, das Programm kurzweilig, interessant und schlicht barrierefrei erlebbar, auch ein Garant dafür, dass man viel mehr Buchtipps aufnimmt, als man Lebenszeit haben wird um sie zu lesen. Ist das nicht wunderbar und warum spielt nicht auch außerhalb von Messezeiten die Literatur eine größere Rolle in unseren Fernsehprogrammen?

Das ich Denis Scheck habe mitnehmen können, seine humorvollen Empfehlungen und Verrisse, er ist für meine Messen tatsächlich eine feste Größe geworden, auch wenn ich nicht immer mit ihm einig gehe, hat mich arg gefreut. Er brachte mir Frank Schätzing näher, der fraglos eine “Rampensau” und einen Zweitwohnsitz im Mittelalter hat. Helden sein neuer Roman, der auf seinen Tod und Teufel als Fortsetzung folgt und diesen zum Prequel macht (vielleicht muss ich Schätzig doch nochmal eine Chance geben?). Auch das macht doch Literatur aus, das man sich an ihr und wegen ihr reiben und diskutieren kann und bei Scheck mag ich persönlich besonders, dass er immer auch für die Lyrik eintritt.

Also, auf bald einmal wieder live vor Ort Frankfurt. Dann bitte auch mit einem Mainzelmännchen-Hug, der hat mir ebenfalls gefehlt und ist schon so verdammt lang her:

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