Was wäre wenn, ein sanft fließender, zarter und zugleich kraftvoller Text auf euch wartet? Ein Text zum Genießen, wo Frau beim Lesen ganz langsam macht, wo Worte auf der Zunge zergehen und dann diese Heldin! Mir machte sie das Herz ganz weit. Überall vermag sie das Licht zu sehen. Selbst im Taunus und zwischen Wolkengrau.
Im Rahmen meines diesjährigen digitalen Ausflugs zur Frankfurter Buchmesse konnte ich online ein Interview mit ihrer Autorin, Marica Bodrožić erleben, indem sie nach ihrem Herzflorett befragt antwortet, wie wichtig es ihr war, die passende Sprache für Pepsi zu finden. Das hat sie! Eine Sprache, die für mich keine andere hätte sein dürfen. Danke dafür und dem Team des Luchterhand Verlags für dieses Besprechungsexemplar, aber lasst uns am Anfang beginnen:
Das Herzflorett von Marica Bodrožić
Pepsis Eltern arbeiten im Norden. In Hessen. Nur im Sommer sind sie kurz zu Besuch. in Dalmatien. Bei Pepsi und den Geschwistern. Beim Großvater. Hier lebt Pepsi. Meistens. Mal mit Bruder und Schwester. Mal ohne. Man reißt sie auseinander. Verteilt sie bei Verwandten. Lässt sie zurück. Bis Pepsi einen Brief schreibt. An die Eltern. Weil sie es nicht mehr aushalten kann. Allein.
Da ist sie neun Jahre alt, trägt ihr Herz auf der Zunge und im Füller, als sie schreibt. Sie habe Hunger. Oft. Und Sehnsucht. Sie holen sie in den Taunus. Ihre Geschwister auch. Endlich sind sie zusammen. Dort angekommen will sie hier nicht sein. Alles ist anders. Fremd. Es ist kalt, auch wenn es eine Heizung hat an der man drehen kann bis es warm wird. Innen bleibt es kalt. Die Eltern blicklos für sie.
Schwestern, die herzgerade voreinander stehen. Ein Bruder, der seine Schwester eisern eisig ansieht. Der nach Beweisen dafür fragt, dass er und sie ein Wir sind. Der sich abwendet und geht. Was klingt das schön! Was tut das weh!
Pepsis Herz wurzelt in der Erde, wie das die Bäume tun, die Blumen, das Gras. Mit ihnen spricht sie, wenn sie einsam ist und allein. Im Norden, in Hessen, wo der Vater jetzt schon morgens Schnaps trinkt. Hier hat sie keinen Garten, keine Wiese, keinen Mandelbaum, dafür lernt sie bei Frau Burger eine neue Sprache, legt sich aus Worten einen Sprachgarten an. Wie wunderschön Marica Bodrožić die Gefühlswelt ihrer kleinen Heldin eingefangen hat. Wie sie Worte eigens dafür kreiert. Die in mir klingen wie ein Glöckchen, die mich in eine Bilderflut stürzen. Die mal zart und wehmütig, traurig aber auch voll von Zuversicht ist. Immer wieder branden die Wellen die diese Flut schlägt in mir an, während sie mir erzählt von der Fremde, strengen Tanten, vom Geschwistervermissen, Schachbrettblumen, von duftendem Annakraut, von Tolstoi und Turgenjew. Von einem wuchtigen Wind, der einen auf Landstraßen in die Knie zwingt, vom Blick an Blick leben mit einem Esel.
Von Blicken, dunkel wie die Nacht, zum Fürchten, von Tränenmathematik und einer Liebe füreinander, die man nicht zeigen darf. Sätze die treffen, als würden Steine geworfen, nicht Worte gesprochen. Was für eine Grundstimmung! Sie trägt diese Geschichte wie das Salz im Meer mein Gewicht. Macht sie schwerelos und anmutig. Was ich das gerne mochte!
Marica Bodrožić, geboren am 3. August 1973 in Zadvarje, Dalmatien, lebte bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in der Nähe von Split bei ihrem Großvater. 1983 zog sie um nach Sulzbach im Taunus, wo sie Deutsch lernte, später in Frankfurt/Main eine Ausbildung zur Buchhändlerin machte, dann studierte. Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik. Die mehrfach für ihr Schreiben preisausgezeichnete Lyrikerin, Übersetzerin und Schriftstellerin lebt heute in Berlin und in einem mecklenburgischen Dorf.
Ihr Die Arbeit der Vögel möchte ich jetzt auch noch entdecken, denn fortan gehören ihre Zeilen für mich zu den Tagen, an denen ich Trost, Seelenbalsam brauche.
Wieviel von ihr steckt in ihrer Pepsi, habe ich mich beim Lesen gefragt, nachdem ich ihre Vita nachgeschaut hatte. Auf ihrem Insta-Account verrät sie, vor dreizehn Jahren habe sie begonnen diese Geschichte zu schreiben. Und ja, sie sei Pepsi und sei nicht Pepsi. Das was sie beschreibe kenne sie, die Armut, Hunger, beengte Verhältnisse, ein Leben mit Gewalt und eines in Befreiung. Noch vor dem Jugoslawienkrieg 1991 kam sie nach Deutschland. Wirtschaftlich ging es ihrer Heimat bereits vor dem Krieg nicht gut, viele suchten Arbeit im Ausland, wanderten aus. In die USA, Ausstralien und auch nach Deutschland.
Habe ich eigentlich schon einmal einen Text gelesen, der komplett auf Absätze verzichtet? Ich erinnere keinen. Das Herzflorett ist absatzlos. Auch ohne wörtliche Rede kommt es aus, die fehlende Gliederung und Struktur habe ich nur anfangs vermisst, dann verziehen.
“Sie spürt und weiß, dass die Liebe niemals aus der Vergangenheit zu den Menschen zurückkommt, jede Liebe ist nur dann Liebe, wenn sie hier ist, Teil der Gegenwart, ohne einen zukünftigen Vorrat auf sich selbst, ohne ein Versprechen, das sie einmal und für immer gehalten werden wird.” *Textzitat Marica Bodrožić – Das Herzflorett*
Pepsi knetet Hackfleisch, schneidet Kohl, kocht, putzt und träumt. Lernt was Pünktlichkeit bedeutet. Die ist nötig, will man seine Arbeit behalten. Wird getreten und geschlagen von der Mutter, mit Worten und Händen. Pepsi spricht wenig bis nichts, wandert mehr und mehr nach innen. Ist abwesend anwesend, hört dann wie das Blau des Südens nach ihr ruft.
Sie hängt an ihrer Schwester, ihrer Herzmandel, denkt an Flucht. Wird gemaßregelt, gescholten. Erwachsenwerden ist nichts für Feiglinge und mit diesen Eltern eine Qual. Der Vater Alkoholiker und cholerisch, die Mutter gehetzt, dauererschöpft, streng und lieblos. Pepsis Geburt war für die Mutter eine traumatische gewesen. Ohne Narkose hatte sie einen Kaiserschnitt und über Stunden starke Schmerzen aushalten müssen. Daran hatte Pepsi Schuld. So sagt sie ihr das. Nicht nur einmal.
An diesen Worten schneide auch ich mich, spüre sie wie Stiche ins Herz. Alle treffen, auch ohne Florett und Pepsi blutet. Heilung sucht und findet sie in Büchern, in der Natur und Ruhe in ihrer stillen Stunde am Nachmittag. Das Herzflorett ist umschlossen von einer leuchtenden, hoffnungsvollen Sprache, das ist es, was ich einzigartig fand. Sie erreichte mich auf einer tieferen Ebene, schwer zu beschreiben was das beim Lesen mit mir gemacht hat. Pepsi ist mir sehr an mein Herz gewachsen. Wie sie die Verbitterung und auch die Gemeinheiten von Mutter und Vater schultert, ohne selbst in die Verzweiflung abzurutschen oder es ihnen gar gleich zu tun. Wie sie in Sprache, Literatur und allem was wächst Verbündete sucht und findet, sich die Zuversicht bewahrt, ihre Zukunft in die eigenen Hände nimmt, diese innere Kraft müsste man finden können, wenn andere das verbale Florett ziehen. Besonders wenn Attacken von denen kommen, von denen man nichts mehr als gesehen werden will und geliebt. Dieses beherzte Mädchen, das dort wo es herkam einmal barfüßig, wild und frei gewesen war. Das sich nicht klein machen lässt. Wie stets nach vorne schaut. Sich ihr Herz warmhält, am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen.
Sehr kreativ und immer voller Herzenswärme sind Marica Bodrožićs Wort- und Satzschöpfungen. Dann etwa wenn sie von Plus- und Minuszeit spricht. Die eine vorwärtsgewandt, die andere in der Verhangenheit verhaftet. Staune ich.
Darum geht es hier und auch wieder nicht. Ein Seelenspiegel ist das, der die Themen Migration und häusliche Gewalt, physische wie psychische, als Anstoß nimmt, sich aber nicht von ihm die Geschichte diktieren und dominieren lässt. Wer sich einlassen kann auf dieses Schreiben entdeckt eine sprachliche und stilistische Fülle, wie man sie selten in einem Buch findet. Versprochen und nein, dies hier ist kein Märchen, nicht für mich. Dafür ist mir Pepsi viel zu nahe gekommen und dafür feiere ich dieses Stück Literatur von Anfang bis Ende.
“… das innere Gehen übt sie weiter, sie baut sich Gleise mit ihrer Vorstellungskraft und sieht den Zügen hinterher, als würden sie für sie in ihre Zukunft vorausfahren, um sie später abzuholen, wenn ihre Gleise in der äußeren Zeit gebaut waren.” *Textzitat Marica Bodrožić – Das Herzflorett*
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